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Kapitänin der Sea Watch festgenommen – deutsche Politiker sind empört

epa07676748 A handout photo made available by Sea-Watch on 27 June 2019 shows Sea-Watch 3 captain Carola Rackete on board the vessel at sea in the Mediterranean, 25 June 2019. Migrant rescue ship Sea- ...
Carola Rackete: «Ich hatte nicht die Absicht, irgendjemanden in Gefahr zu bringen.»Bild: EPA

Festnahme der Sea-Watch-Kapitänin empört Politiker – sie sehen Merkel in der Pflicht

30.06.2019, 15:3830.06.2019, 17:06
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Die Festnahme der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete in Italien hat in ganz Europa empörte Reaktionen hervorgerufen. Mehrere Spitzenpolitiker, darunter die Aussenminister Deutschlands und Luxemburgs, Heiko Maas und Jean Asselborn, stellten sich am Wochenende hinter die Kapitänin. Diese rechtfertigte gegenüber der Zeitung «Corriere della Sera» ihre Tat mit dem Schutz von Menschenleben.

Rackete hatte sich in der Nacht auf Samstag über ein Verbot der italienischen Behörden hinweggesetzt und war mit dem Rettungsschiff «Sea Watch 3» nach tagelanger Irrfahrt durchs Mittelmeer im Hafen von Lampedusa eingelaufen.

Sie habe den Hafen angesteuert, weil sie befürchtete, Migranten an Bord könnten ins Meer springen, sagte Rackete der italienischen Zeitung. Und weiter: «Da die Migranten nicht schwimmen können, wäre dies Selbstmord gewesen. An Bord war es bereits zu Selbstverletzungen seitens der Migranten gekommen.»

Ein Polizei-Schnellboot hatte die Landung zu verhindern versucht. «Eine kriegerische Handlung», bezeichnete Italiens Innenminister Matteo Salvini das Manöver. Die Kapitänin entschuldigte sich für diesen Vorfall. «Ich wollte niemanden in Gefahr bringen, es war ein Fehler bei der Annäherung zum Hafen», sagte die Deutsche.

Der 31-Jährigen, die sich in Hausarrest befindet, werden Beihilfe zur illegalen Einwanderung sowie die Verletzung italienischer Hoheitsgewässer vorgeworfen. Sie soll am Montag von den ermittelnden Staatsanwälten befragt werden. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Haft. 50'000 Euro werden sie und die deutsche NGO Sea-Watch zahlen müssen, weil sie trotz italienischem Verbot einen Hafen in Italien angelaufen hatten.

«Humanitäre Überlegungen können nicht gewalttätige Aktionen gegen die Polizei rechtfertigen, die im Meer für die Sicherheit arbeiten» betonte der Staatsanwalt der sizilianischen Stadt Agrigento, Luigi Patronaggio, der den Haftbefehl für Rackete unterzeichnet und die Beschlagnahme des Schiffes angeordnet hatte.

«Free-Carola»-Bewegung in Italien

Linksparteien, Gewerkschaften und katholische Verbände starteten in Italien eine Kampagne für die Freilassung Racketes. «Free Carola» lautet der Slogan der Kampagne, die auch verstärkt auf sozialen Medien geführt wird. Am Samstagabend fand in Rom eine Solidaritätskundgebung für die Kapitänin statt. Eine in Deutschland gestartete Petition für die Freilassung Racketes hatte am Sonntag bereits über 53'000 Unterstützer.

Fünf oppositionelle italienische Parlamentarier, die sich an Bord der «Sea Watch 3» befanden, als Rackete trotz Verbot der italienischen Behörden den Hafen Lampedusa ansteuerte, erklärten sich bereit, vor Gericht für die Kapitänin auszusagen, der bis zu zehn Jahre Haft drohen.

Der luxemburgische Aussenminister Asselborn forderte seinen italienischen Amtskollegen Enzo Moavero Milanesi in einem Brief zur Freilassung Racketes auf. «Menschenleben zu retten, ist eine Pflicht und sollte niemals ein Delikt oder ein Verbrechen sein», schrieb Asselborn, dienstältester Aussenminister der EU. «Im Gegenteil: Jemanden nicht zu retten, ist ein Verbrechen.»

Auch der Vatikan schien sich hinter die Kapitänin zu stellen. «Menschenleben muss um jeden Preis gerettet werden. Das ist der Polarstern, der uns führt, der Rest ist Nebensache», sagte der vatikanische Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin.

Appell an Merkel

In Deutschland forderte die Fraktion der Linken die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag auf, sich für die Freilassung Racketes einzusetzen. Aussenminister Maas schrieb auf Twitter: «Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden.»

Grünen-Chef Robert Habeck sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), der eigentliche Skandal seien «das Ertrinken im Mittelmeer, die fehlenden legalen Fluchtwege und ein fehlender Verteilmechanismus in Europa».

Salvini akzeptiert keine Belehrungen

Der italienische Innenminister Salvini wies die Kritik zurück. «Italien akzeptiert von niemandem Belehrungen», schrieb er auf Twitter. «Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation», kommentierte er weiter.

Die Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf starteten eine Spendenaktion für die Rechtskosten und Ausgaben der Kapitänin und der Hilfsorganisation. «Wer Menschenleben rettet, ist kein Verbrecher», hiess es in einem Spendenaufruf auf der Plattform Leetchi. Bis Sonntagvormittag waren bereits mehr als 240'700 Euro gespendet worden.

Fünf europäische Länder – Deutschland, Frankreich, Finnland, Portugal und Luxemburg – hatten nach Medienberichten am Freitag zugesagt, Flüchtlinge von Bord des Schiffes aufzunehmen. Dennoch hatte die italienische Regierung weiterhin keine Genehmigung zum Anlegen erteilt und erklärt, auf «gesicherte Garantien» zu warten. (sda/afp/apa)

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Sea Watch: Ein Fischkutter als Rettungsschiff
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Sea Watch: Ein Fischkutter als Rettungsschiff
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quelle: ruben neugebauer / jib collectiv / sea watch
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125 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ryeomans
30.06.2019 19:42registriert Juni 2019
Die Kapitänin hat kein Verbrechen begangen, indem sie Menschen gerettet hat, sondern weil sie absichtlich und in voller Kenntnis der Folgen gegen italienisches Recht verstoßen hat.
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Funboy
30.06.2019 18:24registriert Juni 2019
Damit ich das richtig verstehe. Da rettet eine Crew Menschen vor dem Tod, und diese muss dann ins Gefängnis? Und die watson Leser heissen das auch noch gut? Als würde ich im Blick die Kommentare lesen.
Für mich kann es nicht sein dass es unrecht sein soll Menschenleben zu retten.....
Traurig
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Freethinker
30.06.2019 19:44registriert Februar 2019
Sachlich betrachtet ist es unmöglich alle aufzunehmen. Wäre es tatsächlich umsetzbar, dass man alle versorgen könnte, wäre ich dafür, es ist aber eine Verdrängung der Realität, wenn man denkt, es ist gut, die Muttelmeerroute offen zu halten. Man müsste viel eher Anreize schaffen, dass Afrika demokratischer wird.
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