Zwei Apokalypsen und ein grosser Favorit in Klagenfurt

Zwei Apokalypsen und ein grosser Favorit in Klagenfurt

06.07.2017, 17:16

Schon der dritte Kandidat, der am Donnerstag beim Bachmannpreis in Klagenfurt las, kristallisierte sich als Favorit heraus: der Austro-Amerikaner John Wray. Der Schweizer Daniel Goetsch beschloss den ersten Lesetag mit einem soliden, aber nicht herausragenden Text.

Goetsch las einen Romanauszug - in den Augen einiger Juroren eine schlechte Wahl, da man nicht erkenne, worauf die Geschichte hinauslaufe. Erzählt wird von einem heutigen Autor, der versucht, seine Autobiografie zu schreiben, dann aber ausweicht auf die Lebensgeschichte eines angeblichen Amerikaners, der nach dem Krieg einen Deutschen entnazifizierte, weil er auf dessen Tochter scharf war.

Eröffnet worden war der Wettbewerb am Donnerstagmorgen von der Österreicherin Karin Peschka mit dem Text «Wiener Kindl»; darin versucht nach einer Apokalypse ein etwas retardiertes Kind zusammen mit einer Hundemeute am Leben zu bleiben. «Guck mal, wer da spricht» trifft «Dschungelbuch» - dass das nicht peinlich werde, sei schon sehr erstaunlich, wunderte sich ein Juror. Allgemein begegnete die Jury dem Text mit Wohlwollen.

Mit «50 Shades of Grey» der Deutschen Noemi Schneider gab es am Nachmittag einen weiteren Apokalypsen-Text. Darin reisen eine «Baroness» und eine Autorin auf der Flucht vor dem Untergang des Abendlands Richtung Afrika - nicht ohne unterwegs ausgiebig shoppen zu gehen und die handelsüblichen Sehenswürdigkeiten abzuhaken. «Einige nette Ideen» wurden dem Text attestiert - zum Beispiel Gott, der gegen sich selber Backgammon spielt. Aber den meisten war die Erzählung dann doch zu lapidar.

Ganz anders hatte es zuvor bei John Wray getönt - von «ausgebufft», «virtuos» bis «brillant» reichte das Urteilsspektrum. Wray erzählt in «Madrigal» von Bruder Teddy und Schwester Maddy, beide Autoren. Mit der Hilfe des Bruders überwindet Madrigal/Maddy eine Schreibkrise, indem sie Vögel googelt, auf einen historischen Ornithologen stösst und schliesslich bei einer Art twittersüchtigem Sektenpriester landet, in dem einige Juroren Donald Trump sehen wollten.

Die handwerkliche Meisterschaft von Wray, der eigentlich John Henderson heisst, kam nicht überraschend. In den USA wurde er von einem Fachblatt unter die 20 besten US-Nachwuchsautoren gewählt. Wrays Mutter stammt aus Kärnten und er verbringt einen grossen Teil des Jahres in deren Geburtsort. Der in Klagenfurt vorgelesene Text war seine erste deutsche Arbeit - obwohl er perfekt bilingue ist.

Die Lesungen werden am Freitag fortgesetzt mit fünf Beiträgen aus Deutschland und Österreich. Am Samstag lesen die vier letzten Kandidaten, darunter die Schweizer Urs Mannhart und Gianna Molinari. (sda)

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