Die Angst sieht man M. nicht an. Er sagt es dem Reporter, als dieser ihn fragt, warum er nicht mit vollem Namen genannt werden will. «Wir Türken sind in Europa und leider nun auch in der Schweiz offenbar unerwünscht.» M. ist türkisch-schweizerischer Doppelbürger, besitzt in Bern ein Imbiss-Restaurant und ist Erdogan-Anhänger.
M. fürchtet nicht etwa Angriffe von Erdogan-Gegnern, die in der Schweiz in der Mehrheit sind, wie die letzten Wahlen 2015 zeigten. Nein, M. befürchtet Repressalien der Schweizer Behörden. «Weil wir offenbar eine Gefahr darstellen, wenn wir Erdogan unterstützen.»
M. wird für Erdogans Reform stimmen. Doch warum will er fast uneingeschränkte Macht für den türkischen Präsidenten? «Die Türkei braucht einen starken Mann, der das Land wirtschaftlich voranbringt», sagt M.
Von offizieller Seite ist von Erdogan-Anhängern kaum bis gar nichts zu vernehmen. «Kein Kommentar», hiess es schon letzte Woche, als die «Nordwestschweiz» mit dem Ableger der Erdogan-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten UETD sprechen wollte. Ein Sprecher verwies darauf, man verstehe sich nicht als politische Organisation.
Wenig später kam heraus: Dieselbe UETD wollte den Erdogan-Freund und Istanbuler AKP-Topkader Hursit Yildirim an den UETD-Sitz ins aargauische Spreitenbach holen, nachdem sein Propagandaauftritt für die Verfassungsreform in Zürich Affoltern verhindert worden war. Den Auftritt untersagte die Polizei jedoch.
Mit den Medien sprechen die Erdogan-Anhänger nicht gern über die Verfassungsreform. Sogar ausgewiesene Türkei-Experten äussern sich nur äusserst zurückhaltend. Die Stimmung war schon vergiftet, ehe der «Blick» die Türkinnen und Türken in der Schweiz dazu aufrief, Erdogans Verfassungsreform abzulehnen. Wer Ja sage, solle besser in die Heimat zurückkehren.
M. nennt das eine «Schweinerei und beschämend!». Aus der Schweiz habe ihm niemand vorzuschreiben, wie er in der Türkei abstimmen soll. Anders als von den Medien hier behauptet, sei Erdogan ein «guter Mensch und Demokrat». Der Aufruf werde sich letztlich als kontraproduktiv erweisen, prophezeit M. Aus Trotz würden viele Ja stimmen.
«Aber keine Angst», sagt M. mit einer gehörigen Prise Sarkasmus den Schweizern, «das Ja wird unsere Heimat vorwärtsbringen, und dann gehen wir gerne wieder heim!». Wem Demokratie und Rechtsstaat wichtig sind, für den sind Erdogan-Gegner derzeit die besseren Türken.
Szenenwechsel in ein anderes Restaurant. «Ich wurde schon von türkischen Nationalisten bedroht und belästigt», so Wirt E. Auch bei ihm schwingt Angst mit, weshalb er ebenfalls anonym bleiben will. E. gehörte in der Türkei einer Minderheit an, war Linker, landete als politischer Aktivist im Gefängnis und flüchtete später in die Schweiz. Das System Erdogan nennt er faschistisch. Wer ein solches unterstütze, habe in einem freiheitlichen Staat wie der Schweiz nichts verloren. «Deshalb unterstütze ich den Aufruf zum Nein.»
Auch E. ist Doppelbürger. Anders als Landsmann M. wird er das Wahlrecht aber nicht wahrnehmen. Auslandtürken können bis am 9. April auf der türkischen Botschaft in Bern oder in einem der Generalkonsulate in Zürich und Genf stimmen. Als «Staatsfeind» traut sich E. freilich nicht dorthin.