In der ersten US-Open-Woche dreht sich alles um ihn, oder besser gesagt um seine ausgedehnten Toiletten-Pausen. Nach verlorenen Sätzen verschwindet Stefanos Tsitsipas immer wieder für mehrere Minuten in den Katakomben und erhitzt damit die Gemüter.
«Das ist ein verdammter Witz», schimpfte der sonst eher besonnene Andy Murray nach seiner Niederlage in der 1. Runde, als sich Tsitsipas vor dem entscheidenden fünften Satz eine fast zehnminütige Auszeit gönnte. «Was hat er da gemacht? Ich habe noch nie so lange gebraucht, um auf die Toilette zu gehen», sagte der sichtlich erboste Brite zum Schiedsrichter und motzte munter weiter.
"It has never once taken me that long to go to the toilet, ever!" #andymurraypic.twitter.com/JiJJoUaipL
— Tennis GIFs 🎾🎥 (@tennis_gifs) August 31, 2021
Auch nach dem Match konnte er sich nicht beruhigen. «Eigentlich sollte ich darüber reden, wie gut Tsitsipas ist, wie grossartig meine eigene Leistung gewesen ist nach all dem, was ich in den letzten vier Jahren durchgemacht habe», sagte Murray kopfschüttelnd. «Stattdessen sitze ich hier und rede über WC-Pausen, medizinische Time-Outs und Verzögerungen des Spiels. Das ist doch Quatsch. Das sollte einfach nicht sein. Ich habe den Respekt vor ihm verloren.»
Die Unterbrechung habe er zwar mental wegstecken können, das Problem sei jedoch der körperliche Effekt gewesen: «Man kühlt einfach ab, wenn man solch ein brutales Match spielt und dann plötzlich sieben, acht Minuten stoppt», so Murray.
Fact of the day. It takes Stefanos Tsitipas twice as long to go the bathroom as it takes Jeff Bazos to fly into space. Interesting. 🚽 🚀
— Andy Murray (@andy_murray) August 31, 2021
Tsitsipas, der darauf hinwies, keine Regel gebrochen zu haben, ist ein Wiederholungstäter. Schon während des verlorenen Halbfinals gegen Alexander Zverev in Cincinnati verschwand er länger mit dem Handy auf der Toilette. Verdächtig ist, dass sein Vater und Coach Apostolos auf der Tribüne ständig auf seinem Mobiltelefon herumtippte. Den Vorwurf, das seien Tipps an ihn gewesen, wies der Grieche vehement von sich: «Ich weiss nicht, was für eine Fantasie man haben muss, um so etwas zu vermuten. Das ist nur lächerlich.»
Zverev ist da anderer Meinung. «Es hat doch jeder gesehen, dass sein Vater in Cincinnati getextet hat und nach der Pause spielte Stefanos eine komplett andere Taktik. Entweder er war in einem Zauber-Zimmer oder ...», erklärte er nach dem erneuten Vorfall im Murray-Match. Der Deutsche war nicht der einzige Profi, der Murray zur Seite sprang. «Andy hat Recht», twitterte beispielsweise Milos Raonic.
Andy is right!
— Milos Raonic (@milosraonic) August 31, 2021
Kein Wunder, waren beim Zweitrunden-Match gegen den Franzosen Adrian Mannarino alle Augen auf Tsitsipas gerichtet. Doch der Grieche dachte nicht daran, sich wegen der harschen Kritik plötzlich anders zu verhalten. Bei seinem beeindruckenden 6:3, 6:4, 6:7, 6:0-Erfolg verschwand er nach dem verlorenen dritten Satz erneut etwas mehr als sieben Minuten in der Garderobe. Als Tsitsipas zurückkehrte, wurde er vom Publikum dafür mit Buhrufen eingedeckt.
Noch auf dem Court erhielt der French-Open-Finalist dann die Chance, sich zu rechtfertigen, als er beim On-Court-Interview von Brad Gilbert auf seine Toiletten-Gänge angesprochen wurde. Doch der Grieche vermied es dieses Mal, weiter Öl ins Feuer zu giessen und antwortete ganz sachlich: «Ich habe mich umgezogen, war vom Schweiss total durchnässt. Ich musste raus und mich umziehen. Das war sehr wichtig für mich, damit ich mich wieder frisch fühle.»
Später an der Pressekonferenz erklärte Tsitsipas noch einmal, dass er mit seinen Pausen keine Regeln breche. Für ihn sei es wichtig, diese Auszeiten zu nehmen, wenn er sie brauche. «Ich fühle mich danach wieder frisch und ich muss auch weniger durch den Schweiss verursachtes Gewicht mit mir herumtragen.» Er versuche, so schnell wie möglich zu sein. «Aber manchmal brauche ich halt etwas mehr Zeit. Das ist alles.»
Dass die Zuschauer ihn für die erneute Toiletten-Pause ausgepfiffen haben, habe ihn nicht gestört, so Tsitsipas. «Ich liebe die Fans, aber sie verstehen es nicht. Sie haben nie auf diesem Level Tennis gespielt.» Auch zur Kritik von Murray und Zverev äusserte sich der Grieche: «Ich verstehe nicht, warum sie mich kritisieren. Wenn ich mich falsch verhalten hätte, würde ich bestraft werden.» Er selbst beschwere sich nie darüber, wie sich andere Spieler verhalten. Denn «meine Eltern haben mir beigebracht, nicht auf andere zu schauen, und mich auf mich selbst zu konzentrieren».
Bei seinem Drittrunden-Spiel gegen den aufstrebenden Spanier Carlos Alcaraz wird sich nicht nur Tsitsipas auf sich konzentrieren – sämtliche Augen werden auf ihn und seine Toiletten-Pause gerichtet sein. Kein Prophet, wer voraussagt, dass Tsitsipas sich auch dann wieder alle Zeit für seine Auszeiten nehmen wird, die das Reglement hergibt.
Ansonsten wie der Uneufe-Aufschlag, den Kyrgios ab und zu praktiziert: Sicher nicht im Sinn des Regelwerks, aber halt im Rahmen des Regelwerks. Und der Sinn des Sports ist doch, zu gewinnen mit Mitteln, die das Regelwerk nicht verbieten;)