Die Proteste der «Gelbwesten» halten nun schon seit Oktober 2018 an. Im ganzen Land gehen Zehntausende auf die Strassen und protestieren gegen die Politik von Staatspräsident Emmanuel Macron.
Die Bilder der Demonstrationen schockieren – immer wieder gibt es Schwerverletzte. So fürchtet Jérôme Rodrigues, einer der Anführer der Bewegung, seit dem vergangen Samstag um sein Auge. Er wurde von einem Gummischrot-Geschoss im Gesicht getroffen.
Ein anderes Opfer ist Olivier Beziade. Der dreifache Familienvater wurde am 12. Januar ebenfalls von einem Geschoss am Kopf getroffen und liegt seither im künstlichen Koma.
Der Fall ist deshalb brisant, weil die Polizei versucht hat, Beweise zu vernichten. Wie auf Videoaufnahmen zu hören ist, befiehlt ein Einsatzleiter seiner Truppe, die Hülsen auf dem Boden einzusammeln.
In französischen Medien wurde bislang hauptsächlich über die Gewalt der «Gelbwesten» berichtet. Die offiziellen Opferzahlen der Polizei waren sehr gering. Laut der «NZZ am Sonntag» kommt der Verdacht auf, dass hier versucht wurde, die Realität zu vertuschen.
Das scheint sich nun geändert zu haben. Die französische Zeitung «Libération» nennt erstmals Zahlen: So sollen durch Polizeigewalt mindestens 100 Menschen ernsthaft verletzt worden sein. Gemäss der Website «Désarmons-les!» haben vier Personen eine Hand und 18 ein Auge verloren.
#GiletsJaunes Acte10 - Montpellier
— Niemands Knegt (@NiemandsKnegt) 20. Januar 2019
Behandeling van de twee slachtoffers door de LBD 40 van Brügger & Thometpic.twitter.com/BguEV73Uoh
Die schweren Verletzungen sind auf die umstrittene Bewaffnung der Polizei zurückzuführen, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. So werden mit Sprengstoff versehene Granaten vom Typ GLI-F4 eingesetzt, die in keinem anderen EU-Land zur Anwendung kommen.
Weitaus mehr Verletzungen gibt es wegen dem Einsatz von Gummischrot. Der Granatwerfer vom Typ GL-06, von dem die vier Zentimeter grossen Geschosse abgefeuert werden, stammt aus der Schweiz.
Die dafür vorgesehene Munition wird vom Thuner Waffenhersteller Brügger & Thomet als «less lethal» – also «vermindert tödlich» – bezeichnet. Konkret: Tödliche Verletzungen müssen in Kauf genommen werden. Brügger & Thomet weist jedoch die Verantwortung von sich, da die französische Polizei angeblich nicht die Originalmunition verwende.
Der Granatwerfer darf nur auf eine Distanz von mindestens 15 Metern eingesetzt werden. Ob diese Vorschrift eingehalten wird, ist allerdings fraglich. Der Ombudsmann für Bürgerrechte hat dem Parlament eine Empfehlung unterbreitet, auf den Einsatz von Gummischrot ganz zu verzichten.
Reagiert auf die happigen Vorwürfe hat indes Innenminister Christophe Castaner. Polizisten an der Front sind fortan mit einer Bodycam ausgerüstet – allerdings könne sie diese selber ein- und ausschalten. Damit will die Polizei ihre Einsätze wenn nötig rechtferigen. (vom)