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Ab in den Süden! Deutschland baut eine 800 Kilometer lange Stromstrasse – und die Schweizer ABB weibelt um den Auftrag

Windpark in Deutschland.
Windpark in Deutschland.Bild: EPA/DPA

Ab in den Süden! Deutschland baut eine 800 Kilometer lange Stromstrasse – und die Schweizer ABB weibelt um den Auftrag

Eine riesige Trasse soll Strom in den Süden bringen. Die Chancen steigen, dass ABB die Leitung baut.
30.06.2015, 06:30
Fabian Hock / Aargauer Zeitung
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Aargauer Zeitung

Das Herz der Energiewende in Deutschland schlägt im Norden. An der Küste haben unsere Nachbarn Milliarden in Windparks investiert, die nach dem Atomausstieg im Jahr 2022 das Land mit Energie versorgen sollen. Jetzt tut sich allerdings eine Hürde auf, die das gesamte Projekt scheitern lassen könnte.

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Das Problem: die Muskeln, die Fabriken also, die einen grossen Teil dieser Energie brauchen, sitzen im Süden und damit sehr weit vom Herzen entfernt. Heute wird die Automobilindustrie und andere stromhungrige Produzenten in Baden-Württemberg und Bayern von nahegelegenen Atom- und Kohlekraftwerken versorgt. Künftig sollen sie ihre Energie zu einem grossen Teil aus dem Energiewende-Herz beziehen.

Dafür braucht es Leitungen. Angesichts der riesigen Strommengen – dicke Leitungen. So wie die Aorta im menschlichen Körper das Blut vom Herzen in die Oberschenkel leitet, braucht auch die deutsche Stromversorgung eine Hauptschlagader: den Suedlink. Eine geplante 800 Kilometer lange Stromtrasse von der Nordsee bis nach Bayern. Doch ausgerechnet dort, wo man wohl am meisten von der Energie-Aorta profitieren würde, will man sie nicht haben. Zumindest nicht im eigenen Vorgarten. Die Bevölkerung Bayerns protestiert lautstark gegen die geplanten riesigen Strommasten.

Unter die Erde

Energieminister Sigmar Gabriel hat jetzt eine Lösung für das Problem vorgeschlagen: Er will die Leitung bodigen – und zwar wortwörtlich. Denn statt überirdischen Leitungen sollen vermehrt Erdkabel verlegt werden. Diese sind zwar deutlich teurer, aber wenn sie einmal liegen, stören sie nicht mehr. Um die wütende Bevölkerung zu besänftigen vollzieht Gabriel nun eine Kehrtwende, denn bisher hatte man den Freileitungen den Vorzug gegeben, um die Kosten einigermassen überschaubar zu halten. Nun soll «zuerst nach den Möglichkeiten der Erdverkabelung» gesucht werden, «damit wir schneller vorankommen», zitiert die «Frankfurter Allgemeine» den Energieminister.

Elektrische Leitungen werden in den Boden verlegt.
Elektrische Leitungen werden in den Boden verlegt.Bild: Getty Images Europe

Bei der Schweizer ABB hat man besonders aufgehorcht, als Gabriel letzte Woche den Kurswechsel vollzog. Denn: Wenn es darum geht, wer diese Erdkabel liefern kann, kommt derzeit eigentlich nur ABB infrage.

Den Auftrag zur Anbindung des deutschen Stromnetzes an Norwegen im Wert von 900 Millionen US-Dollar hat ABB bereits im März gewonnen. Der Konzern verlegt eine 600 Kilometer lange Unterwasserleitung, den Nordlink. Dieser soll deutsche Wind- und Solarkraftwerke mit norwegischen Pumpspeicherkraftwerken verbinden, um den Ausgleich von Schwankungen möglich zu machen.

Letztes Jahr hat ABB eine Weiterentwicklung präsentiert: Ein Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Kabelsystem (HGÜ) mit einer Spannung von 525 Kilovolt (kV). Vergleichbare Kabel kommen laut ABB nur auf 320 kV. Das System kann dank der neuartigen Isolierung mehr Strom bei geringerem Gewicht, niedrigeren Kosten und weniger Übertragungsverlusten transportieren.

Konkurrent Siemens spielt auf heimischem Boden

«Wenn das Kabel morgen ausgeschrieben wird, kommt nur ABB infrage.»
Panagiotis Spiliopoulos, Bank Vontobel

Für Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Research bei der Bank Vontobel, ist klar: «Wenn das Kabel morgen ausgeschrieben wird, kommt nur ABB infrage.» Sollte sich das Ganze aber noch über Jahre strecken, könnten andere Anbieter nachziehen. ABB selbst lässt derweil wissen: Man verfolge «die aktuellen politischen Entwicklungen mit grossem Interesse».

Ulrich Spiesshofer, CEO der ABB.
Ulrich Spiesshofer, CEO der ABB.Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS

Ganz in der Tasche hat ABB den Auftrag dennoch nicht — schliesslich spielt Konkurrent Siemens laut Spiliopoulos bei Suedlink auf heimischem Boden und könnte deshalb gewisse Vorteile haben. Der Münchner Konzern produziert selbst keine Kabel, sondern bezieht diese von Zulieferern. «Das ist allerdings kein Grund, bei Suedlink nicht mitzubieten», erklärt Sprecherin Fabienne Schumacher. Bei den HGÜ-Projekten in der deutschen Nordsee seien Kabel teils auch separat ausgeschrieben worden. «Hier hat Siemens vier Aufträge im Konsortium mit Kabellieferant Prysmian gewonnen und diese bereits erfolgreich übergeben.»

Panagiotis Spiliopoulos hält es zudem für wahrscheinlich, dass nicht ein Unternehmen allein den Auftrag für den Bau des Suedlinks erhält. Vielmehr könnte ein Bewerber die Kabel liefern, ein anderer dafür die Konvertertechnologie. Trotzdem hätte ABB gute Chancen, einen grösseren Teil abzubekommen, je mehr Erdkabel gebraucht werden, so der Vontobel-Analyst — vorausgesetzt die deutsche Regierung macht Gabriels Ankündigung wahr. An diesem Mittwoch soll darüber beraten werden.

Jetzt auf

Segeln in schwerer See

In jedem Fall nehme ABB die politischen Signale aus Deutschland positiv auf, sagt Spiliopoulos. Das tut dem Konzern durchaus gut, segele man doch gegenwärtig «in schwerer See», wie Konzernchef Ulrich Spiesshofer kürzlich sagte. Gründe seien das langsame Wirtschaftswachstum in China, geringe Investitionen in der Gas- und Ölindustrie und der schwächere US-Markt. An den Zielen bis 2020 — unter anderem ein Umsatzwachstum von vier bis sieben Prozent — wolle man jedoch festhalten.

Auch Spiliopoulos sieht ABB mit Schwierigkeiten konfrontiert — im Vergleich zum Frühjahr seien jedoch kaum neue hinzugekommen. Daran ändere auch die Griechenland-Krise nichts. Diese müsse allenfalls als Teilentschuldigung herhalten, sollten die Halbjahreszahlen schlechter ausfallen als gedacht. Wirkliche Auswirkungen habe sie jedoch nicht.

Von einer Abspaltung der Energiesparte, wie sie in letzter Zeit öfter diskutiert wird, sei ABB ebenfalls weit entfernt. Spiliopoulos sieht sie «überhaupt nicht». (aargauerzeitung.ch)

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