Es ist der Nachmittag nach der grossen FCZ-Meisterparty. Die Sonne lacht vom Himmel, als Marinko Jurendic bei bester Laune in einem Café in Zürich Platz nimmt. Um 3 Uhr morgens ist er ins Bett gekommen. Nach einigen wenigen Stunden Schlaf machte er sich daran, die ersten Meister-Gratulationen zu beantworten. Es wird noch eine Weile dauern, über 200 Nachrichten haben sich angesammelt.
Die Augen des Sportchefs leuchten, als er den Sonntag noch einmal Revue passieren lässt. Die Fahrt vom FCZ-Trainingszentrum ins Tageshotel nach Pratteln. In den St.Jakob-Park. Das Spiel. Die Rückfahrt. Die Party auf dem Helvetiaplatz. Auch sein 9-jähriger Sohn Roko war mit auf dem Balkon.
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— FC Zürich (@fc_zuerich) May 1, 2022
Von Müdigkeit jedenfalls keine Spur bei Jurendic. Oder doch? Mitten im Gespräch schreckt er plötzlich auf, als er merkt, wie eine Polizistin auf den parkierten Wagen zugeht. «Ich muss rasch raus, ich glaube, ich habe die Parkzeit aus Versehen auf das Auto meiner Frau gebucht.» Die Busse bleibt aus, Glück gehabt.
Die Arbeit von Jurendic hat erst möglich gemacht, dass der FCZ die erste Meisterfeier seit 2009 erleben durfte. Dass es dazu kommt, zeichnete sich in den letzten Wochen ab. «Sie zu erleben, hat trotzdem einiges ausgelöst», sagt Jurendic. Verständlich, ist es doch sein erster Titel. «Ich war beeindruckt von all diesen Impressionen. Beim Anblick auf die Menschenmenge habe ich eine grosse Genugtuung verspürt für den Aufwand, den alle Beteiligten in den letzten Monaten geleistet haben.»
Immer wieder zückt Jurendic während des Gesprächs sein Handy, um Bilder und Videos zu zeigen. Besonders beeindruckt hat ihn auch, wie 600 FCZ-Fans am Samstag bereits ein stimmungsvolles Abschlusstraining veranstalteten.
Es ist schon eine erstaunliche Geschichte, wie aus einer Mannschaft, die zuletzt die Ränge 8, 7 und 7 belegte, ein Schweizer Meister werden konnte. Jurendic hat einen grossen Anteil daran. Aber wie war das möglich? Gerade mit Blick darauf, dass der FCZ 2021 etwas mehr als 20 Millionen Franken einnahm, also deutlich weniger als die Konkurrenz aus Bern (gut 75 Millionen) und Basel (gut 50 Millionen).
Klar ist: Wenn nur eine überschaubare Summe an Geld zur Verfügung steht, muss jeder Transfer sitzen, sonst ist eine derartige Überraschung unmöglich. Genau das war beim FCZ der Fall. Die Aussenläufer Guerrero/Boranijasevic spielten einen wichtigen Part, genauso wie Doumbia, Aliti oder Dzemaili – die ersten Transfers von Jurendic, nachdem er im Sommer 2020 Sportchef geworden war.
Doch natürlich erwähnt Jurendic die Wahl des Trainers zuallererst. «Wahrscheinlich ist ‹Glücksgriff› die falsche Bezeichnung», sagt er, «sagen wir darum: die Chemie hat sofort gepasst und André war zu diesem Zeitpunkt ein beachtlicher Transfer.» Dass es Jurendic gelang, Breitenreiter den FCZ schmackhaft zu machen, hat sich ohne Zweifel als Glücksfall erwiesen.
Wenn Jurendic über Breitenreiter spricht, dann tönt das so: «Er leistet ganz grosse Arbeit. André besitzt die Fähigkeit, um einen grossen Bundesliga-Verein zu trainieren.» Jurendic meint damit nicht, dass sein Trainer gleich in den nächsten Tagen nach Deutschland wechselt, sondern «inhaltlich gesehen», also die Art und Weise, wie er der Mannschaft die Spielidee und seinen Plan vermittelt, wie er die Spieler einzeln besser macht, wie er sie klar führt und menschlich mit ihnen umgeht.
Doch die Frage nach dem grossen Triumph lautet eben auch: Sieht Breitenreiter in Zürich die Möglichkeit, weitere Schritte nach vorne zu machen? Ist der Verein gewillt, die Mannschaft in der Breite zu verstärken – so, dass sie auch europäisch eine gute Falle machen könnte?
Breitenreiter ist ehrlich genug, um auf ewige Treueschwüre zu verzichten. Nicht aus fehlender Loyalität, sondern ganz einfach, weil das Business so funktioniert. Jurendic sieht die Trainer-Frage gleichwohl entspannt.
Im Gegensatz zu Breitenreiter laufen die Verträge der beiden Schlüsselspieler Ceesay und Doumbia aus. Zu dieser Situation sagt Jurendic: «Es gibt noch keine finalen Entscheidungen. Wenn es tatsächlich so wäre, dass sie uns Ende Saison verlassen, wird es keine ‹Bad Feelings› geben. Im Gegenteil: beide Spieler haben einen grossen Anteil am Erfolg. Wir respektieren es, wenn sich ein Spieler dafür entscheidet, einen Vertrag zu unterschreiben, den er vielleicht nur einmal im Leben vorgesetzt erhält.»
Der 44-jährige Sportchef tut das in der Überzeugung, dass beim FCZ auch neue Chancen entstehen – und ein fruchtbares Umfeld entstanden ist, das nicht von einzelnen Namen abhängig ist. Es wäre eine Leistung, die sogar noch höher einzuschätzen ist als der Meistertitel 2022.