Für die Grünen in Deutschland läuft es derzeit richtig rund. Bei der Wahl in Bayern am vorletzten Wochenende belegten sie den zweiten Platz hinter der CSU und klar vor der arg gerupften SPD. In der Hauptstadt München wurden sie gar stärkste Partei. Dieses Topergebnis verschafft der Ökopartei auch bei der Landtagswahl in Hessen am kommenden Sonntag Rückenwind.
In den Umfragen lagen sie lange auf Platz drei hinter CDU und SPD. Nach dem Bayern-Schock ging es sprunghaft nach oben. Im ZDF-Politbarometer vom letzten Sonntag belegen die Grünen mit 22 Prozent den zweiten Platz hinter der CDU (26 Prozent) und vor der SPD (20 Prozent). In der aktuellsten Umfrage der Zeitung «Bild» vom Dienstag liegen Grüne und Sozialdemokraten mit je 21 Prozent gleichauf.
Das eröffnet den Grünen eine Reihe von interessanten Optionen. Anders als in Bayern, wo sie auch in Zukunft in der Opposition verbleiben dürften, regieren sie in Hessen seit fünf Jahren in einer Koalition mit der CDU. Dieses Bündnis könnte weitermachen, allenfalls ergänzt zu einer Jamaika-Koalition mit der FDP. Aber auch eine grün-rot-rote Regierung scheint machbar.
Falls die Grünen in diesem Trio die stärkste Partei wären, könnten sie den Ministerpräsidenten stellen. Dieser würde wohl Tarek Al-Wazir heissen. Sein Name scheint irgendwie quer in der heutigen deutschen Politiklandschaft zu liegen. Doch der 47-jährige Wirtschafts- und Verkehrsminister ist gemäss Umfragen der beliebteste Politiker in Hessen, vor Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).
Geboren wurde Al-Wazir in Offenbach, wo er noch heute lebt, als Sohn einer deutschen Lehrerin und eines Studenten, der aus einer der angesehensten Familien im Jemen stammt und später Diplomat und Geschäftsmann wurde. Nach der Trennung der Eltern lebte er zeitweise bei seinem Vater in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, wo er seine heutige Ehefrau kennenlernte.
Über Tarek Al-Wazir gibt es einige Anekdoten. So sollen sich seine Eltern geweigert haben, dem Sohn einen deutschen Vornamen zu geben. Er studierte Politologie und zog bereits mit 24 Jahren in den hessischen Landtag ein. Vor zehn Jahren machte die damals noch stark rechtslastige CDU im Wahlkampf mit rassistischen Untertönen Stimmung gegen den Grünen-Politiker.
Fünf Jahre später einigte sich der neue Regierungschef Volker Bouffier mit Tarek Al-Wazir auf eine schwarz-grüne Koalition, die überraschend reibungsfrei funktionierte. Dazu trug die gute Wirtschaftslage des Bundeslandes mit der Bankenmetropole Frankfurt bei, aber auch die Tatsache, dass einstige Streitpunkte wie der Ausbau des Frankfurter Flughafens abgehakt waren.
Als Minister konnte sich Al-Wazir deshalb um grüne Kernanliegen kümmern. Er führte ein überaus beliebtes Ticket für Schüler und Lehrlinge ein, mit dem sie für einen Euro pro Tag im ganzen Bundesland mit Bahn und Bus fahren können. Er baute die erneuerbaren Energien (ihr Anteil hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt) und die Biolandwirtschaft massiv aus.
Daneben profitieren die Grünen von zwei Faktoren: Für ihre überwiegend urbane, gut ausgebildete und besserverdienende Wählerschaft sind sie ein Bollwerk gegen die rechtspopulistische AfD, die am Sonntag in Hessen ihren letzten weissen Fleck auf der deutschen Politlandkarte tilgen wird. Hinzu kommt der Frust über die vor allem mit sich selbst beschäftigte grosse Koalition in Berlin.
Mit Wahlkampfslogans wie «Vernunft statt Hetze» oder «Tarek statt Groko» zielen die Grünen auf diese Befindlichkeiten. Der Spitzenkandidat forderte am Montag ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, weniger wegen der Affäre Kashoggi, sondern wegen des Kriegs im Jemen, wo sein Vater noch immer lebt. Im Jemen gebe es seit dreieinhalb Jahren die «schlimmste humanitäre Katastrophe», die von Menschenhand gemacht sei, sagte Al-Wazir.
Seine Ausgangslage in Hessen ist komfortabel. Ohne die Grünen wird es kaum eine neue Regierung geben. Tarek Al-Wazir könnte zum zweiten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg werden. Dieser traut seinem hessischen Parteifreund das Amt zu – schliesslich eint beide ein ausgemachter Sinn für Realpolitik.
Ein Ministerpräsident Al-Wazir hätte nicht nur Symbolcharakter in der durch die Flüchtlingsdebatte aufgeheizten deutschen Politik. In gewisser Weise würde sich auch ein Kreis schliessen. Hessen war 1985 das erste deutsche Bundesland mit einer rot-grünen Regierung. Unvergessen bleibt, wie Grünen-Urgestein Joschka Fischer damals als Umweltminister in Turnschuhen vereidigt wurde.
Noch ist es nicht so weit. Tarek Al-Wazir scheint eine Fortsetzung der Allianz mit der CDU einem Bündnis mit der Linkspartei vorzuziehen, die im Westen Deutschlands radikaler und dogmatischer politisiert als in den Bundesländern der ehemaligen DDR. Signalwirkung auf die Politik in Berlin aber wird die Hessen-Wahl mit Sicherheit haben.
Sollten Union und SPD ähnlich tief fallen wie in Bayern, könnten die Tage von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von SPD-Chefin Andrea Nahles wie auch der grossen Koalition überhaupt gezählt sein. Vielleicht aber kommt es nicht so weit, denn wenn eines die Bündnispartner eint, dann ist es die Angst vor einem Debakel bei Neuwahlen.