Brauchtum: Silvesterchläuse ziehen durchs Schneetreiben im Urnäschtal

Brauchtum: Silvesterchläuse ziehen durchs Schneetreiben im Urnäschtal

13.01.2016, 17:16

Magische Momente haben Einheimische und Touristen am Mittwoch im Appenzeller Hinterland erlebt. Zum alten Silvester brachten mehrere dutzend Chlausen-Schuppel das frisch verschneite Tal am Fuss des Säntis zum Klingen.

Die Bewohner im Urnäschtal feiern den Jahreswechsel nach dem julianischen Kalender erst am 13. Januar mit dem Silvesterchlausen. Von früh bis spät ziehen Einheimische in Gruppen (Schuppel) von Hof zu Hof und wünschen den Bewohnern schellend und singend ein gutes neues Jahr. Der faszinierende Brauch gilt als Protest der protestantischen Einheimischen, die sich trotz Kalenderreform nicht befehlen liessen, wann sie ihre Feste zu feiern hatten.

Dieses Jahr waren wegen des anhaltenden Schneetreibens mehrheitlich Wald- und Naturchläuse unterwegs. Die kunstvollen Hauben der «schönen Chläuse», welche die Männergruppen in hunderten Freizeitstunden basteln, hätten bei dem garstigen Wetter am Mittwoch Schaden genommen.

Deshalb liessen die meisten Schuppel in Urnäsch ihre schöne «Groscht» (Gewand) zu Hause und zogen als «Schöwüeschte» (Wald- oder Naturkläuse) mit furchterregende Masken und Gewändern aus Tannenzweigen durchs Tal. «Anders als in den umliegenden Dörfern, wo der Brauch noch keine allzulange Tradition hat, würde sich einer von uns nie mit einem Plastikschutz über der Haube zeigen», sagte ein Silvesterchlaus aus Urnäsch.

Von Hof zu Hof

Ob schöne oder furchterregende Chläuse - das Ritual ist immer dasselbe. Jedes Schuppel folgt seiner eigenen Route, die niemandem bekannt gegeben wird. Schön geordnet marschieren die Männer- oder Kindergruppen von Hof zu Hof und Haus zu Haus. Der «Vorrolli» kündigt die Gruppe an, die Bewohner versammeln sich. Wenn auch der «Noerolli» angekommen ist, schellen und rollen die Männer und machen einen «heiden» Lärm.

Nach und nach verklingt das ohrenbetäubende Schellen. Es wird ruhig, und die Chläuse stimmen ein «Zäuerli» an, einen wortlosen Appenzeller Jodel. Eine andächtige Stimmung verbreitet sich. Dann tanzen und springen die mit Rollen oder Schellen bepackten Chläuse wieder, dass sich manche am liebsten die Ohren zuhalten würden. Das Ritual wiederholt sich üblicherweise drei Mal.

Neujahrswünsche

Zwischendurch halten die Männer einen Schwatz, bekommen ab und zu von der Hausherrin mit Hilfe eines Trinkhalms einen kräftigen Schluck Glühwein eingeflösst. Dann wünschen die Chläuse dem Hausherrn und seiner Familie mit einem kräftigen Händedruck ein gutes neues Jahr, bekommen einen üppigen «Batzen» und marschieren zum nächsten Hof.

Ist es Zeit für eine Pause, werden die Männer in die guten Stube gebeten und mit hausgemachten Leckereien verwöhnt. Der Hausherr schenkt reichlich Wein oder selbst gebrannten Schnaps aus. Es wird geplaudert und gelacht und zwischendurch gesungen. Manch einer ist froh, ohne die Maske wieder mal tief durchatmen oder eine Zigarette rauchen zu können.

Aus dem Spätmittelalter

Manche Chläuse stellen Frauenfiguren dar. Doch unter der Verkleidung verbergen sich ausschliesslich Männer. Das Silvesterchlausen ist extrem anstrengend: Ein «Schelli» trägt zwanzig bis dreissig Kilogramm mit sich herum, ist von früh bis spät auf den Beinen und legt eine Strecke von bis zu zwanzig Kilometern zurück.

Die Ursprünge des Silvesterchlausens gehen wahrscheinlich auf den spätmittelalterlichen St. Nikolausfeiertag der Klosterschüler zurück, der immer fasnachtsähnlicher wurde. Die kirchlichen Behörden wehrten sich gegen das «in der Nacht herumlaufen mit schellen und polderen in Form des Niclausens». Vermutlich deshalb sei das Silvesterchlausen auf die Zeit nach Weihnachten verschoben worden, vermuten Experten. (sda)

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