Fast jeder kennt die Geschichte vom WK-Soldaten, dem die Vorgesetzten am Ende des Kurses den Befehl geben, grundlos Munition zu verschiessen, damit das Budget im nächsten Jahr nicht gekürzt wird. Diese Praxis mag für Aussenstehende verschwenderisch klingen, doch tatsächlich ist das ein vergleichsweise sinnvoller Einsatz der teuer eingekauften Geschosse.
Wie Recherchen der «Schweiz am Wochenende» zeigen, wird die Armee in den nächsten 15 Jahren die Hälfte ihres Munitionsbestandes verschrotten. Dessen Gesamtwert beträgt laut der Staatsrechnung 3.4 Milliarden Franken. Jedes zweite Geschoss wird ungebraucht entsorgt.
Das Militär verschrottet die Munition aus Altersgründen oder weil die dazugehörigen Waffensysteme ausser Dienst gestellt werden. Die Verschrottung verursacht jährliche Kosten von über zehn Millionen Franken.
Das Verteidigungsdepartement (VBS) bestätigt die Information auf Anfrage, will aber «aus Sicherheitsgründen» nicht bekannt geben, welche Munitionsgattung in welchem Umfang in ihren Beständen liegt und von der Entsorgung betroffen ist. Nimmt man den Gesamtwert des aktuellen Munitionsbestandes zum Massstab, entsorgt die Armee in den kommenden eineinhalb Jahrzehnten Geschosse im Wert von 1.7 Milliarden Franken.
In seiner Stellungnahme betont das Departement, alle Munition habe eine begrenzte Haltbarkeit. Die Hersteller gäben in der Regel Garantien von höchstens zehn Jahren, manchmal auch nur wenige Jahre. Könne die Sicherheit nicht mehr garantiert werden, müsse die Munition entsorgt werden. Die Rüstungsbehörde Armasuisse bemühe sich, die Lebensdauer durch eine gute Lagerung und Überwachung auszudehnen.
Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Während die Armee jedes Jahr Munition im Wert von Dutzenden Millionen Franken verschrottet, beantragt sie dem Parlament im gleichen Rhythmus den Kauf neuer Geschosse.
Verteidigungsministerin Viola Amherd betonte in der Sommersession zwar, die Armee habe in den letzten Jahren durchschnittlich 40 Prozent weniger Munition beschafft als noch vor zehn Jahren. Im aktuellen Rüstungsprogramm sind aber immer noch 147 Millionen Franken vorgesehen. 2017, als unerwartete Gelder frei wurden, sogar 381 Millionen Franken.
Linke Sicherheitspolitiker versuchen jeweils erfolglos, die Beträge nach unten zu korrigieren. Bei Rüstungsbeschaffungen funktioniert der bürgerliche Block wie eine gut geölte Maschine.
Auf die grossen Mengen verschrotteter Munitionsbestände angesprochen reagieren indes auch rüstungsfreundliche Politiker besorgt. Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht kündigt an, er werde das Ausmass der Entsorgung in der nächsten Sitzung der sicherheitspolitischen Kommission im August zum Thema machen. Vielleicht gäbe es die Option, nicht gebrauchte Munition an Schützenfeste abzugeben oder für WK-Einheiten einzuplanen.
Auch der Aargauer GLP-Nationalrat Beat Flach zeigt sich überrascht: «Mir war nicht bewusst, dass derart viel Munition entsorgt wird.» Es sei natürlich nicht die Idee, dass man die Geschosse nach dem Kauf «ein paar Mal auf dem Pallett herumschiebt und dann entsorgt».
Einer, der seit längerem vermutet, dass die Armee im grossen Stil alte Munition vernichtet, ist der grüne Sicherheitspolitiker Balthasar Glättli. Er sagt: «Das effektive Ausmass der Entsorgungen ist noch grösser, als ich befürchtet habe.» Weitere solche Debakel könnten nur verhindert werden, wenn die bürgerliche Mehrheit ihre Kritik an den «Wunschzetteln des VBS» nicht nur in den Medien äussere, sondern bei den Abstimmungen zu den Rüstungsprogrammen auch danach handle.
Eine Strategie zur Reduktion der Verschrottungsmenge sind laut Verteidigungsdepartement Simulatoren, welche die Armee im Ausbildungsbetrieb künftig vermehrt einsetzen wolle. Die Ausbildung werde dadurch günstiger, effizienter und umweltfreundlicher. Jedoch würden auch bei Simulationen oft Markiermunition oder Rauchkörper benötigt. Das Einsparpotenzial hänge vom Waffensystem ab.