Zum Beispiel Emma. Sie ist 23 Jahre alt, aus Rumänien und arbeitet seit einem Jahr als Prostituierte in der Schweiz:
Emma erzählt Aline Wüst ihre Geschichte an einem der vielen Abende, welche die 34-jährige Journalistin in den vergangenen zwei Jahren in Bordellen der Schweiz verbracht hat. Entstanden ist daraus das Buch «Piff, Paff, Puff. Prostitution in der Schweiz». Was die Frauen erzählen, ist persönlich und verstörend süffig. Nach den ersten 25 Seiten hat man das Gefühl, genug zu wissen, und kann doch nicht aufhören. Emma erzählt weiter:
Mit dem Thema in Berührung kam die Autorin auf einer Weltreise. Aline Wüst, aufgewachsen im Aargauer Wynental und heute Reporterin beim «SonntagsBlick», begegnete Prostituierten in Senegal und Kolumbien.
Sie sagt: «Ich wollte verstehen.» Sie redete mit rund hundert Prostituierten. Zudem mit Bordellbesitzerinnen, Freiern, einem Beamten, einem Polizisten, einem Psychologen, einer Gynäkologin. Sie befreundete sich mit einer Frau und reiste mit ihr nach Bulgarien zu ihrem kleinen Sohn. Sie erlebte in Rumänien das Zuhältersystem.
Vom Echtzeit Verlag bekam Wüst vorab eine Zusage, obwohl es ihr erstes Buchprojekt war. Sabrina Hofer vom Verlag sagt, man unterstütze immer wieder junge Journalistinnen und Journalisten bei der Erstveröffentlichung. «Aline Wüsts Schreibstil kannten wir aus den Zeitungen und fanden, dass sie etwas kann.» Man sei sehr glücklich über das Resultat.
Emma erzählt, die Stadt in Rumänien, aus der sie komme, sei voller Zuhälter. Diese Männer liessen Frauen für sich arbeiten und täten so, als ob sie die Frau lieben. Aber ihr Freund sei anders.
Die Autorin sagt, dass sie, wenn sie abends von diesem einen Bordell zurückgekommen sei, auf dem Weg nach Hause geheult habe. «Ich habe oft erst beim Aussteigen aus dem Zug realisiert, was ich erlebt habe», sagt Wüst. «Prostitution beinhaltet so viele Dinge, die wir heute als Gesellschaft eigentlich nicht mehr tolerieren. Prostitution wird schöngeredet. Das macht mich wütend.»
Sie habe aufpassen müssen, dass ihr Männerbild nicht schlecht werde. Doch in den Freiern, mit denen sie sprach, konnte sie keine Monster sehen. Noah, 24, sagt im Buch, bei echten Beziehungen habe er Angst, dass sie scheitern und er die Frau verlassen werde, so wie sein Vater seine Mutter verlassen habe. Er wolle nicht so sein und niemanden verletzten. Deshalb gehe er ins Puff. «Ich bin gern dominant im Bett. Mit Prostituierten bin ich noch ein bisschen dominanter – an den Haaren packen, bisschen würgen.»
Am Strassenstrich in Olten setzte sich Wüst zu zwei mittelalterlichen Männern und schrieb auf. Roland: «Die meisten haben keine Lust und nur Geld im Kopf.» Hans: «Ich muss ehrlich sagen, die Gefühle einer Frau verlieren sich, also sexuell. Sie sind praktisch, wie soll ich sagen, sie sind hilflos. Es funktioniert schon. Aber man spürt, dass sie gar nicht richtig wollen.»
Von einem anderen Freier stammt der Buchtitel. «Piff, Paff, Puff» ist eine Anlehnung an den Abzählreim. Ein Mann sagte ihn auf, als er sich im Bordell nicht für eine der Frauen entscheiden konnte: «Azellä, Bölle schellä...»
Von Alexander Ott, der die Schweizer Prostitution aus ganz anderer Perspektive kennt, hat die Autorin Hintergründe erfahren: Ott ist Chef der Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei der Stadt Bern. Dort muss jede Frau vorbei, die in Bern anschafft. Laut Ott sind rund 95 Prozent aller Frauen Migrantinnen, etwa die Hälfte komme aus Osteuropa.
«50 bis 70 Prozent aller Frauen arbeiten aus unserer Sicht nicht unter offensichtlichem Zwang», sagt Ott. Und doch sagten die meisten, dass sie eine andere Arbeit machen wollten. «Der Grund, weshalb sie in der Schweiz sind, ist also Alternativ- und Perspektivlosigkeit.» Letztlich gehe es bei der Sexarbeit um Armut. «Sexarbeit ist legal. Und wenn es klare Rahmenbedingungen gibt, könne es vielleicht eine Möglichkeit sein, dass diese Frauen wieder auf die Beine kommen.»
Er findet die Tätigkeit trotzdem sehr prekär. Eine Ungarin traf Ott, als sie das erste Mal überhaupt anschaffen ging. «Sie war tough und wusste genau, was sie macht und was nicht.» Beim zehnten Mal in der Schweiz habe sie alles über sich ergehen lassen. Mit Sicherheit könne er sagen, dass er noch nie eine Frau getroffen habe, die diesen Beruf über längere Zeit ausübte und dabei gesund geblieben sei.
Unter den rumänischen Prostituierten gibt es viele Roma-Frauen. Ihnen sagten manchmal auch die männlichen Familienmitglieder: Du bist jetzt alt genug, geh in die Schweiz arbeiten und bring Geld heim. Ott sagt: «Es ist schwierig, den Zwang im Hintergrund zu sehen, wenn die Frauen sagen, sie tun es freiwillig. Denn, oft ist es ein normativer Zwang, den die Frauen selber nicht erkennen: Sie sind jung, haben früh ein Kind, kein Geld.»
Je mehr Frauen vorgestellt werden im Buch, desto deutlicher wird: Die Grenze zwischen normaler Prostitution und Zwangsprostitution ist fliessend. Und die Aussagen über den Job erschüttern. Wie Roxys Antwort auf die Frage, ob sie die Zeit in der Schweiz vergessen werde. Die 30-jährige Rumänin sagt:
Wo sind denn jene Frauen, die sonst in den Medien kommen und sagen, es sei ein Beruf wie jeder andere, sie machten es gerne, und man müsse Prostitution bloss enttabuisieren? Im Buch entspricht nur Manuela, eine 23-jährige Deutsche, in etwa diesem Bild. Hat die Autorin die anderen weggelassen? Aline Wüst sagt: «Ich habe solche Frauen nirgends angetroffen. Wahrscheinlich müsste man sie ganz bewusst suchen. Mein Ziel war es, die Realität der Mehrheit der Frauen in der Prostitution abzubilden. Manuela ist die Ausnahme. Und sie arbeitete erst seit drei Wochen als Prostituierte.»
Zora, eine Schweizerin, aufgewachsen als Waisenkind, heute 57, war keine Zwangsprostituierte. Und doch sagt sie:
Im Buch kommen alternative Modelle nur am Rande vor. Das Schwedische, in dem Freier bestraft werden, oder der Vorschlag, dass nur Frauen ab 30 Jahren, wenn sie psychisch unabhängiger sind, sich prostituieren dürfen. Wüst hat in dem Sinn kein politisches Buch geschrieben. Aber es ist es natürlich trotzdem. Sie selber findet: «Es ist nicht meine Aufgabe, die Lösung zu finden. Aber ich will, dass sich die Leute eine Meinung bilden und die Prostitution nicht weiter verdrängen.»
Guter Artikel und ein wichtiges Thema. Wer Facebook hat, dem kann ich die Seite "Huschke Mau" empfehlen.
Ebenso wird es nie einen Konsens geben welche Praktiken akzeptiert sind. Eine Dame im Text sagt, dass Finger in sie gesteckt werden und ihr ins Gesicht gespritzt wird. Nunja, ich kenne doch so einige Leute beider Geschlechter die das fordern beim ganz privatem Akt. Allerdings werden die nicht gezwungen.
Kurz, ich werde mir das Buch wohl zur Gemüte führen. Befürchte aber, dass die anschliessenden Diskussionen und Ergüsse wieder ein Sammelsurium von Extremen sein werden, endlos, radikal undurchdacht und nutzlos.