Frau Spinatsch, am Weltverhütungstag wollen die Schweizer Apotheken und die Organisation Santé Sexuelle auf die Möglichkeiten der Notfallverhütung aufmerksam machen. Braucht die Pille danach wirklich Werbung?
Esther Spinatsch: Es geht uns darum, das Thema zu enttabuisieren. Tatsächlich gibt es Frauen, die schlecht Bescheid wissen und beispielsweise glauben, die Pille danach bewirke eine Abtreibung. Dabei verhindert sie nur eine Schwangerschaft. Andere Frauen getrauen sich nicht in die Apotheke – auch dem wollen wir entgegenwirken. Es ist uns wichtig zu betonen, dass wir in jeder Situation eine qualitativ hochstehende und neutrale Beratung anbieten.
Wundert es Sie, dass sich Frauen vor dem Gang in die Apotheke scheuen? Unlängst machten Berichte von Betroffenen die Runde, die sich von Apothekern erniedrigt fühlten oder sich eine Moralpredigt anhören müssten, weil sie die Pille danach verlangten.
Ja, ein Zeitungsartikel aus der Westschweiz hat diese Debatte ins Rollen gebracht. Man muss sehen, dass es sich dabei um Einzelfälle handelt. Aber natürlich wäre es falsch, solche Rückmeldungen zu ignorieren. Verlangt eine Frau die Pille danach, sind indiskrete Fragen unangebracht. Ich gebe selber Schulungen zum Thema und weise dabei immer auch darauf hin, dass die eigene Meinung in einem Beratungsgespräch nichts zu suchen hat – auch wenn es einem noch so sehr in den Fingern jucken mag. Natürlich gibt es empathischere Apotheker und solche, die schlechter mit Sexualität umgehen können. Ich rate Betroffenen, sich nach einer anderen Apotheke umzusehen, sollten sie sich in einer Beratung nicht wohlfühlen.
Hatten Sie selber auch schon das Bedürfnis, einer Kundin die Meinung zu sagen?
Naja, wenn eine 15-Jährige mit dem iPod in den Ohren in die Apotheke kommt, zum zweiten Mal im Monat die Pille danach verlangt und beim Beratungsgespräch nicht richtig zuhört, dann ist man schon versucht zu sagen: «Reiss dich zusammen.» Aber es ist klar, dass ich auch mit solchen Kunden respektvoll umgehe. Es ist nicht meine Aufgabe, meine Sexualmoral irgendjemandem aufzuzwingen. Wichtig ist hingegen, dass wir, wo nötig, auf Beratungsangebote aufmerksam machen können. Auch darum geht es uns am Weltverhütungstag.
Von welchen Beratungsangeboten sprechen Sie?
Wir haben in Basel ein Überweisungsformular entwickelt, das einen Überblick über die entsprechenden Stellen gibt. Der jungen Frau im vorherigen Beispiel würde ich etwa raten, eine Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit aufzusuchen. Und wenn eine Person aus einem Umfeld kommt, in dem Sexualität stark tabuisiert ist, ist sie vielleicht froh über einen Flyer mit Informationen. Auch wenn sie ihn dann unter dem Duvet mit der Taschenlampe liest.
Seit einem Jahr ist auch die Pille danach «EllaOne» rezeptfrei erhältlich, die bis zu fünf Tage nach dem Sex wirkt. Die Hersteller werben aggressiv dafür, etwa auf WCs in Clubs. Was halten Sie davon?
Es ist riskant, wenn junge Leute als Folge solcher Werbungen das Gefühl bekommen, sie könnten nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr fünf Tage warten, bis sie eine Apotheke aufsuchen. Je später die Pille danach eingenommen wird, desto höher ist das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft. Es ist tatsächlich so, dass die Pharmafirmen ihre Notfallverhütungs-Präparate ziemlich aggressiv bewerben, auch bei uns. Es kommen Vertreter vorbei, wir bekommen Telefonanrufe und Post. Am liebsten wäre es den Herstellern, die Pille danach wäre wie Kaugummi am Kiosk erhältlich. Auch hier ist es Aufgabe der Apotheker, sich nicht beeinflussen zu lassen und eine neutrale Beratung zu gewährleisten.
Haben Sie das Gefühl, dass der Umgang mit Notfallverhütungsmitteln in Zeiten von Tinder und Co. leichtfertiger geworden ist?
Nein, eigentlich nicht. Für die meisten Frauen ist es eine emotionale und finanzielle Belastung, wenn sie die Pille danach kaufen müssen. Klar: Besonders am Sonntag ist die Nachfrage jeweils gross, in der Notfallapotheke in Basel haben wir teilweise mehrere Beratungen pro Stunde. Aber das ist seit Jahren so. Ich habe nicht das Gefühl, dass es die Leute heute mehr darauf anlegen.
(jbu)