Bisher hat in der Finanzgemeinde das zynische Kalkül gegolten: Donald Trump spielt den Twitter-Kaspar und hält so die Hillbillys und Johnny-Six-Packs bei Laune. Daneben beglückt er die Unternehmen mit massiven Steuersenkungen und entlastet sie von lästigen Auflagen. Diese Einschätzung hat für Entzücken an der Wall Street gesorgt und dazu geführt, dass die Börsenindices Dow Jones und S&P 500 von Rekord zu Rekord geeilt sind.
Nun ist erstmals kaltes Wasser auf die Euphorie gegossen worden. Am Dienstag gaben die Kurse in New York mehr als ein Prozent nach. Tags darauf fiel die Gegenreaktion äusserst schwach aus. Auch in Europa und Asien reagierten die Märkte nervös. Weshalb?
Der Übergang von Obamacare zu Trumpcare verläuft holprig, um es milde auszudrücken. Im Wahlkampf hatte Trump alles versprochen: Tiefere Prämien, bessere Leistungen, freie Wahl des Arztes und keine Diskriminierung. Das von Paul Ryan, dem Vorseitzenden der Republikaner im Abgeordnetenhaus, vorgelegte Gesetz erfüllt dies in keiner Art und Weise. Vor allem die älteren Menschen müssen mit massiven Prämienerhöhungen rechnen. Trotzdem hat Trump diesem Gesetz seinen Segen erteilt.
Es ist jedoch höchst ungewiss, dass der Kongress dieses Gesetz auch absegnen wird. Einer starken Fraktion innerhalb der Republikaner im Abgeordnetenhaus – dem amerikanischen Gegenstück zum Nationalrat – geht er zu wenig weit. Sie sprechen verächtlich von «Obamacare lite» und wollen die Vorlage ablehnen. Mit plumpen Drohungen an die Adresse der Abweichler hat Trump die Situation noch verschlimmert.
Dem Senat hingegen – dem amerikanischen Pendant zum Ständerat – geht Ryans Vorschlag viel zu weit. Auch republikanische Senatoren fürchten um ihre Wiederwahl und gehen auf Distanz. Die Demokraten in beiden Häusern lehnen Trumpcare ohnehin geschlossen ab. Deshalb ist es derzeit sehr ungewiss, ob das Versprechen, dass Obamacare «rückgängig gemacht und ersetzt wird» (repeal and replace), eingehalten werden kann.
Scheitert Trumpcare im Kongress, dann wäre das eine riesige Blamage für den Präsidenten. Es würde nicht nur zeigen, dass er eines seiner wichtigsten Wahlversprechen nicht einhalten kann. Es wäre auch ein Beweis dafür, dass er die Unterstützung der Republikaner verliert. Das verunsichert die Investoren.
Die Gesundheitsreform ist zwar bereits ein gewaltiges Steuergeschenk an die Reichen – man spricht von rund 300 Milliarden Dollar – doch sie war eigentlich bloss als Amuse Bouche gedacht. Der eigentliche Hauptgang ist die Steuerreform. Auch dort zeichnet sich ein Zwist in der Grand Old Party ab.
Noch weiss man nicht, wie Trumps Steuerreform im Detail aussehen wird. Allgemein wird jedoch davon ausgegangen, sie werde so ausfallen, dass die Importeure bestraft und die Exporteure belohnt werden. Auch das löst heftige Gegenreaktionen aus. Walmart beispielsweise, der grösste Detailhändler der Welt, ist alles andere als erfreut und kämpft heftig dagegen, unterstützt von Konsumentenorganisationen. Die sehr einflussreichen Koch-Brüder haben ebenfalls Vorbehalte angemeldet.
Kommt dazu, dass das Chaos bei der Gesundheitsreform die Steuerreform verzögert. Ursprünglich wollte Finanzminister Steven Mnuchin seine Vorlage schon in diesem Sommer durch den Kongress peitschen. Jetzt wird mit einer Verzögerung von mindestens einem Jahr gerechnet. Die Wall Street reagiert verschnupft.
Trump steht immer mehr als Kaiser ohne Kleider da. «Ohne eine vollständige Regierungsmannschaft war er nicht in der Lage, einen Plan für die Steuerreform vorzulegen», schreibt Edward Luce in der «Financial Times». «Seine Berater können sich nicht darauf einigen, ob sie eine Grenzsteuer einführen, wie sie seine Infrastrukturpläne finanzieren wollen und ob die Reform Steuersenkungen auch für Privathaushalte oder nur für Unternehmen beinhalten soll.»
Besserung ist nicht zu erwarten, zumindest nicht kurzfristig. Washington steht nach wie vor im Banne von Kremlgate, und auch an dieser Front musste Trump schwere Niederlagen einstecken. FBI-Chef James Comey hat ihn bei seinem Kongress-Hearing de facto als Lügner hingestellt und auch klar gemacht, dass gegen sein Wahlkampfteam Ermittlungen wegen möglicher Absprachen mit dem russischen Geheimdienst im Gange sind. Solange Kremlgate nicht restlos geklärt ist, wird Trumps Aktionsradius massiv eingeschränkt bleiben.
Wird dies alles in einem Börsencrash enden? Nein. Die amerikanische und die Weltwirtschaft befinden sich derzeit in guter Form. Die US-Notenbank hat früher als erwartet ihre Leitzinsen erneut angehoben, die Arbeitslosenzahlen sind weiter gesunken. Ein Crash ist somit unwahrscheinlich – aber eine happige Kurskorrektur ist jederzeit möglich.