Die Wirtschaft brummte, doch die Arbeitnehmer bekamen keine Lohnsteigerungen. Nun stellt das Wirtschaftsforschungsinstitut Bak Basel eine Erklärung zur Diskussion: Die Personenfreizügigkeit habe das Lohnwachstum gebremst. «Die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarkts zu Europa hat die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer geschwächt», sagt Bak-Chefökonom Martin Eichler an einer Prognosetagung.
Hintergrund der Debatte ist eine ungewöhnliche Entwicklung am Arbeitsmarkt. Die Wirtschaft legte 2018 um beachtliche 2.5 Prozent zu. Die Arbeitslosenquote stand zuletzt bei 2.6 Prozent.
Eine solche Hochkonjunktur hätte die Konsumentenstimmung abheben lassen sollen. Doch sie blieb am Boden, wie der entsprechende Index des Staatssekretariats für Wirtschaft zeigt. Die Konsumenten bleiben überzeugt, in ihrem Portemonnaie komme der Aufschwung nicht an.
Diese Skepsis hat mit der vergleichsweise kurzen Dauer zu tun: Der Aufschwung war vorbei, ehe er richtig losging. Im Sommer 2018 brach das Wachstum des Bruttoinlandproduktes weg. Im dritten Quartal schrumpfte die Wirtschaft, im vierten legte sie nur noch geringfügig zu. In einem solch schleppenden Tempo geht es wohl so weiter: 2019 wird es ein Wachstum von 1.1 Prozent geben. So lautet zumindest die Prognose von BAK Basel.
Bislang wurde die Skepsis der Konsumenten bestätigt. Der Aufschwung brachte nicht die erhofften Lohnsteigerungen. Im Gegenteil, 2018 gingen die Löhne gar real zurück. Schon im Vorjahr ging es real kaum nach oben.
Somit blieb es ein Aufschwung ohne reales Lohnwachstum, wie es in vielen anderen Industriestaaten zu beobachten war. Der Länderverein OECD warnte deshalb schon vor einem «wageless growth», also Wirtschaftswachstum ohne Lohnsteigerungen.
Warum die Löhne nicht ansteigen – darüber sind sich die Ökonomen uneinig. Bak Basel sieht die Personenfreizügigkeit mit der EU als möglichen Grund. Sie habe die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer geschwächt. So lasse sich erklären, warum der Schweizer Arbeitsmarkt nahe der Vollbeschäftigung ist und die Löhne dennoch kaum ansteigen.
Wobei Chefökonom Eichler einschränkt: Es handle sich lediglich um eine Theorie, die die Entwicklung der einschlägigen Statistiken erklären könne. Eine vertiefte Studie habe man nicht erstellt.
George Sheldon, emeritierter Wirtschaftsprofessor an der Uni Basel, hält die Personenfreizügigkeit ebenfalls für eine mögliche Erklärung. Die Arbeitgeber könnten so in der EU nach Arbeitnehmern suchen, die in der Schweiz gerade knapp seien. Besonders gefragte Arbeitnehmer hätten weniger Gelegenheit, für sich Lohnsteigerungen auszuhandeln. Insgesamt falle der Aufwärtsdruck auf die Löhne dadurch in einer Hochkonjunktur schwächer aus.
Sheldon schränkt seine Aussage jedoch ein: Die Personenfreizügigkeit verhindere lediglich, dass das Schweizer Lohnwachstum in einer Hochkonjunktur kurzfristig überschiesst – und dies nachher wieder korrigiert werden muss.
In der langen Frist werde das Lohnwachstum mit Personenfreizügigkeit mindestens gleich stark ansteigen wie ohne Personenfreizügigkeit. Eher verhelfe sie gar zu mehr Lohnwachstum, weil der Schweizer Arbeitsmarkt dadurch effizienter werde.
Die Arbeitsmarktspezialisten der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich haben eine simplere Erklärung für die Lohnstagnation der Jahre 2017 und 2018. Sie geben vorsichtig Entwarnung. Die zwei schwachen Jahre sind hauptsächlich der Ausgleich für die beiden überdurchschnittlichen Vorjahre.
In den Lohnrunden für 2015 und 2016 seien die Sozialpartner von steigenden Preisen ausgegangen oder zumindest von konstanten. Dies wollten sie mit nominalen Lohnsteigerungen ausgleichen. Heraus kam eine negative Teuerung – und somit ein unerwartet starkes Lohnplus.
Die Diskussion der Ökonomen geht allerdings noch tiefer. Infrage gestellt wird auch, ob in der Schweiz wirklich Vollbeschäftigung herrscht. So stand die Arbeitslosenquote gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft zwar bei 2.6 Prozent im Jahr 2018. Die Erwerbslosenquote des Bundesamts für Statistik – sie gibt das Niveau der Arbeitslosigkeit besser wieder – stand trotz Aufschwung bei 4.7 Prozent. Dieses Auseinanderklaffen wird derzeit im Rahmen einer Studie untersucht. (bzbasel.ch)
Dem stehen schwache Gewerkschaften gegenüber. Die Gewerkschaften sind nur so stark wie sie Mitglieder haben. Wer als Durchschnittsverdiener SVP oder FDP wählt und über die Linke schimpft sollte sich nicht über steigende Unternehmensgewinne bei gleichzeitig sinkenden Löhnen beklagen. Umso wichtiger finde ich den Kampf des Gewerkschaftsbundes für den Erhalt der Flankierenden Lohnschutz-Massnahmen.
Und jeder Politiker nimmt natürlich die Definition, die seinem Anliegen am besten nützt.