Ich sitze auf einem gepolsterten Ledersessel in einem schicken Sitzungszimmer mit Fensterfront und stelle meine Fragen. Mein Gesprächspartner, ein Mann in seinen Dreissigern, ist der Typ Mensch, dem alles gelingt. Er riecht nach Gewinn, Geld und Gier. Er steht Rede und Antwort – schmückt seine Sätze aber in regelmässigen Abständen mit anzüglichen Bemerkungen. Mit der Aussage «Ich bin zwar verheiratet, aber bei Frauen wie dir muss ich aufpassen» erreicht er zwischenzeitlich den Tiefpunkt. Minuten später, als er mich hinausbegleiten will, stehen wir eingepfercht in einem kleinen, dämmrigen Lift. Seine Gier bekomme ich nun am eigenen Leib zu spüren, als er sich zu mir rüberbeugt und flüstert: «Kuss»? Ich verabschiede mich mit spöttischem Blick und den Worten: «Das wird nicht passieren. Ade, merci.» Er bedrängt mich nicht weiter.
Ich empfinde eine tiefe Abneigung gegenüber diesem Typen, dessen Anonymität ich hier gewährleisten werde. Er ist kein Promi und keine Magistratsperson, bei der ich mich auf das öffentliche Interesse berufen könnte.
Meine Aversion hege ich aber nicht, weil dieser Mann mich verletzt oder ich mich durch sein Verhalten herabgesetzt gefühlt hätte, sondern weil er extrem dreist ist. Weil er dachte, er könne sich ein solches Verhalten leisten. Und auch, weil er mich in eine Situation brachte, in der ich mich tagelang rechtfertigen musste: Wie ich hätte reagieren sollen, was ich nun tun sollte und wie ich zu fühlen habe.
Nach dem Erlebnis war ich erst einmal baff ob der Arroganz meines Gesprächspartners und empfand das Bedürfnis, meinen Freundinnen, Arbeitskollegen, Familienmitgliedern und meinem Partner davon zu erzählen.
Die Rückmeldungen waren vielfältig und zeigen, wie sehr die Beurteilung des Vorfalls vom jeweiligen Umfeld abhängt. So bekam ich notabene zu hören, der Vorfall sei «nicht der Rede wert». Das entgegengesetzte Extrem, inklusive ungebetenem Ratschlag: «Du hättest das Interview abbrechen sollen.»
Überwiegend schienen sich meine Mitmenschen Sorgen um mein Befinden zu machen. Eigentlich nett. Sie gingen davon aus, dass mich das Geschehnis erschüttert hat. Und legten mir eindringlich nahe, den Artikel über den Herrn nun nicht mehr zu schreiben.
Ich gelangte mit dieser Rückmeldung aber in eine belastende Negativspirale, aus der ich tagelang nicht mehr herauskam. Denn was, wenn die Anmache für mich nicht ganz so schlimm war, wie die meisten offenbar erwarteten?
Seit einiger Zeit scheint es in unserer Gesellschaft einen Konsens darüber zu geben, wie man sich als Frau in solchen Situationen zu fühlen hat. Und wie man darauf reagieren sollte. Ähnliche Situationen werden als gravierend beschrieben, als symptomatisch für eine sexistisch geprägte Gesellschaft. Auch der #Aufschrei entstand aus ähnlichen Situation. Die betroffenen Frauen fühlten sich dabei erniedrigt und verletzbar, heisst es.
Ich erlebte den Vorfall anders. Ich fühlte mich von diesem Mann weder in meiner Arbeit noch als Frau herabgesetzt oder eingeschüchtert. Mit diesem Standpunkt fürchtete ich aber, als Anti-Feministin oder Huscheli, das sich nicht getraut, die «Wahrheit» zu sagen, abgestempelt zu werden.
Ich fand das Verhalten von meinem Gesprächspartner einfach ausgesprochen unprofessionell – und dumm. Wie kann sich jemand, der mit viel Geschick und Innovationsgeist Karriere macht, in Zeiten von #MeToo auf solch dünnes Eis wagen, noch dazu gegenüber einer Journalistin? Er konnte ja nicht ahnen, wie ich reagieren würde.
Aber an meinem Selbstbild kratzt das nicht. Männer, die ein solches Verhalten an den Tag legen, respektiere ich nicht und so können sie mich auch nicht verunsichern. Ausserdem bin ich überzeugt, dass Männer wie er mit einer spöttischen Abfuhr vielmehr gestraft sind und ihr Verhalten überdenken als mit einem Vortrag über Sexismus. Denn was hasst das Ego sieggewohnter, arroganter Männer wie die Pest? Misserfolg und Spott.
Es irritiert mich jedoch, wenn meine Mitmenschen von mir erwarten, wie ich zu reagieren habe und sie mich in einen Opferdiskurs drängen. Ich fühle mich verunsichert, wenn mir eingetrichtert wird, ich als Frau werde ungerecht behandelt, müsse Angst haben, in der Nacht alleine unterwegs zu sein und dürfe mich ja nicht vom anderen Geschlecht «mansplainen» lassen. Ich bestreite nicht, dass viele Frauen mit diesen Problemen konfrontiert sind. Nur bin ich es eben nicht. Und ich mag es nicht, wenn mir das Gefühl gegeben wird, schwach und wehrlos zu sein, weil ich eine Frau bin.
Was ich auch schade finde: Als ich mit Männern über den Vorfall sprechen wollte, waren viele geniert. «Das wäre ja dann schnell Mansplaining, sprich lieber mit anderen Frauen darüber», so das Credo. Dabei macht es für mich auch bei einem solchen Thema keinen Unterschied, ob ich mit einem Mann oder einer Frau spreche. Ist nicht das auch Gleichstellung? Männer sind nicht Müll und Frauen nicht hysterisch. Die zwei Geschlechter gegeneinander auszuspielen, ist kontraproduktiv.
Der zentrale Punkt ist aber, dass ich mich durch diesen latenten Druck auch in meiner Reaktion auf den anbaggernden Interviewpartner eingeschränkt fühlte. Ich hatte den Typen spöttisch abserviert, ihm später in einer E-Mail klargemacht, dass sein Verhalten ein No-Go war. Für mich war die Geschichte damit gegessen. Mehreren Personen in meinem Umfeld ging ich damit aber nicht weit genug. Das löste bei mir Schuldgefühle aus. Ich wollte ja niemanden enttäuschen oder mich unsolidarisch zeigen.
So lebte ich eine ganze Woche lang in diesem Zwiespalt. Bis ich mich durchgerungen habe, den Artikel zu schreiben und zu publizieren. Denn in dieser Situation Stärke zu zeigen, bedeutete für mich, mir meine Arbeit und den bereits betrieben Aufwand nicht durch einen blöden Typen vernichten zu lassen.
Ich plädiere deshalb für mehr Offenheit und Verständnis. Nachdem ich schon die plumpe Anmache auf mich nehmen musste, möchte ich mich nicht noch gegen meine Mitmenschen für meine Reaktion verteidigen müssen. Wir sollten aufhören, Frauen vorzuschreiben, wie sie in solchen Situationen zu fühlen und verhalten haben.