Der Zeitpunkt für eine Umfrage zur Einstellung gegenüber dem Islam als Religion hätte kaum ungünstiger sein können: Einen Tag nach dem kaltblütigen Anschlag auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift «Charlie Hebdo» publiziert die deutsche Bertelsmannstiftung die Studie «Die Wahrnehmung des Islam in Deutschland».
Obwohl die Hintergründe der Attacke in Paris noch nicht klar sind, wird davon ausgegangen, dass sie von islamistisch motivierten Einzeltätern verübt wurde.
Ob und inwiefern die Ergebnisse der Umfrage anders ausgefallen wären, wenn sie nach den gestrigen Ereignissen erhoben worden wäre – darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Allzu weit hergeholt ist die Annahme, dass Attentate wie dasjenige in Paris, der Anschlag auf die Londoner U-Bahn 2005 oder die Ermordung des Filmemachers Theo Van Gogh 2004 die öffentliche Meinung beeinflussen, aber wohl nicht.
Passend dazu unterscheiden die befragten Deutschen kaum zwischen Islam und Islamismus. Die Autoren führen das darauf zurück, dass der Islam kaum als Religion wahrgenommen wird, sondern als «demokratiefeindliche politische Ideologie». Dass eine überwiegende Mehrheit der Muslime (auch der hochreligiösen, siehe unten) in Deutschland gut integriert ist, wiegt anscheinend weniger schwer, als vereinzelte – wenn auch noch so tragische – Attacken von religiösen Fanatikern.
So sehen 57 Prozent der Deutschen im Islam eine Bedrohung. Gegenüber 2012 ist das eine Zunahme von vier Prozent. 61 Prozent sind der Meinung, dass der Islam nicht vereinbar sei mit der westlichen Welt. Und 40 Prozent fühlen sich durch die Anwesenheit von Muslimen wie Fremde im eigenen Land.
Interessant ist, dass die Angst vor dem Islam quer durch alle Gesellschaftsschichten geht. Weder politische Orientierung, noch Bildungsniveau oder Sozialstatus beeinflussen das Bild der Deutschen vom Islam. Alter und persönlicher Kontakt hingegen scheinen die Wahrnehmung deutlicher zu prägen:
Im Nordrhein-Westfahlen, wo ein Drittel der vier Millionen Muslime leben, fühlen sich 46 Prozent der Bürger bedroht. In Thüringen und Sachsen, wo der Anteil von Muslimen gerade mal 0,1 Prozent – 4000 Menschen – ausmacht, sehen 70 Prozent den Islam als Gefahr.
Während die Pegida-Demonstrationen in der sächsischen Hauptstadt Dresden mit immer mehr Zulauf rechnen können (zuletzt waren es über 18'000 Personen), können ähnliche Aufrufe etwa in Köln nur einige Hundert Sympathisanten auf die Strasse treiben.
#Nokoegida Spontandemo in die City nach #koegida Niederlage. https://t.co/LAjgP7x674
— Felix Huesmann (@felixhuesmann) 5. Januar 2015
Die Autoren der Studie halten fest, dass Muslime in Deutschland eng verbunden sind mit Staat und Gesellschaft. So sagt Yasemin El-Menouar, Islam-Expertin der Bertelsmannstifung:
Neben Befragungen zur Wahrnehmung der Muslime wurden gleichzeitig auch deutsche Muslime selber befragt. Die Zahlen der Umfrage bestätigen die Einschätzung von El-Menouar:
Die von den Befragten hochgehaltenen Ideale der Toleranz – 85 Prozent gaben an, anderen Religionen verständnisvoll gegenüberzustehen – scheint für Muslime nicht zu gelten.
Kai Hafez, Kommunikationswissenschaftler der Universität Erfurt und Co-Autor der Bertelsmann-Studie äussert sich in einem Interview mit der «Zeit» folgendermassen:
Unabhängig davon, ob die Toleranz der Befragten real oder nur eingebildet sei, bleibe «eine Art Restfeindbild unserer aufgeklärten Gesellschaft», so Hafez.
In der Pflicht seien nicht zuletzt die Medien, so Hafez in der Zeit. Die Konzentration von Themen wie IS, Scharia-Gesetze und die Gewalt von Salafisten verstärkten das Negativbild von Muslimen und kehrten die Tatsache, dass sich ein Grossteil der in Deutschland lebenden Muslimen zu demokratischen und rechtsstaatlichen Werten bekennt, unter den Teppich.