Das Scheitern der Jamaika-Sondierung
kommt einem politischen
Erdbeben gleich. Sind Sie
erschrocken?
Hans-Christian Ströbele: Nein. Ich
vermute, dass der Ausstieg von der
FDP schon länger geplant war. Das
Scheitern bedauere ich nicht.
Sie glauben, die FDP will die Ära
Merkel damit beenden?
Ich denke eher, dass die FDP im
Laufe der Sondierungen für sich entschieden
hat, dass sie in der Opposition
besser aufgestellt ist als in einem
solch problematischen Bündnis.
Ich bin übrigens auch der Meinung,
dass bei Jamaika etwas zusammengewachsen
wäre, was nicht
zusammengehört. Auch aus Sicht
der Grünen.
Wie weiter?
Ich bin für eine Minderheitsregierung.
Sie bietet die Möglichkeit, die
Bedeutung des Parlaments und der
einzelnen Bundestagsabgeordneten
zu stärken – und damit auch die Demokratie.
Es ist grundsätzlich gut
für die Demokratie, wenn sich eine
Regierung im Parlament Mehrheiten
durch Überzeugungsarbeit suchen
muss.
Das Parlament würde gestärkt,
die Abgeordneten ebenfalls. Das
trifft auch auf die Fraktion der
Alternative für Deutschland zu.
Das ist kaum in Ihrem Sinne.
Das muss keine Stärkung der AfD bedeuten.
Beispiel Kriegseinsätze: Die
Union holt sich ihre Mehrheiten zu
den Stimmen der Union bei SPD
und FDP. In Fragen zu Sozial- oder
Umweltpolitik kommt die Regierung
dann auf die Grünen zu. Ohnehin
wäre es der richtige Weg, der AfD zu
begegnen, indem wir eine transparente,
ehrliche Politik machen. Der
Frust vieler Wähler fusst ja auch auf
der Annahme, dass die herrschenden
Parteien nicht mehr in der Lage
sind, Probleme der Zeit zu lösen –
weder in Deutschland noch in Europa.
In einem lebendigen Parlamentsbetrieb
könnte man diese These
durch ehrliche, erfolgreiche Politik
widerlegen. Bei Neuwahlen in ein
oder zwei Jahren werden dann jene
Parteien von den Wählern belohnt,
die am ehrlichsten und am besten
Politik betrieben haben.
Allerdings wäre eine solche Regierung
instabil.
Nicht unbedingt. Die Jamaika-Sondierungen
haben ja gezeigt, dass
zwischen den vier Parteien in etlichen
Punkten auch Konsens
herrscht. Also ist die Regierung
dank dieser Mehrheit schon einmal
handlungsfähig. In strittigen Punkten
wird dann um Mehrheiten gerungen.
Ich sage nicht, dass eine
Minderheitsregierung ideal wäre –
aber zumindest vorübergehend
kann sie die Politik den Wählern
transparenter machen und zeigen,
dass sie ihre Anliegen ernst nimmt.
Wenn wir Sie richtig interpretieren:
Sie wünschen sich ein Bündnis
aus Union und Grünen?
Wenn sich zwischen Union und Grünen ein Minimalkonsens finden
lässt, warum dann für diesen Bereich
nicht.
Zur SPD: Sie weigert sich, einer
Grossen Koalition den Weg zu bereiten.
Aus nachvollziehbaren
Gründen? Die Wähler haben die
Grosse Koalition schliesslich
deutlich abgewählt.
Die Reaktion der SPD unmittelbar
nach den Bundestagswahlen war
nachvollziehbar. Inzwischen verfolgt
die SPD aber offenkundig vor
allem Parteiinteressen. Sie verweigert
sich nicht in erster Linie wegen
des Wählerwillens einer Grossen
Koalition, sondern weil sie hofft, in
der Opposition an Profil hinzuzugewinnen
und die Partei zu stärken.
Die SPD stellt ihre eigenen Interessen
über die Interessen des Landes.
Zum Szenario Neuwahlen. Würden
diese das rasche Ende der
Ära Merkel bedeuten?
Das Ende der Kanzlerschaft von Angela
Merkel wurde bereits durch das
Ergebnis der Bundestagswahlen eingeläutet.
Jetzt kann Merkels politisches
Ende in der Tat sehr rasch
kommen. Frau Merkel wird sich
meiner Meinung nach nicht mehr
lange an der Regierungsspitze halten
können.