Der Kampf um die deutsche Meisterschaft ist seit Jahren nur ein Kampf der Bayern gegen sich selber. Sie gewinnen ihn selbst in einer Saison wie dieser, in der sie sich im Herbst zu einem Trainerwechsel gezwungen sahen. Für Überraschungen bleibt der DFB-Pokal. Er besitzt immer noch einen Funken Magie. Weil die Leistungsunterschiede in den Ligen weniger gross als in der Schweiz sind, gibt es regelmässig Aussenseiter, die für Furore sorgen.
Jüngstes Beispiel: Der 1. FC Saarbrücken. Der Regionallist warf mit dem 1. FC Köln und Fortuna Düsseldorf zwei Bundesligisten aus dem Wettbewerb und stürmte als erster viertklassiger Klub überhaupt in die Halbfinals.
Doch das war vor Corona. Nun ist nichts mehr, wie es vor gar nicht so langer Zeit war.
94 Tage lang hatte Saarbrücken vor dem Halbfinal gegen Bayer Leverkusen kein Pflichtspiel mehr bestritten – mehr als drei Monate. Der Gegner, der in der Liga um einen Platz in der nächsten Champions-League-Saison kämpft, trug derweil seit der Zwangspause fünf Bundesliga-Partien aus. Während der Aussenseiter kalt ins grösste Klubspiel seit Jahrzehnten startete, war der Motor des turmhohen Favoriten schon warm gelaufen.
Das ist einer der Gründe, weshalb über den Ausgang der Partie kein Zweifel herrschen konnte. Der andere war das Fehlen von Publikum im kleinen Ausweichstadion in Völklingen (der Ludwigspark wird gerade umgebaut). Das knapp 7000 Zuschauer fassende Stadion wäre trotz Laufbahn ums Spielfeld ein Hexenkessel gewesen. Für solche Affichen wurde der Begriff von den Fans als «zwölfter Mann» wohl erfunden. Eine Wand, die den eigenen Spielern Mut macht. Die vielleicht den Gegner ein wenig verunsichern kann und den Schiedsrichter ein bisschen beeinflussen.
Auch unter diesen Umständen hätte Saarbrücken, das nächste Saison in der 3. Liga spielen wird, über sich hinaus wachsen müssen, um Leverkusen zu schlagen. Doch durch die veränderten Umstände sank die Siegchance noch vor dem Anpfiff weiter. Und schon nach zwanzig Minuten und dem zweiten Leverkusener Tor war der Halbfinal, der eigentlich ein Fussballfest hätte sein sollen, entschieden.
Das Coronavirus warf das Leben ganz vieler Menschen über den Haufen. Den 1. FC Saarbrücken kostete es das schönste Erlebnis seit Ewigkeiten und die kleine Möglichkeit vom ganz, ganz grossen Coup. So viel schien möglich zu sein nach dem Viertelfinal-Triumph. In den buntesten Farben wurde vom historischen Einzug in den Pokalfinal geträumt: «Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin», eine Reise vom Saarland in die weit entfernte Hauptstadt (Bern und Paris sind nur halb so weit weg), eine einmalige Auswärtsfahrt.
Leverkusens Finalgegner wird heute Abend zwischen Bayern München und Eintracht Frankfurt ermittelt (20.45 Uhr im watson-Liveticker). «Vizekusen» bietet sich im Endspiel die Chance, zum ersten Mal seit 1993 wieder einen Titel zu gewinnen. Auch eine Art Cinderella-Story – aber keine, die die Herzen so berührt wie der Erfolgslauf des 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal 2019/20.