Schweiz
Coronavirus

Eisenbahn oder Flugzeug: Welchem Verkehrsmittel nützt die Corona-Krise?

Wie werden wir künftig in die Ferien verreisen?
Wie werden wir künftig in die Ferien verreisen?bild: shutterstock

Eisenbahn oder Flugzeug: Wem nützt die Corona-Krise?

Die Bahn hofft, dass sie den Airlines nach der Pandemie Passagiere abluchsen kann. Doch die Billigflieger sind bereit für eine Rabattschlacht.
18.04.2020, 11:0825.05.2020, 11:22
Stefan Ehrbar / CH Media
Mehr «Schweiz»

Eine Zugreise ins Ausland gleicht manchmal einer Reise in die Vergangenheit. Im Eurocity von Zürich nach München verstreicht die Zeit quälend langsam. Der Zug schleicht mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 66 km/h seinem Ziel entgegen. In St.Margrethen, Memmingen oder Buchloe steigen jeweils eine Handvoll Passagiere zu. In Lindau wird eine Diesellok angehängt. Fast fünf Stunden braucht der Zug für die gut 300 Kilometer lange Strecke.

epaselect epa06208022 Visitors cheer inside the Hofbraeu tent during the opening of the 184rd edition of the traditional Oktoberfest beer and amusement festival in the German Bavaria state's capi ...
Ob es in diesem Herbst ein Oktoberfest geben wird, ist zu bezweifeln.Bild: EPA

Bald sind solche Szenen Vergangenheit. Ab Ende 2021 legt der Eurocity den Weg in nur dreieinhalb Stunden zurück. Neue Züge bieten mehr Sitzplätze. An Bord gibt es WLAN und Service am Platz in der 1. Klasse. Die Züge fahren bis siebenmal täglich pro Richtung.

Österreich entstaubte die Nachtzüge

Diese Modernisierung ist exemplarisch für den internationalen Personenverkehr auf der Schiene. Nachdem die Passagierzahlen viele Jahre stagnierten oder gar zurückgingen, geht die Bahn in die Offensive. Unterstützt wird sie von einer lauter werdenden Klimabewegung, deren Argumente die Bahn geschickt in ihr Marketing aufnimmt.

Hinzu kommen Ausbauten und Investitionen: Mit dem Gotthard- und dem Ceneri-Basistunnel werden die Fahrzeiten nach Italien deutlich verkürzt und auf den Strecken nach Frankreich fahren mehr und grössere TGV-Züge. Nach Deutschland kommen die ICE-Züge der neusten Generation zum Einsatz. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) haben die Nachtzüge quer durch Europa aus ihrem Winterschlaf geholt. Sie zielen auf ein junges Publikum, dem einfache Online-Buchung wichtiger ist als Eisenbahn-Romantik.

Die Bemühungen haben sich bisher ausgezahlt. Die Verkehrsleistung der SBB im internationalen Personenverkehr stieg 2019 um sieben Prozent. Im Jahr zuvor war noch ein Rückgang zu verzeichnen. Nun stehen die Auslandszüge aber vor einer Zäsur. Seit dem Ausbruch der Coronakrise fahren weder Eurocitys, Nachtzüge noch ICEs. Wie lange noch Reisebeschränkungen gelten, weiss niemand. Und die Feuerprobe steht erst bevor: Erholt sich der Zugverkehr nach der Krise? Kommen die Passagiere zurück oder setzen sie wieder vermehrt auf Billigflieger?

Ausbau von Zugverbindungen pausiert

Fürs Erste dürften Ausbaupläne für neue Auslandsverbindungen auf Eis gelegt werden. Ein SBB-Sprecher antwortet auf eine entsprechende Frage ausweichend: «Die anhaltenden Auswirkungen des Lockdowns werden in die Überlegungen einbezogen», sagt er mit Blick aufs künftige Angebot. Die ÖBB gehen davon aus, dass es «sicher einige Zeit dauern wird, bis die Fahrgastzahlen auf das Niveau vor der Krise ansteigen werden.» Wann das der Fall sei, sei noch nicht absehbar. Bei der Deutschen Bahn will ein Sprecher noch nicht einmal eine vage Prognose wagen: Das sei «schlichtweg unmöglich».

Timo Ohnmacht ist Verkehrssoziologe an der Hochschule Luzern. Er ist sich sicher, dass die Krise überwunden wird. Er vermutet, dass nach der Krise die Nachfrage nach Auslandsreisen sogar kurzfristig steigt. Eine genaue Prognose sei zwar nicht möglich. «Aus Zeitreihenanalysen ist aber bekannt, dass Krisen wie die Terroranschläge vom 11. September, Naturkatastrophen oder regionale Instabilitäten und Kriege nur vorübergehend waren.» Touristische Aktivitäten pendelten sich nach einer Krise wieder auf dem üblichen Niveau ein.

«Die Krise ist eine Chance für die Bahn»

Ohnmacht sagt, wir seien künftig im gleichen Mass mobil, aber mit anderen Ansprüchen an Anbieter und Mitreisende. «Hygiene wird stärker eingefordert. Dazu gehören kontaktloses Bezahlen oder Stoffbezüge für die Kopflehne.» Die Krise könne für die Bahn eine Chance sein: «Das Verhalten der Menschen hat sich nun angepasst. Die Frage ist, wie die Nachfrage durch attraktive Angebote wieder in Schwung gebracht werden soll. Die Bahn hat die Chance, sich neu zu positionieren.» Auch Vertreter der Bahnen hoffen, dass ihnen die Krise in die Karten spielt. SBB-Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar sagte letzte Woche: «Das Bedürfnis, über die Grenze hinaus zu reisen, wird nicht verschwinden. Das wird in Europa vermehrt mit der Bahn geschehen.»

epa08368413 View of the emtpy airport in Zurich, Switzerland, 17 April 2020. A large number Swiss International Air Lines have grounded planes due to the spread of the SARS-CoV-2 coronavirus which cau ...
Selten dürften die Schlangen vor dem Check-In-Schalter kürzer gewesen sein.Bild: EPA

Bisher setzten Schweizer auf Reisen mit Übernachtungen deutlich häufiger auf das Flugzeug als den Zug: 2018 war das Flugzeug zu 31,5 Prozent das Hauptverkehrsmittel, der Zug nur zu 17,1 Prozent. Züge haben im Wettbewerb bei Destinationen gute Chancen, die in bis zu vier Stunden Fahrzeit erreichbar sind. Verkehrsexperte Ohnmacht plädiert nun dafür, den Airlines in der jetzigen Situation keine Staatshilfen zu geben. «Es wäre wünschenswert, dass der Markt das nun regelt ohne finanziellen Zustupf von Regierungen. Das käme auch dem Klima zugute.» Airlines kalkulierten zu knapp und ihre Tickets seien zu günstig, «weshalb sie schon bei kleinsten Nachfragerückgängen ins Wanken geraten.»

Nach der Krise die Rabattschlacht?

Doch die Konkurrenz aus der Luft verschwindet kaum. Einerseits gilt es als ausgemacht, dass der Staat Airlines hilft – in der Schweiz etwa mit Krediten für die Swiss, Edelweiss und Easyjet Switzerland. Andererseits sind gerade Lowcost Carrier, also Billigflieger wie Easyjet, Ryanair oder Wizz Air, gut kapitalisiert. Easyjet gab am Donnerstag bekannt, die flüssigen Mittel auf fast 4 Milliarden Euro zu erhöhen. Die Airline könnte neun Monate überstehen, ohne auch nur einen Flug durchzuführen.

Laut einer Analyse von Bernstein Research hätte Wizz liquide Mittel, um fast drei Jahre Flugstopp zu überstehen, Ryanair würde das Geld nach zwei Jahren ausgehen. Sie stehen damit viel besser da als die grossen Netzwerkairlines wie Lufthansa mit der Swiss, Air France-KLM oder IAG mit British Airways und Iberia.

Billigflieger dürften nach der Krise die Nachfrage mit Kampfpreisen ankurbeln. Ihre tiefe Kostenbasis hilft dabei. Easyjet hat bereits den Flugplan für den Winter veröffentlicht. Ab Zürich fliegt die Airline für 34 Franken nach London, für den Flug von Basel nach Berlin verrechnet sie noch 20 Franken. Mit dem Zug kostet diese Verbindung mindestens das Dreifache. Gegen solche Preise ist aber nicht nur die Bahn machtlos, sondern auch Swiss und Co.

epa08331752 A large number of Swiss International Air Lines aircrafts and easyJet aircrafts are parked on the tarmac of the Geneve Aeroport, in Geneva, Switzerland, 30 March 2020. EasyJet, a British l ...
Billigflieger werden ihre Preise kaum erhöhen.Bild: EPA

Nachfrage noch jahrelang gedämpft

Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St.Gallen, glaubt, dass Billigflieger im Vorteil sind. «Sie betreiben einzelne Flüge von einem Punkt zum anderen. Ein solcher Betrieb lässt sich schneller wieder hochfahren als der einer Netzwerkairline wie der Swiss.» Bei dieser sei die Wiederaufnahme eines Langstreckenflugs nur möglich, wenn auch Zubringerflüge auf der Kurzstrecke funktionierten.

Laesser glaubt nicht an eine rasche Erholung. Er sagt, die Krise und ihre Auswirkungen würden die Nachfrage nach Mobilität jahrelang dämpfen, und zwar auf der Schiene wie auch in der Luft. «Geschäftsreisen könnten noch für längere Zeit stark reduziert werden», sagt er. «Viele Firmen setzen nun Kostensparprogramme durch.» Schon vor der Krise habe sich eine Abkühlung abgezeichnet. Auch Private stünden auf die Bremse: «Dass man nicht mehr so viel Geld für Aktivitäten wie Ferien oder Freizeit ausgeben will, wird noch eine Weile andauern.»

epa08336597 A sign reading 'Forbidden beach' hangs on a barrier placed on the beach of Pampelonne in Ramatuelle, southern France, 01 April 2020. France is under lockdown in an attempt to sto ...
Irgendwann werden Frankreichs Strände wieder besucht werden können.Bild: EPA

«Im Zug ist es einfacher, Abstand zu halten»

Hinzu komme, dass die Krise Jüngere überproportional treffe. «Sie leiden am meisten unter Kurzarbeit und Entlassungen.» Diese Gruppe habe aber das Wachstum bei Billigfliegern und Zugreisen in der Vergangenheit stark genährt. Einen leichten Vorteil habe die Bahn, sagt Laesser: «Im Zug ist es viel einfacher, grössere Abstände zu halten. Schlussendlich könnte die Schiene im Wettbewerb davon profitieren.»

Eine rasche Erholung sieht auch die betroffene Branche nicht. Eine Swiss-Sprecherin sagt etwa: «Nach unserer Einschätzung wird es Jahre dauern, bis die weltweite Nachfrage nach Flugreisen wieder dem Vorkrisen-Niveau entspricht.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Diese Airlines sind wegen Corona gegroundet (Auswahl)
1 / 14
Diese Airlines sind wegen Corona gegroundet (Auswahl)
Da blutet das Aviatiker-Herz: Gegroundete Swiss-Airbusse stehen auf dem Flughafen Dübendorf herum.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Der CO2-Fussabdruck von Herr und Frau Schweizer ist massiv
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
3
Er ist Secondo, Hauptmann und Filmemacher – und würde sofort für die Schweiz sterben
Luka Popadić ist Filmemacher und Offizier in der Schweizer Armee. Er würde sein Leben für die Schweiz geben. Aber er prangert auch ihre Missstände – die er als serbischer Secondo sieht – an. In seinem neuen Film behandelt er genau diesen Zwiespalt.

«Echte Schweizer» – so heisst Luka Popadićs Dokumentarfilm, der nächste Woche in die Schweizer Kinos kommt. Acht Jahre gingen die Arbeiten für den Film. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, was es bedeutet, ein «echter Schweizer» zu sein – und im Kontext der Schweizer Armee.

Zur Story