Am Sonntag ist es so weit: Beim Heimspiel gegen Crystal Palace wird Ralf Rangnick zum ersten Mal bei Manchester United an der Seitenlinie stehen. Der Deutsche wird nach der Entlassung von Ole Gunnar Solskjaer die «Red Devils» bis Ende Saison coachen und dann während zwei Jahren eine Beraterfunktion einnehmen.
Ein Entscheid, der nicht alle begeistert. Wie Transfer-Insider Fabrizio Romano berichtet, sollen in der Kabine die Meinungen über Rangnick geteilt sein. Während sich die einen über den neuen Trainer freuen, sollen andere noch skeptisch sein, da sie nicht wissen, wie gut sich Rangnicks Spielstil und Trainingsmethoden auf die Stars der Mannschaft übertragen lassen.
Auch für viele Fans war Rangnick eine überraschende Wahl. Im Gegensatz zu anderen grossen Namen, die mit den «Red Devils» in Verbindung gebracht worden waren, betreute der Deutsche zuletzt keinen Topclub, sondern war als Leiter Sport und Entwicklung bei Lokomotive Moskau tätig.
Warum entschied sich Manchester United also trotzdem dafür, Ralf Rangnick für zweieinhalb Jahre anzustellen und ihm dabei angeblich fast 9 Millionen Euro pro Jahr zu bezahlen? Entscheidend waren wohl diese drei Punkte.
In seinem ersten halben Jahr in Manchester hat Ralf Rangnick vor allem eine Aufgabe: die kriselnden «Red Devils» in der Premier League wieder auf Kurs zu bringen. Seine letzte Anstellung als Trainer liegt zwar über zweieinhalb Jahre zurück, allerdings zeigte er früher immer wieder, wie gut er das Trainerhandwerk beherrscht.
Von 2006 bis 2008 führte Rangnick Hoffenheim von der dritten Liga in die Bundesliga, wo der Aufsteiger die Hinrunde der Saison 2008/09 sensationell auf dem ersten Platz beendete und Ende Saison auf dem guten siebten Platz landete. 2011 übernahm er interimistisch Schalke 04, wo er im Viertelfinal der Champions League überraschend Titelverteidiger Inter eliminierte und den DFB-Pokal gewann. Und bei seiner bisher letzten Station als Trainer führte er RB Leipzig 2018/19 auf den dritten Platz der Bundesliga.
Rangnick galt dabei lange Zeit als einer der Erfinder des modernen Fussballs, weshalb er noch immer den Übernamen «Fussball-Professor» trägt. Schon Ende der 90er-Jahre sprach Rangnick von seiner Spielphilosophie, ein hohes Pressing aufzuziehen – etwas, das damals noch weitgehend unbekannt war.
Damit etablierte Rangnick in Deutschland einen Spilstil, welcher heute noch Gang und Gäbe ist. «Rangnick hatte riesigen Einfluss auf uns alle», sagte zum Beispiel Jürgen Klopp, der mit seinen Teams ebenfalls einen Pressing-basierten Fussball spielen lässt.
Damit ist auch klar, wie Rangnick Manchester United wieder zum Erfolg bringen will: mit Pressing, Ordnung und viel Laufarbeit. «United wird sehr organisiert spielen – das ist keine gute Nachricht für andere Klubs», weiss auch Jürgen Klopp.
In Manchester wird Rangnick zudem die etwas ungewohnte Aufgabe haben, dabei zu helfen, seinen eigenen Nachfolger als Trainer zu finden. Dabei wird Manchester United die Meinung von Berater Rangnick besonders interessieren – schliesslich bewies der Deutsche in jüngster Vergangenheit immer wieder, ein Auge für künftige Top-Trainer zu haben. In Deutschland war zuletzt von einer «Rangnickisierung der Bundesliga» die Rede – sind sechs der 18 momentanen Coaches ehemalige Weggefährten des «Fussball-Professors». Rangnick förderte während seiner Laufbahn unter anderen diese bekannten Trainer:
Der heutige Chelsea-Trainer verbrachte die letzten Jahre seiner Aktiv-Karriere beim SSV Ulm, wo er zum Abschluss eineinhalb Jahre von Rangnick trainiert wurde. Dieser erkannte sogleich, dass Tuchel das Zeug dazu hatte, ein guter Trainer zu werden.
«Er war immer schon ein mitdenkender Spieler, wissbegierig, die Dinge hinterfragend. Es war früh zu spüren, dass er so etwas wie ein Trainer-Gen in sich trägt», sagte Rangnick vor einigen Jahren über Tuchel. So überzeugte er ihn, ins Trainerbusiness einzusteigen, holte ihn als Nachwuchs-Coach zum VfB Stuttgart und versuchte später vergeblich, ihn nach Hoffenheim und nach Leipzig zu lotsen.
Auch Tuchel selbst betonte zuletzt, wie gross Rangnicks Einfluss auf ihn gewesen sei. «Er war eine der wichtigsten Personen, die mich überreden wollten, Trainer zu werden», erklärte der Chelsea-Trainer kürzlich bei einer Pressekonferenz. Und gegenüber «Sky Sport» sagte Tuchel: «Rangnick hat die Art und Weise verändert, wie ich Fussball geschaut habe.»
Rangnick holte den heutigen Bayern-Trainer 2019 von Hoffenheim nach Leipzig, wo Nagelsmann gute Resultate erzielen konnte. Er habe den 34-Jährigen schon seit 2011 verfolgt, als dieser mit seinem Team gegen die Mannschaft seines Sohnes spielte, sagte Rangnick kürzlich.
Schon damals imponierte ihm Nagelsmanns Entschlossenheit. «Er hat mir direkt eine E-Mail geschrieben und gefragt, wie ich seine Taktik fand und ihn selbst am Spielfeldrand. Und mein Sohn meinte, sein Trainer habe fast keine Kabinenansprache halten können, weil Nagelsmann nebenan so laut gewesen sei», erzählte Rangnick.
Auch heute hat der Bayern-Trainer noch viel Respekt vor Rangnick. «Er ist ein herausragender Trainer», sagte er kürzlich, «er wird United unglaublich guttun durch seine Power und seine Art, wie er Fussball spielen lässt.»
Der ehemalige YB-Meistertrainer wurde ebenfalls im Red-Bull-Kosmos gross, allerdings nicht in Leipzig, sondern in Salzburg. Auch dort zog Rangnick die Fäden, als Hütter 2014 verpflichtet wurde. Vor allem das «brutale Pressing», welches Hütter bei Ligakonkurrent Grödig spielen lassen habe, imponierte Rangnick.
In Salzburg profitierte Hütter dann auch von der jahrelangen Erfahrung Rangnicks. So habe er ihn auch gerne ab und zu um Rat gefragt, sagte er während seiner Zeit bei YB der «Basler Zeitung». «Er ist seiner Zeit voraus, hat ein irrsinniges Fachwissen», lobe der Österreicher Rangnick.
Rangnick kennt Rose schon seit vielen Jahren – der neue United-Coach trainierte den Dortmund-Trainer einst bei Hannover. Als Trainer fiel Rose Rangnick auf, als dieser 2013 Trainer bei Lok Leipzig war. «Marco überzeugte in den Derbys gegen RB», erklärte Rangnick. So kontaktierte Rangnick seinen ehemaligen Schützling im folgenden Sommer und schaffte es, mit dem Versprechen, ihm bei seiner Ausbildung zu helfen, diesen als Trainer für die U16 zu verpflichten.
Von dort aus stieg Rose immer weiter auf, bis er 2017 zum Cheftrainer der ersten Mannschaft ernannt wurde. Es war der Start einer Trainerkarriere, die immer weiter noch oben ging. Nach zwei Titeln mit Salzburg führte Rose Mönchengladbach in die Champions League und kämpft mittlerweile mit Borussia Dortmund um den Titel.
Mit Marsch trainiert ein weiterer ehemaliger Rangnick-Schüler derzeit ein Bundesliga-Topteam. Der US-Amerikaner zeigte zudem in einer Anekdote auf, wie aussergewöhnlich die Methoden des «Fussball-Professors» sind. So blieb ihm sein Vorstellungsgespräch 2015 bei den New York Red Bull, seine erste Station im RB-Kosmos, besonders gut in Erinnerung.
«Ralf sagte lange nichts, ich dachte, er spräche kein Englisch. Aber als er sah, wie ich tickte, fing er plötzlich an, mich herauszufordern», erzählte Marsch der «Süddeutschen Zeitung». Darauf folgte eine hitzige Diskussion. «Ein Kampf», nannte es der US-Amerikaner. «Um Fachthemen, aber wirklich hitzig. Als ich rausging, rief ich meine Frau an und sagte: ‹Den Job kann ich vergessen. No way, dass ich den kriege.›» Doch nur 15 Minuten später erhielt Marsch einen Anruf, dass er den Job habe.
In der Folge schaffte es Marsch, im Red-Bull-Universum Karriere zu machen. Über drei Jahre trainierte er New York in der MLS, dann arbeitete er eine Saison lang als Assistenz Rangnicks bei Leipzig. 2019 zog es ihn dann für zwei Jahre zu Salzburg, ehe er 2021 als Cheftrainer nach Leipzig zurückkehrte.
Ein weiterer Grund, warum Rangnick ab Sommer als Berater weiter für ManUnited arbeiten darf, ist wohl auch seine Transferbilanz der letzten Jahre. Der Deutsche ist in der Fussballwelt gut vernetzt, so konnte er in den letzten Jahren regelmässig Talente verpflichten, deren Wert im Anschluss explodierte. Einige prominente Beispiele sind:
Im Januar 2019 wechselte der damals noch weitgehend unbekannte Norweger von Molde nach Salzburg. Dabei spielte auch Rangnick eine wichtige Rolle. Der Deutsche war bei den Gesprächen mit Vater Alf-Inge Haaland und Berater Mino Raiola involviert und schaffte es so, den Stürmer von einem Wechsel nach Österreich zu überzeugen.
Der Rest ist Geschichte: Haaland schaffte in Salzburg den Durchbruch, wechselte nach Dortmund und ist heute einer der besten Stürmer der Welt.
2014 holte Rangnick Sadio Mané aus der zweiten französischen Liga von Metz für nur vier Millionen Euro. Dies, obwohl der Senegalese in Frankreich nicht gerade brilliert hatte – in 23 Spielen kam er nur auf drei Torbeteilitungen.
In Salzburg blühte Mané dann aber richtig auf. Mit 77 Torbeteiligungen in 87 Spielen hatte er einen grossen Anteil daran, dass die Bullen in Österreich zum Serienmeister wurden. So drängte er sich für einen Wechsel in die Premier League auf – zuerst zu Southampton, dann zu Liverpool.
Im Sommer 2016 holte Rangnick Timo Werner für gut 22 Millionen Euro von Stuttgart nach Leipzig. Ein Transfer, der sitzen musste – schliesslich war es der bis dahin teuerste Neuzugang von RB in der Vereinsgeschichte. Doch Rangnick war schon dort von den Qualitäten des Deutschen überzeugt.
«Werner ist ein sehr ehrgeiziger Spieler, der sich immer weiter verbessern möchte und mit seiner Geschwindigkeit jeden Gegner vor gehörige Probleme stellen kann», stellte Rangnick damals seinen Neuzugang vor. Und er sollte Recht behalten: Werner überzeugte in Leipzig auf ganzer Linie und wurde im Sommer 2020 für über 50 Millionen an Chelsea verkauft.
Rangnick holte den Franzosen 2015 aus Valenciennes, als dieser erst 16 Jahre alt war, ins RB-Universum. Dort machte Upamecano quasi den Standard-Weg: Zuerst spielte er beim österreichischen Farmteam Liefering, dann bei Salzburg und schliesslich in Leipzig. Im letzten Sommer zog es ihn schliesslich für über 40 Millionen zu Bayern München.
Auch Upamecano weiss heute, was er Rangnick zu verdanken hat. «Sein Besuch bei uns, als er mich unbedingt holen wollte, war der wichtigste Moment für meine Laufbahn», sagte er dem «kicker» und beschrieb Rangnick als «Wissenschaftler, der schon im Voraus viele Szenarien und Entwicklungen erkennt, die andere nicht sehen».
Besonders lukrativ war für Rangnick die Verpflichtung von Naby Keita. Er holte den Mittelfeldspieler im Sommer 2014 aus Istres in Frankreich für nur 1,5 Millionen Euro. Der Guineer startete seine Karriere bei RB in Salzburg, wechselte dann nach Leipzig und wurde im Sommer 2018 für 60 Millionen nach Liverpool verkauft. Damit ist er noch immer der teuerste Leipzig-Verkauf der Geschichte.