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Faktenchecker erklärt, welche 3 Gruppen am meisten Fake News verbreiten

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Fake News haben insbesondere in Krisen Hochkonjunktur. Bild: keystone
Interview

Ein Faktenchecker erklärt, welche drei Gruppen am meisten Fake News verbreiten

22.11.2020, 03:1222.11.2020, 12:45
Julia Dombrowsky / watson.de
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Spam, Internetbetrug, Hetznachrichten und Hoaxes – in den sozialen Netzwerken ist viel unterwegs, was weit weg von der Wahrheit ist und trotzdem gelikt und geteilt wird. Um dem entgegenzutreten, gründete sich 2011 der Verein Mimikama in Österreich, mit dem Ziel, Internetbetrug und Falschmeldungen im deutschsprachigen Raum zu bekämpfen.

«Wir sind im Ursprung von Nutzern für Nutzer entstanden», erzählt Andre Wolf, der zusammen mit 36 (grösstenteils ehrenamtlichen) Faktencheckern für den Verein arbeitet. Sie nehmen anonyme Hinweise über Nachrichten, Kettenbriefe und Links entgegen, prüfen sie auf den Wahrheitsgehalt und veröffentlichen dann ihre Ergebnisse. Inzwischen gehen jeden Tag Anfragen im dreistelligen Bereich bei ihnen ein.

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«Es begann mit klassischem Internet-Betrug und Spam, aber zunehmend wurden auch Verschwörungsmythen an uns herangetragen. Und weil es keinen gab, der diese Falschmeldungen für Privatleute einordnete, wurde auch das Teil unserer Aufgabe», berichtet er watson im Interview und erzählt weiter, woran man Falschnachrichten erkennt, wer sie in die Welt setzt und warum Covid-19 für eine Menge Fake News in den sozialen Netzwerken sorgt.

«Der Corona-Impfstoff bietet einen aktuellen Anlass, um an ganz alte Mythen wieder anzuknüpfen, die schon verinnerlicht sind.»

watson: Wie erkennt man eine Falschmeldung?
Andre Wolf: Der Mensch geht immer erstmal davon aus, dass das, was er liest und hört, wahr ist. Es dauert eine Weile, bis man ein Gefühl dafür entwickelt, ob etwas manipulativ dargestellt ist. Besonders weil die meisten Falschmeldungen nicht ausschliesslich falsch sind, sondern mit Teilwahrheiten arbeiten. Die Begriffe «falsch» und «richtig» sind deswegen irreführend, meist ist eine Meldung nicht komplett «falsch», sondern «falsch dargestellt».

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Video: watson/lea bloch

Wenn man ein ungutes Gefühl hat, lohnt es sich oft, den Absender anzuschauen und bei Websites das Impressum zu lesen, da erkennt man sehr schnell, wer seriös ist. Ist ein Impressum überhaupt vorhanden? Ist es transparent, mit Klarnamen und Kontaktmöglichkeit? Wenn nicht, ist das ein Warnsignal.

Wir erkennen Falschmeldungen inzwischen oft schon am Erzählkern, weil dieser sich meistens wiederholt, bestimmte Begriffe tauchen immer wieder auf. Typisch sind zum Beispiel Kettenbriefe, die oft schon Jahre alt sind und plötzlich wieder hochkommen. Leider sind Falschnachrichten nicht einmal gelernt, sondern müssen immer wieder neu aufgeklärt werden.

«Telegram hat in den letzten Monaten sehr an Stärke gewonnen. Das ist für uns Faktenchecker schwierig, da Gruppen dort in geschlossenen Räumen kommunizieren.»

Auf welchen Kanälen kursieren besonders häufig Falschmeldungen?
Falschmeldungen verbreiten sich über mehrere Kanäle hinweg. Wir sehen, dass viele Diskussionen über Twitter und Reddit beginnen und dann mit einiger Verspätung bei Facebook auftauchen. Bei Facebook hat die Aktivität in den letzten Jahren insgesamt ein wenig abgenommen, dafür spielen die Messenger-Dienste zunehmend eine Rolle.

Telegram hat in den letzten Monaten sehr an Stärke gewonnen. Das ist für uns Faktenchecker schwierig, da Gruppen dort in geschlossenen Räumen kommunizieren und was da verbreitet wird, bekommt man nicht mit. Wir können nur darauf hoffen, dass sich Chat-Teilnehmer bei uns melden, wenn sie etwas Problematisches in der Diskussion sehen. Und: In den Messengern sind auch die Absender noch anonymer. Man weiss eigentlich nie, wer sich hinter dem Verfasser einer Nachricht verbirgt.

Wer schickt Falschmeldungen denn überhaupt in die Welt?
Wir konnten drei verschiedene Gruppen ausmachen: Erstens sind da die Menschen, die Dinge beobachten, aber sie falsch verstehen. Die wollen im guten Glauben anderen Menschen helfen und setzen so Gerüchte in die Welt. Ganz typisch hierfür sind WhatsApp-Elterngruppen, das sind wahre Inkubationsherde für Falschmeldungen. Da schreibt einer: «Vorsicht! Ich habe heute einen verdächtigen, weissen Lieferwagen vor der Schule stehen sehen.» Und schon ist die Nachricht im Umlauf, es gäbe einen Kindsentführer in der Stadt.

Was ist die zweite Gruppe?
Die zweite Gruppe sind Trollereien oder Satiren. Da werden bewusst Falschmeldungen gestreut, um die Leute reinzulegen. Satire ist meist professionell aufgebaut und gibt den Scherz am Ende zu, trotzdem fallen selbst Politiker darauf rein. Trolle wiederum sind Privatpersonen, die schlicht Spass daran haben, einen Scherz in die Welt zu setzen und dann zuschauen, wie er kursiert und für Unruhe sorgt, wie zum Beispiel den über HIV-Spritzen, die angeblich in Kinosesseln liegen.

«WhatsApp-Elterngruppen sind wahre Inkubationsherde für Falschmeldungen.»

Die dritte Gruppierung ist politisch motiviert und nutzt bewusste Manipulation. Oft verwenden sie dafür Halbwahrheiten, wir nennen das Hybridfälschung. Sie nehmen beispielsweise ein altes Foto und setzen es mit einem aktuellen Anlass in Verbindung oder zeigen nur einen Bild-Ausschnitt, der das Geschehene verzerrt: So wird aus einer Demonstration mit 20'000 Teilnehmern plötzlich eine Millionenveranstaltung. Sie picken sich also Teilwahrheiten raus, missinterpretieren sie ganz bewusst und streuen so manipulative Inhalte.

Wie genau geht ihr beim Faktencheck vor?
In den allermeisten Fällen haben wir in unseren Archiven schon Informationen zum selben Themenfeld, denn wie ich schon sagte, wiederholen sich die Narrative meist. Abgesehen davon leisten wir simple Suchmaschinenarbeit, auch wir haben leider keinen Einhornstaub. Wir schauen zuerst nach, wer noch über diese Nachricht berichtet hat, wann das war und wie vertrauenswürdig diese Quellen sind. Kommt eine Meldung aus der Lokalzeitung, kann man beispielsweise davon ausgehen, dass ein Reporter direkt vor Ort war und es aus erster Hand hat – das ist erst einmal gut.

Die Bildersuche bei Google ist auch hilfreich, das ist so simpel, dass es auch Privatpersonen können. Man lädt ein verdächtiges Bild hoch und schaut, wo es vorher schon auftauchte und in welchem Zusammenhang – so erkennt man meist schnell, ob Aufnahmezeit und -ort überhaupt zur Meldung passen.

Wenn wir herausgefunden haben, ob Foto oder Text aus dem Zusammenhang gerissen sind, publizieren wir, was wir herausgefunden haben, damit alle Teilnehmer das sehen können. Wir melden nichts der Polizei, ausser natürlich wir stolpern bei der Arbeit über schwerwiegende Dinge wie Kinderpornografie oder Morddrohungen, das ist aber glücklicherweise sehr selten passiert.

Hat die Corona-Pandemie zu mehr Falschmeldungen geführt?
Ja. Grundsätzlich gelangen immer, wenn etwas passiert, das viele Menschen betrifft, auch schnell Falschmeldungen ins Fahrwasser der Internet-Diskussion. Das ist sehr typisch. Nach der Flüchtlingskrise konnten wir dieses Phänomen über einen sehr langen Zeitraum beobachten, aber auch die Coronapandemie ist ein extremes Ereignis, das viele Menschen emotional beschäftigt. Wenn ein Thema viel diskutiert wird, kommt es immer auch zu vielen Fehlinformationen.

Auch der neue Covid19-Impfstoff sorgt für viele Gerüchte und Diskussionen in sozialen Netzwerken. Ist das so ein Klassiker, der geradezu nach Falschmeldungen schreit?
Es ist ein Klassiker, das stimmt. Diese Impfskepsis gibt es ja nicht seit gestern, die wurde absichtlich durch verschiedene Verschwörungsmythen aufgebaut. Nicht totzukriegen ist zum Beispiel das Gerücht, Impfungen würden Autismus auslösen. Die Studie, auf die man sich beruft, kommt aus den 90er-Jahren und obwohl sehr schnell klar war, dass sowohl die zwölf Studienteilnehmer gefaked, als auch der Studienleiter Andrew Wakefield gekauft war, hält sich die Geschichte seit Jahrzehnten. Dazu kommt dann, dass über den Corona-Impfstoff schlecht kommuniziert wird.

Inwiefern?
Man muss den Menschen deutlich erklären, wie es möglich ist, einen Impfstoff so schnell zugänglich zu machen, während andere Impfstoffe Jahre bis zur Zulassung brauchen. Der Grund sind nicht fehlende Tests, sondern bürokratische Schranken, die jetzt sehr schnell aufgehoben wurden. Das muss besser vermittelt werden.

Der Corona-Impfstoff bietet also einen aktuellen Anlass, um an ganz alte Mythen wieder anzuknüpfen, die schon verinnerlicht sind. Der Leser schaut die Nachricht an und denkt: «Stimmt. Das Impfungen schädlich sind, habe ich doch schon mal gehört.» Gerade diese Vertraulichkeit der Geschichte, macht es für den Leser dann plausibel und lässt ihn schneller glauben, dass auch der Covid-19-Impfstoff schädlich sein könnte.

Das heisst, gerade weil die Geschichte schon mal da war, wirkt sie authentisch?
Ganz genau. Die Geschichte ist schon gelernt und wird in einen neuen Zusammenhang gepresst. Die meisten der Fake News bauen auf Mythen auf, die überhaupt nicht neu sind, manche sind sogar hunderte von Jahren alt: Die «Adrenochrom»-Legende von Xavier Naidoo ist so eine Sache. Er behauptet ja, dass «die Eliten» Kinder entführen würden, um sie für Ritualmorde zu nutzen. Dabei handelt es sich um eine uralte Legende, die bereits im Mittelalter entstand, um Juden zu verunglimpfen. Es ist erstaunlich, dass solche Geschichten auch hunderte von Jahren später wieder in neuer Form auftauchen. Ähnlich verhält es sich mit dem vorher erwähnten weissen Lieferwagen, über den sich Eltern sorgen. Weisse Lieferwagen werden mit osteuropäischen Fahrern assoziiert. Da kommen dann ganz alte Vorurteile zum Vorschein – das müssen Kriminelle sein.

Funktioniert Ihre Arbeit denn? Kann man Menschen von Fakten überzeugen?
Wer wirklich schon an Verschwörungsmythen glaubt, glaubt nicht mehr an unseren Faktencheck. Im Gegenteil: Sie machen jeden, der den Verschwörungsmythos angreift, zum Teil des Verschwörungsmythos, nach dem Motto: «Schau, den haben sie auch schon gekauft!» Wen man aber erreichen kann, sind all jene, die nicht ganz wissen, was dahinter steckt. Dafür ist es wichtig, den Lesern den Zusammenhang und die ganze Geschichte zu erläutern, nicht nur die trockenen Fakten. Wir erklären immer auch, woher der Mythos stammt, wie er sich zusammensetzt und warum die Querverbindung so nicht korrekt ist.

«Wir beobachten, dass sich Männer ab 45 Jahren schwerer tun, Falschmeldungen einzugestehen und eventuell ihren eigenen Standpunkt zu überdenken.»

Wer fällt denn klassischerweise auf Falschmeldungen rein? Passiert das jungen Menschen weniger?
Grundsätzlich fällt man schneller auf Falschmeldungen herein, wenn man vom Thema stark persönlich betroffen ist und ein ängstlicher Typ ist. Wir haben dazu nie Erhebungen gemacht, beobachten aber, dass sich Männer ab 45 Jahren schwerer tun, Falschmeldungen einzugestehen und eventuell ihren eigenen Standpunkt zu überdenken und zu revidieren. Die jüngeren Menschen sind mit sozialen Medien aufgewachsen, ihnen ist bewusster, dass nicht alles, was dort steht, der Wahrheit entspricht. Die fallen zwar auch mal rein, können sich dann aber korrigieren und sagen: «Ups. Das waren wohl Fake News.» Viele ältere Personen können sich das schwerer vorstellen und nicht so einfach zugeben, dass sie einer Falschnachricht Glauben geschenkt haben.

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64 Kommentare
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paulmole
22.11.2020 09:27registriert August 2016
Gruppe 4 ist der Präsident der USA
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dmark
22.11.2020 12:12registriert Juli 2016
Es wird immer gerne so hingestellt, dass nur die Jugend das Internet verstehen würde, aber dabei ganz vergessen wird, dass es in der "alten Generation" genügend Leute gibt, die "das Ding" aufgebaut und mit entwickelt haben :D
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mMn
22.11.2020 12:41registriert September 2020
"Was steht im Impressum? Hat es überhaupt ein Impressum?" Die Zielgruppe von Fakenews hat das Wort "Impressum" nicht einmal im Wortschatz. Das Problem ist, dass jene die darauf reinfallen, gar nichts anderes lesen und glauben wollen.
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