Am Donnerstagmorgen wird Thomas Jordan den Entscheid aus der vierteljährlichen «geldpolitischen Lagebeurteilung» der Nationalbank (SNB) verkünden. Um Punkt zehn Uhr werden die Blicke der Devisenhändler rund um die Welt auf den Präsidenten des Direktoriums gerichtet sein.
Das Interesse konzentriert sich auf eine Frage: Belässt die SNB die Zinsen weiterhin auf dem Rekordtief von minus 0.75 Prozent oder wird sie den Leitzins angesichts der positiven konjunkturellen Entwicklung vielleicht doch anheben?
Die Einführung der Negativzinsen jährt sich bald zum vierten Mal. Am 18. Dezember 2014 drückte die SNB die Leitzinsen erstmals in den negativen Bereich (auf minus 0.25 Prozent). Nur wenige Wochen später, am 15. Januar 2015, hob sie dann völlig überraschend den Euro-Mindestkurs auf und senkte die Zinsen noch weiter ab, auf minus 0.75 Prozent, wo sie heute noch liegen.
Der SNB-Entscheid löste ein Chaos an den Finanzmärkten aus. Das Direktorium musste scharfe Kritik einstecken. Industrielle, Gewerkschafter und Touristiker schlugen Alarm. Man befürchtete einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen. Auch Exponenten des Finanzplatzes kamen aus der Reserve. Nicht wegen der Aufhebung des Mindestkurses, sondern wegen der Negativzinsen, die die SNB auf den Giroguthaben der Banken erhebt.
Insgesamt dürften die Finanzinstitute bislang rund fünf Milliarden Franken an die SNB abgeliefert haben. Den Grossteil dieses Obolus mussten selbstredend die Kunden bezahlen. Dennoch fielen die Kosten teilweise auch auf die Banken zurück. Für Herbert Scheidt, den Präsidenten der Bankiervereinigung, sind das Gelder, die nun fehlen würden, etwa für Investitionen in die Digitalisierung.
«Die Negativzinspolitik hat das Ziel der SNB, den Franken zu schwächen, erreicht», sagt Oswald Grübel zur Redaktion ch media. Laut dem legendären Ex-Chef von UBS und Credit Suisse ist der volkswirtschaftliche Nutzen der Massnahme aber nicht erwiesen. «Ob wir Arbeitsplätze wegen des vorher starken Frankens verloren hätten, ist meiner Ansicht nach nicht einwandfrei nachzuweisen und zudem muss man den ‹Preis›, der dafür bezahlt wurde, berücksichtigen», sagt er.
Damit meint er vor allem die geschrumpften Vermögen durch den geschwächten Franken. Die Negativzinsen hätten «grossen Schaden angerichtet bei den Vorsorge-Institutionen und bei dem Gesamtvermögen des Volkes. Es ist weniger gewachsen, als es sonst wäre.»
Kurt Schiltknecht, der frühere Chefökonom der Nationalbank, vertrat kürzlich in einem Gastbeitrag in der «NZZ» die Ansicht, dass eine Normalisierung der Geldpolitik in der Schweiz überfällig sei. «Wenn nicht jetzt, wann dann», laute die Frage, welche die SNB nun beantworten müsse.
Denn trotz ausgezeichneter Wirtschaftslage halte sie an den Negativzinsen fest und «unternimmt nicht einmal einen schüchternen Versuch, ihre aufgeblähte Bilanz abzubauen», kritisierte Schiltknecht, der als langjähriger Partner des Bankiers und Grossinvestors Martin Ebner eine besondere Nähe zur Finanzbranche hat.
Die Nationalbank wolle mit der Normalisierung zuwarten, bis die letzten Unsicherheiten auf den Finanzmärkten ausgeräumt seien und keine Aufwertung mehr drohe. Schiltknecht sieht in der derzeitigen Geldpolitik auch eine Ursache für die Schwächung des Bankensystems.
Der Rückgang der Zinsmarge habe die Gewinnkraft und damit die Risikofähigkeit bei der Kreditvergabe geschmälert. Sein Fazit: «Die Kosten eines Zuwartens sind mittelfristig schlimmer als die Gefahr vorzeitigen Handelns».
Auch für andere Ökonomen ist die Zeit gekommen, von den Negativzinsen wegzukommen: So sagt der Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, Rudolf Minsch, dass die Schweiz einen Zinsschritt verkraften könnte.
Pikant: Minsch ist der Ansicht, dass die SNB schon vor der Europäischen Zentralbank (EZB) an der Zinsschraube drehen könnte. Er widerspricht damit dem bisherigen Mantra der SNB, nur dann die Zinsen heben zu können, wenn dies die Kollegen in Frankfurt tun, wo sich der EZB-Sitz befindet.
Und was sagen die Banken selbst? Auf Anfrage sagt der CEO der Aargauischen Kantonalbank, Dieter Widmer, dass die «Sparer und zukünftigen Rentner zunehmend unter dem anhaltenden Tiefzinsumfeld leiden» würden.
Laut dem AKB-Chef werde es nicht einfach für die Notenbanken, aus dem Tiefzinsumfeld auszusteigen. Widmer hält das aktuelle Zinsniveau im Vergleich zur Wirtschaftsleistung und der Inflationsrate von knapp einem Prozent «zu tief». «Die Notenbanken verlieren somit Handlungsmöglichkeiten für den Fall einer Rezession.»
Obwohl der Druck auf die SNB grösser wird, wäre es eine Überraschung, wenn es am Donnerstag zu einem Zinsschritt kommen würde. Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher glaubt jedenfalls nicht daran. Auf Anfrage sagt sie: «Die Nationalbank verfolgt ein Ziel der wirtschaftlichen Stabilität im Inland. Sie definiert ihre Währungspolitik immer relativ zur Politik ausländischer Notenbanken.
Solange die Europäische Notenbank ihre Zinspolitik nicht ändert, wird die Nationalbank dies wohl auch nicht tun.» Gleicher Meinung ist auch Oswald Grübel: «Die SNB hat klar gesagt, dass sie ihre Zinspolitik erst ändert, wenn die EZB ihre Zinspolitik ändert und der früheste Termin dafür ist erst Mitte 2019.» (aargauerzeitung.ch)