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Uno-Folterexperte nimmt Fall Assange unter die Lupe

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Wikileaks-Gründer Julian Assange beim Verlassen des Westminster Magistrates Court in London, am 13. Januar 2020.Bild: EPA

Uno-Folterexperte nimmt Fall Assange unter die Lupe – sein Urteil ist vernichtend

04.02.2020, 16:1023.05.2023, 11:30
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Ein Interview mit dem Schweizer Uno-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sorgt momentan für Aufsehen. Das Online-Magazin Republik interviewte Melzer zu seinen Recherchen im Fall Julian Assange. Das gesamte Interview findet ihr hier.

Die Aussagen des Sonderberichterstatters lassen aufhorchen. Er beschuldigt die Behörden in Schweden, die Vergewaltigung, die Assange vorgeworfen wird, konstruiert und Beweise manipuliert zu haben. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung der zweiten Frau sei im Raum stehen geblieben, ohne dass die schwedischen Behörden Interesse angezeigt hätten, diesen zu klären. Assange soll psychologisch gefoltert worden sein und stünde im Falle einer Auslieferung unter grosser Gefahr, von den USA physisch gefoltert zu werden.

Melzer sieht auch die Pressefreiheit in Gefahr. Der Umgang mit Julian Assange sei das beste Beispiel dafür. Hier die wichtigsten Aussagen Melzers im Interview:

Zu dem konstruierten Vergewaltigungsvorwurf:

«Ich spreche fliessend Schwedisch und konnte deshalb alle Original­dokumente lesen. Ich traute meinen Augen nicht: Nach Aussagen der betroffenen Frau selber hat es nie eine Vergewaltigung gegeben. Und nicht nur das: Die Aussage dieser Frau wurde im Nachhinein ohne ihre Mitwirkung von der Stockholmer Polizei umgeschrieben, um irgendwie einen Vergewaltigungs­verdacht herbeibiegen zu können. Mir liegen die Dokumente alle vor, die Mails, die SMS.» [...] Die schwedischen Behörden wiederum waren an der Aussage von Assange nie interessiert. Sie liessen ihn ganz gezielt ständig in der Schwebe. Stellen Sie sich vor, Sie werden neuneinhalb Jahre lang von einem ganzen Staats­apparat und von den Medien mit Vergewaltigungs­vorwürfen konfrontiert, können sich aber nicht verteidigen, weil es gar nie zur Anklage kommt. [...] Assange hat sich mehrfach bei den schwedischen Behörden gemeldet, weil er zu den Vorwürfen Stellung nehmen wollte. Die Behörden wiegelten ab.»

Über die Schuld Schwedens:

«Wenn ein Staat wie Schweden die Fragen des Uno-Sonder­ermittlers für Folter nicht beantworten will, dann ist sich die Regierung der Unrechtmässigkeit ihres Verhaltens bewusst. Dann will sie für ihr Handeln keine Verantwortung übernehmen.»
«Es gibt für all das, für das Verweigern einer diplomatischen Garantie, für die Weigerung, ihn in London einzuvernehmen, nur eine Erklärung: Man wollte ihn in die Finger kriegen, um ihn an die USA ausliefern zu können. Was sich in Schweden im Rahmen einer strafrechtlichen Voruntersuchung innert weniger Wochen an Rechts­brüchen akkumuliert hat, ist absolut grotesk.»
A court artist sketch by Elizabeth Cook of Wikileaks founder Julian Assange appearing at Westminster Magistrates Court, London, for an administrative hearing in London, Monday, Jan. 13, 2020. Assange  ...
Bild: AP

Warum die schwedischen Behörden das überhaupt hätten tun sollen:

«Der zeitliche Kontext ist entscheidend: Ende Juli veröffentlicht Wikileaks in Zusammen­arbeit mit der «New York Times», dem «Guardian» und dem «Spiegel» das sogenannte «Afghan War Diary». Es ist eines der grössten Leaks in der Geschichte des US-Militärs. Die USA fordern ihre Alliierten umgehend dazu auf, Assange mit Straf­verfahren zu überziehen. Wir kennen nicht die ganze Korrespondenz. Aber Stratfor, eine für die US-Regierung tätige Sicherheits­beratungs­firma, rät der amerikanischen Regierung offenbar, Assange die nächsten 25 Jahre mit allen möglichen Straf­verfahren zu überziehen.»

Was Assange in den USA erwartet

«Er wird kein rechtsstaatliches Verfahren bekommen. Auch deswegen darf er nicht ausgeliefert werden. Assange wird vor ein Geschworenen­gericht in Alexandria, Virginia, kommen. Vor den berüchtigten Espionage Court, wo die USA alle National-Security-Fälle führt. (...) Das Verfahren wird immer von derselben Einzel­richterin geführt, hinter geschlossenen Türen und aufgrund geheimer Beweis­mittel. Niemand wurde dort in einem solchen Fall jemals freigesprochen.»

Das Recht auf einen fairen Prozess

«Ich sage nicht, Julian Assange sei ein Engel. Oder ein Held. Aber das muss er auch nicht sein. Denn wir sprechen von Menschen­rechten und nicht von Engels- oder Helden­rechten. Assange ist ein Mensch, er hat das Recht, sich zu verteidigen und menschlich behandelt zu werden. Was auch immer man Assange vorwirft, er hat ein Recht auf ein faires Verfahren. Das hat man ihm konsequent verwehrt, und zwar sowohl in Schweden wie auch in den USA, in England und in Ecuador.»
Demonstrators stand outside Westminster Magistrates Court in support of where WikiLeaks founder Julian Assange is due to appear for an administrative hearing, in London, Monday, Jan. 13, 2020. Assange ...
Bild: AP

Der Vorwurf der Folter:

«Julian Assange wurde von Schweden, England, Ecuador und den USA gezielt psychologisch gefoltert. Zuerst mit der Art von zutiefst willkürlicher Prozess­führung. Die Verfahrens­führung von Schweden, mit aktiver Beihilfe durch England, war darauf ausgerichtet, ihn unter Druck zu setzen und in der Botschaft festzusetzen. Es ging Schweden nie darum, die Wahrheit heraus­zufinden und diesen Frauen zu helfen, sondern darum, Assange in eine Ecke zu drängen.»

Zur Auswirkung des Assange-Prozesses auf die Pressefreiheit:

«Schauen Sie, wo wir in 20 Jahren stehen werden, wenn Assange verurteilt wird. Was Sie dann als Journalist noch schreiben können. Ich bin überzeugt, dass wir in ernsthafter Gefahr sind, die Presse­freiheit zu verlieren. Es passiert ja schon: Plötzlich wird im Zusammen­hang mit dem «Afghan War Diary» das Haupt­quartier von ABC News in Australien durchsucht. Der Grund? Wieder hat die Presse das Missverhalten von Staats­vertretern enthüllt. Damit die Gewalten­teilung funktioniert, braucht es eine Überwachung der Staatsgewalt durch eine freie Presse als die vierte Macht im Staat.»

Warum Assange so konsequent verfolgt wurde:

«Man möchte an Julian Assange mit einem Schau­prozess ein Exempel statuieren. Es geht um die Einschüchterung anderer Journalisten.»

(dfr)

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Sieben Jahre in der Botschaft: Der Fall Julian Assange
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Sieben Jahre in der Botschaft: Der Fall Julian Assange
Sommer 2010: Von Juli bis Oktober veröffentlicht die Enthüllungsplattform Wikileaks rund 470'000 als geheim eingestufte Dokumente, die mit diplomatischen Aktivitäten der USA und mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak zu tun haben. Weitere 250'000 Dokumente kommen später hinzu.
quelle: shutterstock.com
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Julian Assange in der Botschaft Ecuadors festgenommen
Video: srf
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109 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Menel
04.02.2020 16:20registriert Februar 2015
"Denn wir sprechen von Menschen­rechten und nicht von Engels- oder Helden­rechten. Assange ist ein Mensch, er hat das Recht, sich zu verteidigen und menschlich behandelt zu werden. Was auch immer man Assange vorwirft, er hat ein Recht auf ein faires Verfahren."

Dem ist nichts hinzuzufügen.
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El Tirador
04.02.2020 16:36registriert März 2017
Das Traurige ist vor allem, das statt den Folterern und Kriegsverbrecher, demjenigen der Prozess gemacht wird, dem Menschenrechte etwas bedeuten und für die Einhaltung dieser kämpft.
Die Ankläger müssten eigentlich auf die Anklagebank, denn sie sind die wahren Täter.
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freeLCT
04.02.2020 16:27registriert Januar 2020
Lustig das es einen Herr Melzer dafür braucht, dass die Notlage Assange's und der Weg dorhin in derart kritischem Licht betrachtet wird. Ich bedanke mich allemal bei ihm für diese investigative Arbeit.

Wer sich seit Wikileaks-Beginner-Zeiten mit Assange befasst hat, hat auch begriffen, dass die schwedische Strafverfolgung dafür da ist, Assange aus der "vermeintlich" sicheren Botschaft in London zu bringen.

Der Plan war von Anfang an, eine Person zu bestrafen, welche dem westlich-imperialistischem Wertekonsenz im Weg gestanden ist und diesen aktiv zu bekämpfen versuchte.

Free Julian!
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