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«It has to hurt if it’s to heal» und andere Selbsterkenntnisse

«It has to hurt if it’s to heal» und andere Selbsterkenntnisse

Bild: shutterstock
Yonnihof
Warum Fuchur mein Spirit-Animal ist, warum mein Hirn und mein Herz Kommunikationsprobleme haben und warum wir öfter auf uralte Cartoon-Schildkröten hören sollten.
03.07.2020, 15:0903.07.2020, 15:53
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Zuerst einmal möchte ich mich von ganzem Herzen für all die liebevollen, positiven und aufbauenden Kommentare zu meiner letzten Kolumne bedanken. Ich habe in den letzten zwei Wochen ganz viele Lebens- und Liebesgeschichten zugeschickt bekommen, durfte in überwältigender Form spüren, dass ich nicht allein bin und habe sogar von fast einem Dutzend Menschen erfahren, mein Text habe sie bewogen, sich auch in Behandlung zu begeben, sei es ambulant oder sogar stationär.

Haben Sie, liebe Lesenden, herzlichen Dank für all die Pfläschterli auf meiner Seele.

Nun zum heutigen Thema. Kennen Sie die Verfilmung von Michael Endes «Unendlicher Geschichte»? Nicht nur handelt es sich um einen meiner absoluten Lieblingsstreifen, sondern um einen wahren Klassiker der Filmgeschichte.

Warum? Drei Antworten:

1. Fuchur. Er allein würde als Grund eigentlich schon reichen, denn wer will schon keinem dauerbekifften Drachenechsenfischlabrador zuschauen? Fuchur ist definitiv mein Spirit-Animal.

2. Morla. Because she doesn’t give a flying f*ck. Auch sie hätte meiner bescheidenen Meinung nach einen eigenen Folgefilm verdient. Ein Morla-Spin-off, in dem einfach allen Mitwirkenden alles komplett egal ist, sie den ganzen Tag im Moor rumhängen und allergisch auf alles reagieren, was irgendwie menschlich ist. Ich mein’: Hallo! Netflix?

3. Da sind einige ganz, ganz weise Aussagen in den Film eingewoben. Mit einer davon will ich mich heute auseinandersetzen. Nachdem Atreju von Fuchur aus dem Moor gerettet wurde (Achtung, Kindheitstrauma-Alarm: R.I.P. Artaaaaaaax), wird er von zwei Gnomen verarztet. Die Gnömin – «Gnömin» ist ab sofort ein Wort – Urgl kocht ihm nicht nur Fledermausflügelsuppe (ich spare mir hier jegliche Corona-Witze), sondern versorgt auch seine Wunden, und als es einmal so richtig zieht, sagt sie: «It’s to hurt if it’s to heal».

Damit es heilen kann, muss es weh tun.

Wie Sie nun wohl aus meiner letzten Kolumne wissen, setze ich mich momentan intensiv mit mir selber auseinander. Und es stellt sich heraus: Sich selbst ausgiebig von Nahem zu betrachten, ist gar nicht so lustig.

ÜBERRASCHUNG! Not.

Ich habe vorletzte Woche geschrieben, dass ich in den letzten Tagen mehr über mich gelernt habe als in den Jahren davor. Und es ist mittlerweile noch viel mehr dazugekommen. In den Kommentaren und Rückmeldungen zur letzten Kolumne bezogen sich viele Menschen auf die Lektionen, die ich aufzählte, und sagten, sie hätten davon einiges mitnehmen können. Deshalb möchte ich hier einige Lektionen, Erkenntnisse und Lehren niederschreiben, die ich im Moment lerne, habe und ziehe. Psychotherapie by proxy, sozusagen.

Angefangen eben mit: It has to hurt if it’s to heal. Das geht auch in Richtung «No pain no gain» (ohne Schmerz kein Gewinn). Entschuldigt bitte die ganzen englischen Ausdrücke, aber die sind halt sehr treffend. Schlussendlich wollen sie alle dasselbe sagen: Wachsen ist Arbeit. Und Arbeit ist doof.

Für die meisten Probleme im Leben gibt es zwei Lösungsansätze. Den einfachen und den (individuell) richtigen. Wenn man Glück hat, ist das ein und derselbe. Meist – und grade bei grösseren Baustellen – jedoch nicht. Meist ist der einfache langfristig sogar schädlich. Ich nehme gerne das Rauchen als Beispiel. Oft sagen die Leute, es sei im Moment nicht der richtige Zeitpunkt, aufzuhören, weil Geburtstag, Jahrestag, Weihnachten, Silvester. Dabei ist der richtige Zeitpunkt immer, lediglich der einfache Zeitpunkt ist nie. Das Kaputte an und in einem selbst erkennen, es anschauen, es annehmen und es angehen, das ist enorm anstrengend. Es fordert einen heraus, Fassaden, die man vielleicht nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen aufgebaut hat, kleine, feine, fiese Selbstlügen, die man am Ende gar selbst geglaubt hat und die einem das Leben zwar einfacher, aber im Kern sicher nicht besser gemacht haben, zu entlarven und niederzureissen. Sich selbst entblössen, nicht nur gegen aussen, sondern auch vor einem selbst – puh, das geht an die Substanz. Das zerrt und zieht und es tut weh.

But: It has to hurt if it’s to heal.

Ich will nicht sagen, dass man sich das Leben an allen Ecken und Enden schwer machen soll. So, wie das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit, ist der Gegenentwurf zur Verdrängung eben nicht Selbstkasteiung, sondern eine Auseinandersetzung mit sich selbst, die sowohl Strenge als auch Milde, Forderung als auch Wohlwollen beinhaltet.

Das Ziel ist nicht, den ganzen Lebens-Rucksack abzuwerfen, sondern ihn von Unnötigem zu befreien und das, was dann noch bleibt, was uns als Menschen auch geformt hat, anzunehmen und so zu packen, dass man es tragen, jedoch trotzdem eine Form der Leichtigkeit empfinden kann. Das klingt super einfach. Ist es aber nicht.

Das ist auch eine Baustelle bei mir – das Verkopfen von Dingen, die ziemlich bedeutungslos sind, durch die stetige Beschäftigung damit jedoch an Kraft gewinnen und Platz im Hirn und im Herzen beanspruchen, den sie gar nicht verdienen. Den Unterschied erkennen zwischen dem, was unser Herz verletzen darf und was nicht (was im Rucksack bleiben soll und was nicht) – und diesem Herzen dann auch noch diesen Unterschied beizubringen, braucht Ausdauer. Mein Herz, vielleicht ist das bei Ihnen ja anders, ist nämlich ein ziemlich treudoofer, naiver Muskelklumpen und mein Hirn regt sich immer wieder fürchterlich über ihn auf.

À propos: Das mit dem Hirn und dem Herzen. Läck mir, bin ich schlecht, die beiden Dinge zu vereinbaren. Mein Hirn weiss sehr viele Dinge wahnsinnig gut. Wirklich. Und es würde anderen Menschen in meiner Situation unglaublich gute, logische, stringente Tipps geben können, es wäre liebevoll mit mir, würde mir Raum geben und mich in meiner Imperfektion annehmen. Mein Herz aber so: ICH CHUM NÖD DRUUS – und macht alles genau gleich, wie es das in meiner Jugend anno 1912 gelernt hat.

So habe ich aus meiner kleinen Auszeit zum Beispiel viel über Achtsamkeit gelernt, ein Prinzip, das sich durch alle Formen von Therapie (Bewegungs-, Gesprächs-, Ergo-, Psychotherapie) zog. Am Anfang vor allem, dass sie viel schwieriger ist, als man denkt. Achtsamkeit als aktives Wahrnehmen des Hier und Jetzt. Ohne Wertung. Ohne Gedanken an die Zukunft und an die Vergangenheit. Einfach dasitzen und wahrnehmen, was ich höre, sehe, rieche, spüre. Das klingt banal, aber glauben Sie mir, das ist es nicht. Gerade, wenn das Hirn in einer Geschwindigkeit rattert wie bei einem Hamster auf Speed. Wenn man viele Sorgen hat, ist es wahnsinnig schwierig, sich aus Gedankenspiralen herauszuholen. Und das gelingt auch nicht einfach so. Der erste Schritt ist, zu erkennen, dass man abdriftet. Auch das ist Achtsamkeit. Zu schnallen: Aha, jetzt bin ich wieder bei meiner Steuererklärung, meinen Zukunftsängsten, Verletzungen aus der Vergangenheit. Und sich dann aktiv ins Hier und Jetzt zurückzuholen.

Vielleicht denken Sie jetzt: Kumbaya?

Womöglich. Fakt ist, dass Achtsamkeit trainiert werden kann wie ein Muskel. Seit ich sie übe – und ich bin wirklich eine Anfängerin, das zeigt sich nur schon darin, dass ich heute Morgen während einer Übung, bei der ich ans Jetzt und an den Moment denken sollte, entschlossen habe, heute Abend Moussaka zu machen –, geht es mir besser. Vielleicht durch die tatsächliche Achtsamkeit, vielleicht nur schon dadurch, dass ich meinem Gehirn ab und an Pausen gönne, in denen es nichts muss. Warum das funktioniert, ist mir letztendlich ziemlich egal, wichtig ist, dass es funktioniert. Mal nicht 1000 Gedanken voraus- und hinterherzudenken, sondern einfach sein und die Welt nehmen, wie sie halt ist.

Oder, um noch den letzten englischen Spruch, dieses Mal aus «Kung Fu Panda», zu bemühen: «Yesterday is history, tomorrow is a mystery, but today is a gift – that’s why they call it present.»

(Das ist schwierig zu übersetzen, aber ich versuch’s mal: «Das Gestern ist Geschichte, das Morgen ist ein Mysterium, aber das Heute ist ein Geschenk – drum nennt man es wohl Präsen(t)s.»)

Und hier noch ein kleines Extra-Präsen(t)s von mir für Euch, ich weiss, Ihr wollt es:

Limahl: Never Ending Story (1984)

Yonni Moreno Meyer
Yonni Moreno Meyer (38) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn (*2019) in Zürich.

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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isky
03.07.2020 17:03registriert September 2016
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fools garden
03.07.2020 20:06registriert April 2019
Ohne Probleme lebt es sich immer ganz leicht, das trifft für die Meisten zu, aber wem es gelingt mit Tiefschlägen, Rückschlägen und andern Schlägen ins Gesicht möglichst locker umzugehn, dem gehts im Leben etwas leichter.
Unter dem Strich brauchen wir "nur" einmal öfter Aufzustehn als wir hinfallen.
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