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Reporter ohne Grenzen legen Hoffnung in Joe Biden im Fall Assange

epa08919002 A demonstrator holds a placard with Julian Assange's photograph as protesters stand in front of the British Embassy, asking for WikiLeaks founder Julian Assange to be released, Brusse ...
Zwei Assange-Unterstützer tragen Masken vor dem Londoner Gerichtsgebäude am 4. Januar 2021.Bild: keystone
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Reporter ohne Grenzen legen Hoffnung in Joe Biden für Assange: «Hoffe, er erinnert sich»

04.01.2021, 22:04
Lukas Weyell / watson.de
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Keine Auslieferung für Julian Assange: Ein Auslieferungsgesuch der USA wurde am Montag von einem Gericht in London zurückgewiesen. Begründung: Die psychische und körperliche Verfassung Assanges liessen eine Überweisung in ein US-Gefängnis in Isolationshaft nicht zu.

Der Wikileaks-Gründer, der mit seiner Plattform Kriegsverbrechen der US Army publik gemacht hatte, ist seit 2019 in Grossbritannien in Haft. Unter Barack Obama hatte die US-Administration davon abgesehen, die Auslieferung von Assange zu ersuchen. Die Trump-Administration hatte hingegen bereits direkt nach der Vereidigung des US-Präsidenten 2017 ein härteres Vorgehen gegen Assange angekündigt und bisher erfolglos versucht, den Investigativjournalisten einem Prozess in den USA zuzuführen.

Christian Mihr ist Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland. Er begleitet den Prozess gegen Julian Assange schon länger – teilweise auch vor Ort. Im Interview mit watson erklärt er, weshalb der Prozess gegen Assange in seinen Augen ein politischer ist und welche Hoffnungen er in den designierten US-Präsidenten Joe Biden legt.

«Dieses Verfahren kommt in Sachen Rechtsstaatlichkeit einer Farce gleich.»

watson.de: Sie hatten zuvor bereits davor gewarnt, dass Julian Assange in den USA kein faires Verfahren erwarten würde. Weshalb sind Sie davon überzeugt?
Christian Mihr:
Julian Assange wurde und wird auch weiter aufgrund des Espionage Acts verfolgt. Einem Gesetz, das sich gegen Spione und Spionage richtet. Was er getan hat, ist aber etwas, das Journalisten ständig tun, wenn sie mit Themen arbeiten, die die nationale Sicherheit betreffen: Er hat recherchiert und Informationen veröffentlicht.

Das heisst, Sie sehen politische Gründe hinter dem Verfahren?
Das ganze Verfahren ist politisch motiviert. Ich war in den vergangenen Monaten mehrfach vor Ort anwesend und muss sagen: Ich bin erschüttert. Ich habe bereits viele Gerichtsprozesse auf der ganzen Welt beobachtet, auch in einigen Diktaturen. Dieses Verfahren kommt in Sachen Rechtsstaatlichkeit einer Farce gleich. Dass die britische Regierung dieses Verfahren überhaupt zugelassen hat, war letzten Endes eine politische Entscheidung.

Aber zunächst einmal wurde nun beschlossen, dass dem Auslieferungsersuchen der USA nicht stattgegeben wird. Freut es Sie nicht, dass Assange nun doch nicht ausgeliefert wird?
Natürlich ist das eine gute Nachricht, aber die Entscheidung des Gerichts beruht nicht darauf, dass sie die Anklage gegen Assange für ungerechtfertigt hält. Der einzige Grund, der gegen eine Auslieferung in die USA spricht, ist sein Gesundheitszustand. Das ist sehr gut, dass das Gericht diese humanitären Gründe respektiert. Wir haben das auch immer wieder gefordert. Aber die Anklage ist damit noch nicht vom Tisch und die USA können noch einmal Berufung einlegen.

Eine Möglichkeit wäre allerdings auch, dass der US-Präsident Assange begnadigt. Unter Trump war das nicht denkbar, wie sehen Sie die Chancen bei seinem Nachfolger Joe Biden?
Ich hoffe, dass Joe Biden sich an die Diskussionen erinnert, an denen er als Vize-Präsident unter Barack Obama beteiligt war. Wir wissen durch Anfragen zur Informations- und Pressearbeit, dass es bereits unter Obama Diskussionen gab, ob man Anklage gegen Assange erhebt oder nicht und sich letzten Endes dagegen entschieden wurde.

«Es geht ihm sehr schlecht, körperlich wie psychisch.»

In gewisser Weise könnte Assange aber selbst daran beteiligt gewesen sein, dass Donald Trump Präsident wurde. Ihm wird nachgesagt, mit Veröffentlichungen gegen Hillary Clinton den Wahlsieg von Trump 2016 begünstigt zu haben…
Darum geht es in diesem Verfahren aber nicht und es ist wichtig, das zu trennen. Hier geht es um die Veröffentlichungen von 2010 und 2011, in denen Kriegsverbrechen der USA publik gemacht wurden. Damals haben viele internationale Medien, unter anderem der «Spiegel», mit Assange zusammengearbeitet. Diese Zeitungen stehen heute aber nicht vor Gericht, sondern Assange. Darum geht es.

Das hat unter anderem damit zu tun, dass Medien, die Informationen zugespielt bekommen und – sorgsam geprüft – veröffentlichen, sich nicht strafbar machen. Diejenigen, die die Informationen – möglicherweise illegal – beschafft haben, schon. Ist Assange ein Hacker?
Assange hat Quellen zugespielt bekommen und diese geschwärzt veröffentlicht. Dass er die Unterlagen illegal, etwa durch Hacking, erhalten hat, wurde ihm mehrfach vorgeworfen, ist aber durch Zeugenaussagen im Verfahren widerlegt worden. Die Beschaffung der Informationen ist auch nicht der Kern der Anklage, da geht es in der Mehrzahl um den Espionage Act und den Vorwurf, Spionage betrieben zu haben.

Wie Sie sagten, wird Assange nun nicht ausgeliefert aufgrund seines Gesundheitszustands. Wie geht es ihm aktuell?
Es geht ihm sehr schlecht, körperlich wie psychisch. Er hat akute Suizidgedanken. Das haben Psychiater und Therapeuten als Zeugen ebenfalls ausgesagt. Das würde sich wohl nach einer Auslieferung auch verschärfen, da ihn in den USA Isolationshaft erwarten würde. Eine ehemalige Leiterin einer solchen Hafteinheit hat im Prozess ebenfalls bestätigt, dass der Zugang zu psychologischer Betreuung in solchen Umständen sehr schwer ist.

Wie würden Sie das Urteil abschliessend bewerten? Bedeutet das nun, dass Julian Assange bald freikommt?
Diesen Mittwoch werden wir erfahren, ob Assange gegen Kaution in die Freiheit entlassen wird. Aber jetzt schon ist es eine grosse Erleichterung, dass er nicht ausgeliefert wird. Gleichzeitig bereitet es grosse Sorge, dass das Gericht das Auslieferungsverfahren wegen des Espionage Acts, letztlich eine politische Verfolgung von Journalisten, nicht in Frage gestellt hat.

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quelle: shutterstock.com
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