«Pausenplatz-Hockey» stand einst für das wilde, unkontrollierte Offensivhockey bei der ersten WM unter Patrick Fischer 2016 in Moskau. «Pausenplatz-Hockey» ist inzwischen der Stil der erfolgreichsten Liga ausserhalb der NHL. Nirgendwo ausserhalb der NHL kommen so viele Zuschauer zu nationalen Meisterschaftsspielen wie bei uns.
«Pausenplatz-Hockey» ist das Pendant zu Strassen- oder Strandfussball. Eishockey als Spiel der Kunst und Lebensfreude. Nicht eingezwängt in ein taktisches Korsett.
Eishockey als helvetischer Gegenentwurf zum seelenloschen Systemhockey schwedischer Prägung. Kein Wunder kamen letzte Saison während der Qualifikation bei uns durchschnittlich 6833 Fans und in Schweden, im Lande des Weltmeisters, lediglich 5669. Und der SCB war mit einer Auslastung von 95,56 Prozent und einem Schnitt von 16'371 Fans pro Spiel Nummer 1 ausserhalb der NHL.
Hier die Übersicht der europäischen Ligen – die Schweiz ist beim Zuschauerschnitt weltweit nach der NHL die Nummer 2:
«Pausenplatz-Hockey» in verschiedenen Ausprägungen macht einfach mehr Spass als schwedisches Hockey-Schach und hat unsere höchste Spielklasse zur erfolgreichsten Liga neben der NHL gemacht.
Unsere Art Eishockey nicht zu arbeiten, sondern zu spielen und zu zelebrieren, ist zu unserem Markenzeichen geworden wie einst der «Samba-Fussball» für Brasilien. Inzwischen sagen auch weitgereiste Hockey-Kenner, das helvetisches Lauf- und Tempospiel sei oft unterhaltsamer und mitreissender als NHL-Hockey. Und beinahe sind wir mit «Pausenplatz-Hockey» Weltmeister geworden.
Mit Zuschauereinnahmen alleine kann zwar ein Hockeyunternehmen nicht mehr finanziert werden. Und doch sind die Zuschauerzahlen der verlässlichste Indikator für die wirtschaftliche Stärke. Weil sie die Attraktivität des Produkts zeigen und diese Attraktivität bringt Investoren und Werber dazu, ihr Geld im Eishockey auszugeben. Keine andere Liga neben der NHL ist wirtschaftlich so stabil wie unsere höchste Spielklasse.
Logisch deshalb, dass in der Schweiz die weltweit höchsten Durchschnittslöhne ausserhalb der NHL bezahlt werden (rund 230'000 Franken pro Jahr). Das ist zwar immer noch gut zehnmal weniger als der Durchschnittsverdienst in der NHL. Aber so viel Geld wie bei uns kann ein Durchschnittsspieler ausserhalb der NHL nirgendwo verdienen. Die KHL zahlt lediglich höhere Spitzenlöhne.
Das Gejammer unserer Manager und der Chronisten über zu hohe Löhne gehört zum Hockey wie das Glockengeläut zur Alpabfahrt. Es ist erstens naiv und zweitens fehl am Platz.
Erstens sind hohe Löhne immer ein Zeichen von Wertschätzung: Viel Geld wird nur in ein gutes Produkt investiert. Zweitens ist die Höhe der Saläre das Produkt der Verhandlungen zwischen dem Spieler bzw. dessen Agenten und dem Sportchef. Wer besser verhandelt, holt den besseren Deal heraus. Drittens werden Mehreinnahmen von den Klubs seit Anbeginn der Zeiten (und bis zum Jüngsten Gericht) immer subito in die Löhne investiert. Mehr Gesamteinnahmen bedeuten nun mal höhere Löhne – so wie beim Ansteigen des Wassers auf dem See alle Schiffe angehoben werden.
Wird über hohe Löhne gejammert, ist das ein gutes Zeichen: es wird mehr Geld ins Hockey investiert und es werden höhere Einnahmen erzielt. Gehen die Einnahmen zurück, gehen auch die Löhne wieder runter. Und auch das Klagen über mögliche Konkurse ist nicht nachvollziehbar. Es sind in den letzten 30 Jahren mehr Banken, Versicherungsgesellschaften, Möbelfabriken, Werbeagenturen, Zeitungen und Zeitschriften, Fluggesellschaften oder Baufirmen eingegangen als helvetische Hockeyunternehmen.
Auch die Anzahl Teams in der höchsten Liga (12) ist ideal. Sie garantiert nämlich eine gute Abdeckung aller Landesteile – also der Deutschschweiz, dem Tessin und der Romandie und mit Ausnahme von Basel und der Nordostschweiz auch von allen urbanen Zentren. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg. Sie würde durch eine Reduktion auf 10 Teams gefährdet.
Kommt dazu, dass das Gejammer über zu wenig Spieler haltlos ist. Die Sportchefs müssen halt ihre Startrainer dazu anhalten, den jungen Talenten eine Chance zu geben. Nach wie vor ist auch der beste Trainer ein Angestellter eines Sportunternehmens und er hat die sportliche Abteilung im Interesse des Klubs zu führen. Aber die Sportchefs nehmen ihre Führungsverantwortung viel zu wenig wahr. Beim SCB macht beispielsweise Startrainer Kari Jalonen die Sport-Politik und hat inzwischen die ganze sportliche Führung nach seinen Wünschen besetzt (gleich drei finnische Assistenten!) und darüberhinaus die ganze Transferpolitik bestimmt. In Bern wedelt der Schwanz sozusagen mit dem Hund.
Eine solide wirtschaftliche Basis ist die Voraussetzung für eine ausgeglichene Liga. Die Ausgeglichenheit ist tatsächlich so gross wie noch nie seit Einführung der Playoffs (1985/86).
Das «Pausenplatz-Spektakel» führt oben und unten zu einem Gedränge. Wir können zwar einwenden, dass im 21. Jahrhundert nur vier Teams Meister geworden sind: Lugano, die ZSC Lions, Davos und der SCB. Aber wer wettet, dass in den nächsten Jahren zwei weitere Meister dazukommen werden – Zug, Lausanne oder Biel zum Beispiel – hat gute Gewinnchancen. Und dann wird mehr als die Hälfte aller Teams wissen wie man Meister wird.
Diese Entwicklung hat ihre Ursachen neben dem Eis. Noch zu Beginn der 1990er-Jahre musste ein Spieler, der es ins WM-Team bringen wollte, nach Lugano oder Bern zügeln. Weil nur dort die Saläre und die Strukturen für Profihockey vorhanden waren. Heute bietet jeder Klub die Voraussetzungen zum Spitzenhockey. Das beste Beispiel dafür ist Michael Fora. In Ambri, im kargen Bergtal der Leventina hat er sich beim zweitletzten der Qualifikation ins WM-Silberteam und zu einem NHL-Vertrag gespielt.
Wenn es von jedem Klub aus möglich ist, in den Hockey-Himmel zu kommen, dann verteilen sich die besten Spieler über die ganze Liga und die Folge ist die Ausgeglichenheit, wie wir sie heute kennen. Ein Absturz eines potenziellen Meisterteams in die zweite Tabellenhälfte ist im Fussball ausgeschlossen. Im Eishockey inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Zuletzt haben der SC Bern (2016) und die ZSC Lions (2018) die Meisterschaft aus dem Tabellenkeller heraus gewonnen. 2014 hat der Meister (SC Bern) sogar die Playoffs verpasst.
Langnau oder Ambri können zwar um die Stars nicht mitbieten. Aber sie können Talente so gut bezahlen, dass sie lieber in der Provinz Verantwortung und viel Eiszeit übernehmen und zu «fertigen» Spielern reifen (wie Michael Fora) statt für ein höheres Salär Hinterbänkler bei den Titanen zu sein.
Und was ist nun die wichtigste Partie heute beim Saisonstart? Natürlich die ZSC Lions gegen den SC Bern. Nein. Wer diese Partie gewinnt, ist eigentlich völlig unerheblich. Im nächsten Februar werden der Verlierer und der Gewinner die Playoffs bestreiten.
Die wichtigste Partie spielen die SCL Tigers gegen die SC Rapperswil-Jona Lakers. So wie es im siebten Finalspiel in Lugano um den Titel gegangen ist, so steht hier für beide bereits der weitere Verlauf der Saison auf dem Spiel.
Blick voruus - Saisonstart und Zürichseederby #SCRJLakers https://t.co/7ROiLqpOm5 pic.twitter.com/srdx7n0kQR
— SCRJ Lakers (@lakers_1945) 18. September 2018
Die Erklärung ist ganz einfach: Langnau hat im Herbst 2017 die fünf ersten Partien verloren. Am Ende fehlten vier Punkte für die Playoffs 2018. Wenn die Emmentaler in den ersten fünf Spielen mindestens vier Punkte geholt hätten, dann wären sie zum zweiten Mal in die Playoffs gekommen.
Es passt zu dieser Argumentation, dass die SCL Tigers damals, als sie zum bisher einzigen Mal die NLA-Playoffs erreichten (2010/11) in den ersten fünf Partien fünf Punkte gewonnen hatten. Logisch auch, dass Absteiger Kloten letzte Saison die ersten sechs Spiele verloren hat. Und der guten Argumentation halber sei auch noch erwähnt, dass Lausanne, als es in der Saison 2013/14 als Neuling sensationell in die Playoffs stürmte, in vier der ersten fünf Partien triumphierte und auch Titelverteidiger SCB bodigte.
Die Grossen haben in der Regel genug Substanz und Geld, um sich von einem Fehlstart mit geeigneten Krisenmassnahmen zu erholen, die Playoffs doch noch zu erreichen und dann aus dem Keller heraus die Meisterschaft zu gewinnen – wie zuletzt Bern 2016 sowie die ZSC Lions 2012 und 2018.
Die Aussenseiter haben hingegen weder Geld noch Substanz, um einen Fehlstart zu korrigieren. Sie müssen im Herbst schon ein Maximum herausholen und so spielen wie die Grossen erst in den Playoffs, um die Grundlage für eine Überraschung zu legen.
Für Langnau und die Lakers wird die Playoff-Frage also bereits im September und Oktober beantwortet. Ein Sieg am ersten Spieltag bringt die Langnauer ins Playoff-Rennen und verbannt einen direkten Konkurrenten schon mal ans Tabellenende und entmutigt ihn.
Ein Sieg der Lakers kann hingegen der Auftakt zu einem wunderbaren Herbst werden und dazu führen, dass der Aufsteiger weit über sich hinauswächst. Gewinnen die Lakers, sind sie nach dem ersten Spieltag bereits über dem Strich und Langnau findet sich am Tabellenende wieder. Mit drei Punkten Rückstand auf den Neuling. Folgt am Samstag in Bern eine weitere Niederlage, kommt Unruhe auf.
Eigentlich ist die Bedeutung des Herbstes für die Teams der unteren Tabellenhälfte klar. Trotzdem werden Punktverluste im Herbst nach wie vor und wider besseres Wissen auf die leichte Schultergenommen («Es geht ja noch lange ...»). Doch wer als Aussenseiter im Herbst nicht sät, kann im Frühling keinen Ruhm ernten. Sage mir, wer im Oktober unter dem Strich klassiert ist und ich sage Dir, wer die Playoffs schafft.