Die Lage in Brasilien wird immer prekärer. Am Freitag meldete das Gesundheitsministerium in Brasilia 3650 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 innerhalb von 24 Stunden – so viele wie noch nie. Das Gesundheitssystem ist vielerorts zusammengebrochen oder dabei zusammenzubrechen.
Zurückzuführen ist die Gesundheitskrise unter anderem auf die Regierung von Jair Bolsonaro, die das Coronavirus verharmlost.
Ein nicht unwesentlicher Anteil am starken Anstieg der Corona-Todesfälle dürfte auch die Mutante P.1 haben. Diese hat ihren mutmasslichen Ursprung in der Stadt Manaus. Experten gehen davon aus, dass P.1 zwischen November und Dezember in der nordwestbrasilianischen Stadt entstanden ist. Mittlerweile hat sich P.1 in ganz Brasilien ausgebreitet und ist in einigen Regionen bereits dominant.
Bisherige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass P.1 gefährlicher als der Wildtyp und die B.1.1.7-Mutante sein könnte. So gibt es Studien, die besagen, dass P.1:
Noch braucht es weitere Forschung zu P.1. Die Studie, welche besagt, dass das Virus bis zu zweimal ansteckender als der Wildtyp sein könnte, ist etwa noch nicht peer-reviewed. Doch bereits jetzt ist klar: Die Mutante P.1 hat das Potenzial, den Kampf gegen das Coronavirus deutlich zu erschweren. Zumal eine ansteckendere Virus-Variante auch den Grenzwert für die Herdenimmunität anheben würde. Der deutsche Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kam unlängst zum Schluss: «Die brasilianische Mutante P.1 ist die grösste Gefahr bisher.»
Das Virus hat die Landesgrenzen bereits überschritten. So wurden im Nachbarland Uruguay, wo die Fallzahlen ebenfalls stark ansteigen, vergangene Woche zwei Dutzend P.1-Fälle gemeldet. In Kanada wurde kürzlich sogar ein Cluster mit 176 P.1-Fällen identifiziert. Für die Schweiz meldete das BAG bisher sieben Fälle (Stand vom Freitag).
In Argentinien, wo die Fallzahlen zuletzt auch etwas anstiegen, zog man nun Konsequenzen. Die Regierung stoppte vergangenen Samstag sämtliche Flüge aus Brasilien. Unter anderem, weil Buenos Aires die Ausbreitung neuer Virus-Varianten Sorge bereitet.
In die Schweiz gibt es hingegen nach wie vor Direktflüge aus Brasilien. Am Dienstagmorgen um 10.29 landete etwa eine Swiss-Maschine direkt aus Sao Paulo. Über 90 Prozent der Plätze waren gebucht – das entspricht mehr als 300 Passagieren. Insgesamt bedient die Swiss momentan die Strecke Sao Paulo - Zürich fünf Mal pro Woche.
Da Brasilien auf der Risikoliste des BAG ist, müssen die Einreisenden bei der Ankunft einen negativen PCR-Test vorweisen und sich in Quarantäne begeben. Stellt sich die Frage: Reichen diese Massnahmen aus, um zu verhindern, dass die P.1-Mutante eingeschleppt wird?
Spielen wir das Szenario durch. Wir konstruieren eine fiktive Passagierin, die wir Laila nennen.
Laila war drei Wochen in Sao Paulo, da ihre Schwester vor kurzem eine Tochter auf die Welt gebracht hat. Da sie am Dienstag um 10.30 Uhr in der Schweiz ankommt, geht sie am Samstagnachmittag in Sao Paulo zum Corona-Test. Denn sie weiss: Sowohl beim Boarding als auch bei der Ankunft in Zürich muss sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 72 Stunden ist.
Noch am selben Abend will sie sich von ihrer Mutter Marta verabschieden. Wer weiss, wann sie sie das nächste Mal sehen wird? Für einen kurzen Moment wird sie unvorsichtig und umarmt sie. Was Laila zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: Marta hat sie gerade mit der P.1-Mutante infiziert.
Am Sonntag erhält Laila das Resultat des Corona-Tests: Negativ.
Am Montagabend besteigt Laila zusammen mit 300 weiteren Passagieren fit und symptomlos die Swiss-Maschine nach Zürich. Wie verordnet, hält sie sich an die Maskenpflicht. Nur zum Essen zieht sie schnell die Maske ab. Dies machen auch Djibril und Isabel, die neben ihr sitzen.
In der Schweiz angekommen, weist Laila am Flughafen ihren negativen PCR-Test vor. Sie ist nun seit über 60 Stunden mit dem Coronavirus infiziert. Ins Land kommt sie trotzdem.
Am Flughafen geht sie noch schnell das Nötigste einkaufen, damit sie in der Quarantäne nicht verhungert. Laila setzt sich in den Zug und fährt nach Olten, wo sie wohnt. Sie verspürt leichte Gliederschmerzen – glaubt aber, das komme vom Jetlag und dem langen Flug. Leider ist der IC gut besetzt, weswegen sie sich zu drei Pendlerinnen im Viererabteil setzt. Selbstverständlich mit Maske.
Voller Freude über das Wiedersehen gibt Laila ihrem Mann Mario und ihrem Sohn Luca Zuhause einen dicken Kuss auf den Mund. Sie hat fest vor, die Quarantäne zu Hause zu verbringen, aber auf den Kontakt mit ihrer Familie will sie nicht verzichten. Als Laila am Mittwochmorgen aufwacht, verspürt sie ein deutliches Kratzen im Hals.
Besteht also die Möglichkeit, dass Laila die P.1-Mutante in die Schweiz eingeschleppt hat? Eindeutig. Das Virus hätte sich am Flughafen, im Zug, zu Hause und innerhalb des Flugzeuges ausbreiten können.
Letzteres beschäftigt auch Jörg Berlinger. Er ist Sprecher der Gewerkschaft des Kabinenpersonals «Kapers», die auch die Swiss-Crew vertritt. «Es ist generell ein Problem, dass die Flieger teilweise sehr voll sind», sagt Berlinger zu watson. Es gebe vor allem Bedenken, wenn alle Passagiere gleichzeitig die Masken abziehen würden, um zu essen.
«Kapers» habe mit der Swiss verhandelt und versucht, die Ansteckungsgefahr für das Kabinenpersonal zu verringern. Bei einigen Punkten sei die Swiss sehr entgegenkommend gewesen. So wurde etwa das Verteilen des warmen Erfrischungstuches eingestellt, damit die Crew einen Gang durch das Flugzeug weniger machen muss.
«Die Swiss ist aber nicht immer auf unsere Argumente eingegangen», sagt Berlinger. «Am Apéro wollten sie etwa festhalten.» Auf Langstreckenflügen wie nach Brasilien gebe es «mehr oder weniger den gleichen Service wie immer».
Swiss-Sprecherin Meike Fuhlrott hat indes kaum Bedenken, wenn alle Passagiere gleichzeitig die Maske zum Essen abnehmen. Es sei wichtig zu verstehen, dass die Ansteckungsgefahr an Bord «äusserst gering» sei, schreibt sie auf Anfrage von watson. «Die Luft in unseren Flugzeugen zirkuliert vertikal und wird daher nicht in der Kabine verteilt.» Die Flugzeuge seien zudem mit hochwertigen Luftfiltern ausgestattet.
Vor dem Flug nach Sao Paulo werde die Crew auf Covid-19 getestet, schreibt Fuhlrott weiter. In Brasilien müsse das Team zwar nicht in Quarantäne, «wir geben jedoch die starke Empfehlung ab, dass sie das Hotelgelände nicht verlassen und sich zudem strikt an Hygiene- und Physical-Distancing-Regeln halten sollten».
Einen weiteren Test vor dem Rückflug gebe es nicht und die Crew müsse in der Schweiz auch nicht in Quarantäne, da sie von der Regelung des BAG ausgenommen sei. Überlegungen, die Flüge nach Brasilien einzustellen, gebe es aktuell keine, so Fuhlrott.
Wie das Beispiel von Laila gezeigt hat, könnte sich die Mutante nicht nur im Flugzeug ausbreiten, sondern auch nach Ankunft in der Schweiz. Gewisse Länder haben deswegen deutlich striktere Anweisungen, was nach der Landung zu tun ist. So schilderte etwa vergangene Woche ein Google-Mitarbeiter, was nach seiner Ankunft in Singapur passierte.
Mit einem Bus wurden er und seine Familie in ein Hotel chauffiert, wo die Mitarbeitenden in Schutzanzügen arbeiten. Das Zimmer dürfen sie während 14 Tagen unter keinen Umständen verlassen. Die Folge: Seit über einem halben Jahr gibt es kaum lokale Covid-Übertragungen in Singapur. Das Leben nimmt einen einigermassen normalen Lauf mit offenen Restaurants und Geschäften.
Wenn ihr mal wissen wollt, was ein Lockdown ist: ich bin gerade nach Singapore umgezogen. Darum muss ich jetzt 14 Tage in einem Hotelzimmer bleiben. Mit Frau und zwei kleinen Kindern. Wir dürfen ohne Ausnahme nicht raus, trotz zweier negativer PCR-Test. Es gibt keine Ausnahmen.
— Moritz Adler (@moritzadler) March 22, 2021
Von solchen Regeln will das BAG jedoch nichts wissen. Auch gibt es keine Überlegungen, die Flüge von Brasilien einzustellen. Auf Anfrage schreibt das BAG lediglich: «Weitere Massnahmen sind nicht vorgesehen.»
Ein Jahr versagen und nichts gelernt.
Ein Jahr versagen und niemand greift durch.
Für was genau zahle ich Steuern?
Nächste Welle (ich weiss schon nicht mehr in welcher wir aktuell sind) startet, 3.....2.....1..... GO!
(kann Spuren von Ironie enthalten)