Es passiert nicht alle Tage, dass ein ehemals gefeierter Held des Silicon Valley komplett abdriftet.
Wenn es sich dabei um den reichsten Menschen auf dem Planeten handelt, greift das Internet zum Popcorn. 🍿🍿🍿
Das Problem: Es steht sehr viel auf dem Spiel. Nicht nur für Elon Musk. Sondern für die US-Demokratie. Und damit auch für alle Partner der Vereinigten Staaten weltweit.
Dieser Satz zu Musk stammt von Josh Marshall, dem Gründer von Talking Points Memo (TPM), einem preisgekrönten Team von Investigativjournalistinnen und Reportern.
Marshall spricht in einer kürzlich veröffentlichten Analyse eine beunruhigende Entwicklung an: Elon Musk befördert auf seiner Social-Media-Plattform zunehmend rechtsextremes Gedankengut und animiert weisse Rassisten.
Schauen wir genauer hin ...
Im Tweet (oben) antwortet Musk einem prominenten Vertreter der amerikanischen Alt-Right-Bewegung.
Der Screenshot erfordert «eine Übersetzung», wie Josh Marshall erläutert. Hinter dem Twitter-Profil «Ramzpaul» stehe Paul Ray Ramsey, ein berüchtigter weisser Nationalist. Mit seinem Tweet setze er Linke beiläufig mit Pädophilen gleich und Musk bestätige die Verleumdung und sage, dass Twitter solchen Fällen oberste Priorität einräume.
Bilder und Videos, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, werden in den USA als CSAM bezeichnet. Und Musk verspricht lauthals, die Verbreitung von CSAM über Twitter verstärkt zu bekämpfen. Ehrenwert, oder?
Tatsächlich ist es eine irreführende Behauptung, dass sich Twitter unter Musks Führung stärker auf die Bekämpfung von Pädophilen und Kindesausbeutung konzentrieren kann. Musk hat unter anderem auch Angestellte entlassen, die sich mit Inhalte-Moderation und CSAM-Löschung befassen.
Man müsse nicht mal genau hinsehen, um zu erkennen, dass Pädophilie und die Ausbeutung von Kindern nicht das seien, worum es bei solchen Tweets wirklich gehe, erklärt Marshall. Es seien Aufrufe der extremen Rechte, gegen Schwule, Transsexuelle und andere Personen vorzugehen, die als «Groomer» und «Pädophile» verunglimpft werden. Und:
Zur Erinnerung: Musk hat schon früher die Pädophilie-Keule geschwungen. In einem ganz anderen Kontext. 2018 schlug der Techmilliardär damit bei Twitter auf einen britischen Höhlenforscher ein, als es darum ging, eine Gruppe Jungen zu retten, die in einer überfluteten Höhle in Thailand gefangen waren. Der Mann hatte sich erlaubt, Musks irrsinnigen Vorschlag einer Rettung per Mini-U-Boot abzulehnen.
An jenem Samstagmorgen reagiert Elon Musk scheinbar zufällig auf einen harmlosen Tweet eines relativ populären Wissenschafts-Fans (mit über 750'000 Followern).
Dieser User twitterte, dass die einzigartige Biodiversität Madagaskars das Ergebnis der 88 Millionen Jahre langen Isolation von anderen Landmassen sei. Der Twitter-Chef antwortet.
Ob ihm bewusst ist, dass 88 in extremistischen Kreisen ein bekannter Code für «Heil Hitler» ist (H ist der 8. Buchstabe des Alphabets)? Jedenfalls fassen einige seiner Anhänger die Verwendung der Zahl als versteckten Hinweis auf.
Die Verwendung der Zahl 14 in vielen Antworten auf Musks Tweet sei eine Anspielung auf die sogenannten «14 Worte», konstatiert Motherboard. Dies sei ein Slogan der weissen Rassisten, der laute: «Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weissen Kinder sichern.»
Ein historisch versierter Twitter-User verweist ausserdem auf den Madagaskar-Plan, eine vom nationalsozialistischen Deutschland zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kurzzeitig verfolgte Erwägung, vier Millionen europäische Juden auf die vor Ostafrika gelegene Insel zu deportieren.
Alles Zufall? Nicht beabsichtigt von Musk?
Dieser Musk-Tweet dreht sich um einen Streit mit einem pensionierten Oberstleutnant der US-Armee und dekorierten Kriegshelden namens Alexander Vindman.
Auslöser: eine von Vindman (845'000 Follower) weiterverbreitete Copy-Paste-Nachricht. Darin wird die Machtfülle des Twitter-Chefs kritisiert. Dass Musk entscheiden könne, wie (fast) eine halbe Milliarde Menschen kommuniziere, sei «viel zu viel Macht für ein unberechenbares Individuum».
Vindman, ein gebürtiger Ukrainer, wuchs in einer jüdischen Familie in Kiew auf, emigrierte in die USA und stieg zum führenden Ukraine-Experten im Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten auf. 2019 sagte er im Zuge der Ermittlungen zur Ukraine-Affäre gegen Donald Trump aus.
Vindman hatte zuvor bei Twitter wiederholt auf Hass, Antisemitismus und Rassismus aufmerksam gemacht, seit Musk sich zum Chefmoderator der Plattform ernannte.
Eine jüdische Person als Marionettenspieler zu bezeichnen, der nationale Ereignisse manipuliert? Selbst wenn Musk mit seiner Wortwahl keine antisemitische Unterstellung beabsichtigt hätte, so befeuert er damit in rechtsextremen Kreisen weit verbreitete Verschwörungstheorien.
Der Revolver ist die Nachbildung einer Waffe aus dem Game «Deus Ex: Human Revolution». Im Hintergrund liegt eine Pistole aus der Zeit des US-Unabhängigkeitskrieges in einer Holzkiste, vor einem berühmten Sujet aus dem Jahr 1851.
Kim Dotcom verbreitet zunächst die unhaltbare Behauptung, die US-Demokraten wollten mit der Legalisierung illegaler Migranten ihre Wählerbasis stärken. Musks antwortet darauf: «Verhalten folgt den Anreizen für politische Macht».
Auch hier sei etwas Dekodierung und Kontext erforderlich, betont Marshall. Im Tweet beziehe sich Dotcom auf einen politischen Kampfbegriff der Neuen Rechten, so Marshall. Es gehe um die «Great Replacement Theory». Damit werde die Einwanderung von Nichtweissen und Muslimen verunglimpft, indem fälschlicherweise behauptet wird, diese wollten die weisse Mehrheitsbevölkerung im Land ersetzen.
Zur Einordnung: Kim Dotcom, alias Kim Schmitz, ist ein verurteilter deutscher Internet-Betrüger, der mit illegalen Filesharing-Plattformen reich wurde und nach Neuseeland flüchtete. Weil die US-Justiz (auf Druck der amerikanischen Unterhaltungsindustrie hin) mit fragwürdigen Methoden seine Auslieferung erreichen wollte, radikalisierte sich Dotcom und versucht seither mit allen Mitteln, der US-Regierung zu schaden. Er ist zum Putin-Verteidiger mutiert und hetzt mit fragwürdigsten Verschwörungstheorien gegen die attackierte Ukraine und deren Unterstützung durch die USA und Europa.
Hier twitterte Musk ein Foto, das einen Mann beim Salutieren vor einer McDonald's-Flagge zeigt. Nicht irgendeinen Mann, sondern Anthime Gionet, einen berüchtigten rechtsextremen Troll und weissen Rassisten, der als «Baked Alaska» bekannt ist und den Sturm aufs US-Kapitol live streamte.
Gionet hatte auch geäussert, er wünschte, Trump wäre mehr wie Hitler, und er nahm 2017 an der rechtsextremen Kundgebung «Unite the Right» in Charlottesville teil.
Als Musk von anderen Twitter-Usern wegen des Fotos kritisiert wurde, löschte er den Tweet. Nur um kurz darauf ein Symbol zu twittern, das bei weissen Nationalisten im Internet sehr beliebt ist: ein «Pepe the Frog»-Meme mit den Worten «Ich kümmere mich nicht um diese spezielle Psyop».
Musk wollte damit wohl andeuten, dass eine «Psy-Op» im Gange sei, um seine Kontrolle über Twitter zu untergraben. Pepe the Frog ist eine Figur, die 2005 in einem Online-Cartoon entstand, aber in den letzten Jahren von der Alt-Right-Bewegung als Hasssymbol vereinnahmt wurde. Sie wird in rassistischen und antisemitischen Memes verwendet.
Dieses von rechtsextremen Staatsfeinden verbreitete Meme sagt mehr als tausend Worte. Und Musk unterstützt es.
In diesem Tweet (oben) fabuliert Musk nicht zum ersten Mal über einen «Woke Mind Virus», der auch die (amerikanische) Unterhaltungsindustrie durchdrungen habe und die Zivilisation in den Suizid treibe. Damit greift der Twitter-Chef eine auch von den US-Republikanern inszenierte angebliche Bedrohung durch eine zu linkslastige Gesellschaft auf.
«Die Zivilisation ist bedroht» – das sei ein bei Faschisten seit Mussolini sehr beliebtes Narrativ, geben besorgte Beobachter zu bedenken. Und die «Pathologisierung» von politischen Gegnern sei ebenfalls typisch faschistisch.
PS: Unter Musks Führung hat Twitter alle Bemühungen eingestellt, die Verbreitung gefährlicher Falschinformationen zu Covid-19 und der Corona-Pandemie zu verhindern. «Mit Wirkung vom 23. November 2022 setzt Twitter die COVID-19-Richtlinie zu irreführenden Informationen nicht mehr durch», teilte das Unternehmen auf seiner Website mit.
Fachleute kritisieren Musks Entscheid scharf. Gesicherte medizinische Informationen seien lebensrettend. Oder anders ausgedrückt: Der Milliardär nimmt bewusst in Kauf, dass Bürgerinnen und Bürger wegen Desinformation sterben.
Wir kommen zum Twitter-Austausch von Elon Musk mit dem rechtsextremen Influencer Ian Miles Chong.
Gemäss Marshalls Beschreibung «einfach nur ein rechtsextremer Verrückter», der bereits von zahlreichen Online-Plattformen verbannt worden war – dann aber im Zuge von Musks «Freespeech»-Erlass zurückkehren durfte.
Ian Miles Cheong ist dafür bekannt, Desinformation und Lügen zu verbreiten. Nebenbei hat er auch Adolf Hitler gelobt, wie Twitter-User in Erinnerung rufen. Und von diesem gefährlichen Extremisten bezieht Musk Informationen ...
Musk tauscht sich nicht nur mit Vertretern der Alt-Right-Bewegung aus, er hört offensichtlich auf sie, wenn es um konkrete geschäftliche Entscheidungen zu Twitter geht.
Während er Trump, weisse Nationalisten und Faschisten wieder auf Twitter willkommen heisst, lässt er diejenigen entfernen, die seinen Bestrebungen im Weg stehen. Betroffen sind linke Aktivisten und die Antifaschismus-Bewegung.
Zu den Betroffenen gehört @crimethinc, ein Twitter-Profil, das seit Mai 2008 aktiv war und in vierzehn Jahren nie wegen Verstössen gesperrt oder verwarnt worden war.
Und auch der IT-Sicherheitsforscher Chat Loder, ein bloggender Antifaschist, wurde gesperrt, nachdem er auf einen massiven Datendiebstahl bei Twitter hingewiesen hatte.
Das für investigativen Journalismus bekannte Online-Medium The Intercept kommentierte kürzlich:
Twitter-Profile mehrerer bekannter antifaschistischer Organisatoren und Journalisten seien in der letzten Woche gesperrt worden, nachdem Rechtsextreme direkt an Musk appelliert hatten, die Profile zu sperren. Zudem hätten rechtsextreme Internet-Trolle das Beschwerdesystem von Twitter mit falschen Berichten über angebliche Verstösse geflutet.
Und noch ein Tweet von Musk, der perfekt ins Faschismus-Handbuch passen würde: Es gilt nicht nur die politischen Gegner zu bekämpfen, sondern auch die Medien. Hier pflichtet der Twitter-Chef Glenn Greenwald bei.
Der Rechtsanwalt galt mal als brillanter linksliberaler Denker. Doch irgendwann kippte er mit seinen Überzeugungen und Publikationen ins Gegenteil und landete in rechtsradikalen Gefilden: Heute verbreitet er als regelmässiger Gast-Kommentator bei Fox News Verschwörungstheorien.
Fakt ist: Greenwald hat sich während der Trump-Präsidentschaft eine rechte bis rechtsextreme Fanbasis aufgebaut. Darunter hat es Anhänger des QAnon-Kultes, libertäre Hardcore-Fans von Elon Musk sowie Kryptowährungs-Jünger.
Aus dem Pulitzer-Gewinner und Mitgründer von The Intercept, einer Plattform für unabhängigen investigativen Journalismus, ist ein dauerempörter Blogger geworden, der bevorzugt bei Tucker Carlson lästert und über sein Twitter-Profil (1,8 Millionen Followerinnen und Follower) austeilt.
Schlimmer noch: Er verteidigt öffentlich den Despoten Putin und dessen illegalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und er verharmlost die Versuche Russlands, westliche Demokratien mit allen nur erdenklichen Mitteln zu schwächen.
Musk hat mit seiner grossen Popularität bei Twitter (mit fast 120 Millionen Followern) viel Einfluss auf den Empfehlungs-Algorithmus. Wenn der «Chief Twit» twittert, schiessen die Klickzahlen und User-Interaktionen durch die Decke.
Warum reagiert der Twitter-Chef auffallend häufig auf Tweets von Rechtsextremen und Rassisten?
Eine mögliche Erklärung hat dieser Twitter-User:
Weil Musk mit seinen Tweets stark polarisiert, feuern seine begeisterten Fans und die erbosten Gegner den Algorithmus zusätzlich an. Hinzu kommen die vielen journalistischen Medien, aber auch Blogs und andere Plattformen, die zur Weiterverbreitung beitragen (und ja, daran hat auch watson Anteil, wie wir selbstkritisch einräumen müssen).
Es sei «nicht ideal», wenn sich der Eigentümer einer der weltweit einflussreichsten Kommunikationsplattformen in einem sozialen und politischen Milieu aus weissen Nationalisten und gesellschaftlich Geächteten bewege, so Marshall.
Musks Verhalten sei etwas, was man Narzissmus/Radikalisierungs-Strudel nennen könnte, und es spiegle wider, was 2015 und 2016 bei Donald Trump zu beobachten war.
Auch in der Twitter-Timeline des damaligen US-Präsidenten tauchten damals zunehmend weisse Nationalisten und rechtsextreme Agitatoren auf, mahnt Marshall.
Ob sich Musk bewusst ist, dass er immer tiefer in den faschistischen Kaninchenbau vordringt?
Das letzte Wort soll ein anderer Twitter-User haben:
Und zum Schluss noch dieser gute Rat:
Diese Zusammenstellung zeigt, dass Musk genau dies tut und seine führende Rolle bei Twitter in offensichtlichster Weise missbraucht, unter dem Schleier eines radikalen Kampfs für die Meinungsäusserungsfreiheit.