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Fall «Carlos»: Unzerstörbare Zelle zerstört

Portraitzeichnung von Straftäter Brian (bekannnt als Carlos). Das Bezirksgericht Zürich gibt am Mittwoch, 06. November 2019, in Zürich das Urteil gegen den Intensivstraftäter bekannt. 29 Delikte soll  ...
Immer wieder vor Gericht: Brian K. alias «Carlos». (Archivbild)Bild: LINDA GRAEDEL

Fall «Carlos»: Brian K. hat unzerstörbare Zelle zerstört

Zürich baute für 1,85 Millionen Franken einen Spezialtrakt für gewaltbereite Häftlinge. Schon am ersten Tag wurde er kaputt geschlagen.
05.12.2020, 06:2905.12.2020, 10:04
Andreas Maurer, Schweiz am Wochenende
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Brian K. wurde unter dem Pseudonym «Carlos» als Jugendlicher bekannt, der nur mit einem teuren Sondersetting von weiteren Straftaten abgehalten werden konnte. Damals war er ein durchtrainierter Kickboxer. Auf Fotos dieser Zeit perlen Schweisstropfen auf seinem nackten Oberkörper. Heute ist er kaum mehr wiederzuerkennen. Fotos aus dem Gefängnis zeigen einen fülligen Mann mit traurigen Augen.

Doch Brian gilt noch immer als der gefährlichste Gefängnisinsasse der Schweiz. Wenn er in den Spazierhof geführt wird, werden acht Beamte aufgeboten. Sechs davon tragen Kampfmontur: Schild, Helm und Körperprotektoren. Und dies, obwohl Brian an Händen und Füssen gefesselt ist.

Um diese Sondereinsätze zu beenden, hat der Kanton Zürich ein neues Sondersetting installiert. Für 1,85 Millionen Franken hat die Justizvollzugsanstalt Pöschwies einen Spezialtrakt gebaut. Es handelt sich um zwei Zellen, die über Schleusen mit einem eigenen Spazierhof verbunden sind. Die Türen lassen sich ferngesteuert öffnen und schliessen. So soll Brian wie eine Raubkatze vom Innen- ins Aussengehege geführt werden. Die Anlage kostet so viel wie ein Einfamilienhaus, weil sie unzerstörbar sein soll.

Der Spezialtrakt: Kaum in Betrieb, schon in Reparatur

Am 27. Oktober bezog Brian die neue Zelle. Kurz nach der Ankunft drehte er durch. Mit blossen Händen schlug er auf die Türen zum Spazierhof ein und beschädigte sie so schwer, dass sie seither nicht mehr benutzt werden können. Brian sitzt nun wieder im «Bunker». So heissen die Isolierzellen der Pöschwies.

Wie ist es möglich, dass die teuerste Gefängniszelle der Schweiz so schnell kaputt geht? Das Zürcher Amt für Justizvollzug geht auf Fragen wie diese nicht ein. Die Möglichkeit zur Stellungnahme nutzt das Amt einzig, um einen Werbespot zu platzieren: «Das Angebot des Spazierhofs für gewaltbereite Insassen ist das einzige dieser Art in der Schweiz. Es ist darum davon auszugehen, dass auch andere Kantone an diesem Angebot interessiert sind.»

Brians Anwalt Thomas Häusermann erklärt, wie es zur Eskalation gekommen ist: «Als Brian in die neue Spezialzelle kam, sah er dort eine Kamera, die alles in der Zelle aufnehmen konnte. Er fühlte sich einmal mehr veräppelt und hintergangen. Entsprechend wütend wurde er.» Dem Anwalt gegenüber hätten die Aufseher später gesagt, dass die Sicht mit einem Vorhang hätte verdeckt werden können. Brian wusste das nicht. Das Grundproblem besteht gemäss Häusermann darin, dass Brian immer noch in der Pöschwies sei. Hier werde er von Aufsehern betreut, die ihn nicht korrekt behandeln würden und die in verschiedene Strafverfahren mit ihm verwickelt seien. Das könne nicht gut gehen.

Justizvollzug Der Kanton Zürich hat für den Straftäter Brian K. alias «Carlos» einen Spezialtrakt im Gefängnis Pöschwies gebaut. Für 1,85 Millionen Franken liess er zwei Zellen erstellen, die über aut ...
Bild: CHMedia

Sowohl gegen Brian als auch gegen Aufseher laufen Strafverfahren. Brian wurde 2019 erstinstanzlich verurteilt, weil er Personal verprügelt haben soll. Im Frühling 2021 kommt dieser Fall voraussichtlich vor das Obergericht. Ein weiteres ähnliches Verfahren gegen ihn ist hängig. Gleichzeitig hat Brian in zwei Fällen Aufseher angezeigt, die ihn mit Faustschlägen verletzt haben sollen. Im einen Fall hat das Obergericht der Staatsanwaltschaft inzwischen die Ermächtigung für ein Strafverfahren erteilt.

Häusermann sagt: «In dieser aufgeladenen Situation braucht es nicht viel, bis die Emotionen wieder hochgehen.» Sein Klient wolle nur eines: weg von dort, in ein anderes Gefängnis. Das sei die einzige Möglichkeit für einen Neuanfang. Nur so hätte er eine echte Chance.

Brian hat allerdings schon eine Tour durch viele Gefängnisse hinter sich. Mehrfach kam es zu Problemen. Das Interesse anderer Anstalten am Hochrisikohäftling dürfte gering sein. Häusermann sagt: «Wenn sich das Amt für Justizvollzug darum bemühen und ein Wille zur Verbesserung der Situation bestehen würde, könnte man eine Lösung finden. Da bin ich überzeugt.» Im Amt glaubt man allerdings, die Lösung mit dem Spezialtrakt bereits gefunden zu haben.

Brian schreibt für seinen Anwalt ein Tagebuch. Demnach musste er nach dem Duschen den nassen Boden mit seinen Kleidern putzen. Über Stunden habe er danach keine neuen erhalten. Oder sie würden ihm Schweinefleisch servieren, obwohl er dieses ablehne.

Hat er das Recht auf einen Spaziergang verspielt?

Regelmässig kommt nun wieder die Spezialeinheit zum Einsatz, die Brian in den Spazierhof begleitet. An Wochenenden und Feiertagen verzichtet die Pöschwies aber darauf und lässt Brian im «Bunker» sitzen. Dabei besteht ein Menschenrecht auf einen täglichen Spaziergang.

In diesem Fall sieht das Bundesgericht allerdings eine Ausnahme. Mit Urteil vom 17. November erwähnt es die Beschädigung der Spezialzelle und hält fest: «Man kann nicht das Recht auf täglichen Spaziergang fordern und gleichzeitig die behördlichen Vorkehren, die es gewährleisten, hintertreiben.»

Brians Vater sagt: «Wir werden dieses Urteil an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterziehen.»

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Ein Tag im Gefängnis
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238 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hierundjetzt
05.12.2020 10:17registriert Mai 2015
PS: Brian ist nicht Opfer sondern Täter.

Seine Opfer beziehen Invalidenrenten.

(Nur so, falls wiedermal jemand dem Stockholmsyndrom erliegen sollte.)
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Posersalami
05.12.2020 10:59registriert September 2016
"Sein Klient wolle nur eines: weg von dort, in ein anderes Gefängnis. Das sei die einzige Möglichkeit für einen Neuanfang. Nur so hätte er eine echte Chance."

Seine echte Chance hat er schon längst verspielt, als er wahllos Menschen schwer verletzt hat. Es ist jetzt auch nicht so, dass das der erste Knast ist, indem er Probleme macht.

0 Mitleid

Haben wir nicht noch irgendwo einen alten Armeebunker, indem er leben könnte?
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Hydrocephalus
05.12.2020 10:10registriert Januar 2019
Das müssen ja echte Profis sein welche diese "Unzerstörbare" Zelle gebaut haben.
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Prämienentlastung etc. – bei 3 Abstimmungsvorlagen zeichnet sich ein Ja ab
Drei der vier Vorlagen, über die wir im Juni abstimmen, werden nach aktuellem Stand angenommen.

Bei der Abstimmung über die Prämienentlastungsinitiative (60 Prozent) und der Kostenbremse-Initiative (54 Prozent) zeichnet sich gemäss einer Umfrage ein Ja ab. Der Energie-Mantelerlass stösst aktuell beim Souverän mit 65 Prozent auf die höchste Zustimmung.

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