Alle Augen auf Merkel: Staatsmänner wie Erdogan und Boris Johnson hören Angela Merkel an der Libyen Konferenz gespannt zu. Bild: AP
Putin, Erdogan und Haftar, das sind die Gewinner der Libyen-Konferenz. Für die Region bedeutet das nichts Gutes.
Es war einer dieser Momente, die zeigen, in welchem Dilemma die deutschen Bundesregierung ist, wenn immer es um internationale Konflikte geht. Drei Tage vor der Libyen-Konferenz war Aussenminister Heiko Maas – überraschend und vermutlich recht verzweifelt – nach Bengasi gereist. Er wollte Kommandeur Chalifa Haftar überreden, nach Berlin zu kommen; was ihm gelingen sollte.
Das offizielle Foto dieses Treffens zeigt Maas, wie er sichtlich erleichtert Haftars Hand schüttelt. Diese von der Bundesregierung initiierte Konferenz, sie durfte einfach nicht scheitern. Da konnte man sich auch schon mal in trauter Einigkeit mit einem Kriegsführer zeigen.
Heiko Maas schüttelt die Hand von Chalifa Haftar. Bild: EPA
Die Konferenz ist also vorbei, und die Organisatoren wollen sie – wenig überraschend – wie einen grossen Erfolg erscheinen lassen. Dabei standen die Beschlüsse für den nun präsentierten Friedensplan schon länger fest. Sie sehen unter anderem vor, dass die an dem Konflikt beteiligten Parteien das Waffenembargo einhalten und die ausländische Einmischung unterbinden; auch ist eine Entwaffnung der libyschen Milizen sowie deren Eingliederung in staatliche Sicherheitskräfte vorgesehen.
All das sind Abmachungen, die auch vor dem Berliner Treffen immer wieder versprochen, aber nie eingehalten wurden. Skepsis an der Aufrichtigkeit dieser Zusagen ist daher durchaus angebracht.
Es klingt tatsächlich erst einmal sinnvoll, eine Konferenz für Libyen zu organisieren, um in dem seit Jahren schwelenden Krieg endlich Lösungen zu finden: Die deutsche Bundesregierung, die als neutrale Instanz in einem komplizierten Konflikt zu vermitteln versucht, den mittlerweile nur noch Insider verstehen – der aber auch Folgen für Europa hat.
Seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi ist Libyen immer weiter ins Chaos gestürzt. Auf der einen Seite ist die von UN und EU anerkannte Regierung von Premier Fajis al-Sarradsch in Tripolis: Sie wird ausserdem von Italien und nun auch von der Türkei unterstützt, gilt aber als wenig einflussreich.
Dem gegenüber steht der Rivale, General Chalifa Haftar, der von Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten Rückendeckung erhält, wie auch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Hinzu kommen dutzende Milizen, Stämme und islamistische Gruppen, die ebenfalls um die Macht ringen. Haftars Rebellen kontrollieren weite Teile des Landes mit harter Hand und rücken nun mit grosser Brutalität auf die Hauptstadt Tripolis vor.
Die Lage ist, das wurde auch in Berlin klar, einigermassen unübersichtlich, da alle Beteiligten in Libyen eigene Interessen verfolgen. Es geht um die Sicherung der Öl- und Gasvorkommen, um die Seegrenze – und irgendwann danach auch um den Schutz der Zivilisten.
Die Konferenz in Berlin hatte ein zentrales Ziel: Die Mächte, die von aussen in Libyen mitmischen, dazu zu bewegen, nicht noch mehr Waffen nach Libyen zu liefern – damit der Krieg nicht noch weiter eskaliert. Ausserdem sollte sie den Weg bereiten für wirkliche Friedensverhandlungen. Dahinter steht die Sorge der Europäer, bei einem zunehmend ausgewachsenen Stellvertreterkrieg könnten noch mehr Menschen über das Mittelmeer fliehen. Deutschland geht es im Libyenkonflikt – wie auch in anderen Konflikten – in erster Linie um die Abwehr von Migranten und Flüchtlingen, für die Libyen ein wichtiger Transitstaat ist und wo sie unter schrecklichen Bedingungen leben.
Der deutschen Bundesregierung geht es weniger darum, die Ursachen des Konflikts nachhaltig anzugehen oder auch nur anzuerkennen, dass andere Kräfte längst Fakten geschaffen haben. Oder wie der Libyen-Experte Wolfram Lacher es treffend in einem Interview mit Der Spiegel formuliert hat: «Die Berliner Konferenz findet in einer Art Parallel-Realität zum tatsächlichen Geschehen in Libyen statt.»
Es ist allerdings sehr fraglich, ob die in Berlin unterzeichneten Punkte überhaupt umgesetzt werden können. Viele Experten halten ein Waffenembargo für unrealistisch. Völlig unklar ist etwa, wer dafür sorgt, dass die Abmachungen eingehalten und wie Verstösse gegen den fragilen Waffenstillstand geahndet werden.
Dass die EU einen Militäreinsatz in Libyen wagt, wie es der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell vorgeschlagen hatte, ist eher unwahrscheinlich. Statt dessen scheint es so, dass die deutsche Bundesregierung den weiteren Prozess der Uno überantworten wird.
Trotz des diplomatischen Aktivismus der Deutschen deutet viel darauf hin, dass sich mit Libyen das wiederholt, was sich schon im Syrienkrieg gezeigt hat: die Ohnmacht der deutschen Bundesregierung, ihr Unvermögen, als wirklicher Akteur aufzutreten. Der Krieg in Syrien wurde in Deutschland erst dann ein Thema, als sich 2015 die vielen Geflohenen nicht mehr ignorieren liessen und die Bundesregierung innenpolitisch unter Druck geriet. Aktiv wurde sie in Syrien trotzdem bis heute nicht.
Russlands Präsident Wladimir Putin, der seit 2015 in Syrien Luftangriffe fliegt, um Baschar al-Assad an der Macht zu halten, kann – wie derzeit in der Provinz Idlib – noch so viele Krankenhäuser, Schulen und Wohnhäuser bombardieren: Folgen braucht er dafür keine zu fürchten.
Im Gegenteil scheint die Bundesregierung, wie auch die anderen westlichen Führungen, Syrien längst aufgegeben zu haben. Man sitzt auch diese Schlacht aus, geht über die vielen Verbrechen hinweg und hofft, dass das Morden bald vorüber ist – um dann mit umso grösserem Elan über den Wiederaufbau zu diskutieren.
Denn das mögen die Deutschen: aufbauen, mit allen Seiten reden, als die guten, uneigennützigen Helfer auftreten. In die politischen und militärischen Verwerfungen hineingezogen werden oder gar Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen: nein, das bitte nicht.
Bild: AP
Durch diese Angst vor Einmischung haben sich die Deutschen von stärkeren Mächten abhängig gemacht, was auf der Berliner Konferenz abermals allzu deutlich wurde. Nicht nur Putin, auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, beide verstehen es blendend, Kanzlerin Angela Merkel für ihre Ziele zu gewinnen.
Erdogan etwa kann immer damit drohen, seine Grenzen zu öffnen und wieder mehr syrische Flüchtlinge aus seinem Land zu lassen, die dann Richtung Europa kommen könnten. Für Merkel wäre das ein Schreckensszenario, und Erdogan weiss das ganz genau.
Es ist bitter, dass gerade diese beiden Akteure nun erneut die Geschicke bestimmen. Beide verfolgen in Syrien und Libyen unterschiedliche Interessen, koordinieren diese aber miteinander. Und werden darüber im Nahen Osten immer mächtiger. Putin, der in Syrien ganze Stadtteile ausradieren lässt, inszeniert sich im Fall Libyen als Friedensstifter. So auch Erdogan, dessen Armee und Milizen in Nordsyrien Ortschaften bombardieren, Häuser plündern und Menschen vertreiben. Seine Methode des gewaltsamen Vormarsches wird er wohl auch in Libyen fortsetzen.
Der dritte Gewinner in diesem Spiel ist General Haftar. Er und seine Unterstützer bombardieren um Tripolis nicht nur militärische Punkte entlang der Front, sondern auch zivile Einrichtungen. Haftar möchte das Land am liebsten ganz unter seine Kontrolle bringen. Er hat mit seiner Anwesenheit in Berlin zwar seine Bereitschaft für einen friedlichen Prozess signalisiert – doch inwieweit er wirklich bereit ist, Zugeständnisse an seinen Kontrahenten Sarradsch zu machen, bleibt abzuwarten.
Putin, Erdogan und Haftar sind drei gewissenlose Strategen, die im Nahen Osten und in Nordafrika die Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen und politischen Einflusssphären mit aller Gewalt vorantreiben. Die Deutschen spielen dabei kaum eine Rolle. Für die neue globale Machtverteilung in der Region ist das ein beunruhigender Ausblick.
Dieser Artikel wurde zuerst auf «Zeit Online» veröffentlicht. watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.