Frau Bundesrätin, Sie sagen, die Schweizer Medienhäuser seien zu wenig innovativ. Wie erklären Sie sich das?
Doris Leuthard: Ich stelle einfach fest: Medienhäuser reagieren vor allem mit Zu- und Verkäufen auf den Strukturwandel. Das Portal watson ist derzeit vielleicht die einzige Innovation. Es bräuchte mehr Ideen: neue Geschäftsmodelle, neue Apps, neue Kanäle, um Informationen zu den Leuten zu bringen. Nur so kommt man in einem Strukturwandel weiter – ändern kann man ihn nicht und jammern nützt nichts.
Hätten Sie eine Idee, wie Schweizer Medien wieder mehr Geld verdienen könnten?
Sie könnten zum Beispiel ins Ausland expandieren. In der Ukraine-Krise zeigt sich einmal mehr: Ausländische Intellektuelle, Politiker, Wirtschaftsführer konsumieren gerne Schweizer Medien, weil sie als ausgewogen und neutral gelten. Darauf werde ich im Ausland oft angesprochen, im Sinne von: Wenn wir nicht wissen, wem wir trauen können, dann informieren wir uns in Schweizer Medien.
Wie soll das gehen, angesichts der Sprachbarriere?
Nur schon der französische und der deutsche Sprachraum sind x-mal grösser als die Schweiz. Und warum sollen Schweizer Medien nicht auch englischsprachige Angebote einführen?
Was machen Schweizer Medien gut, was schlecht?
Die Konsumenten haben noch immer eine grosse Vielfalt, auch wenn es zu Konzentrationen unter den Verlagshäusern gekommen ist. Auf regionaler Ebene stelle ich fest: Die Zeitungen berichten zwar über Gemeindeversammlungen und Bauprojekte – aber sie ordnen oft nicht ein und kommentieren nicht.
Wie gefällt Ihnen unsere Zeitung? Es darf auch kritisch sein ...
Wenn ich jetzt etwas herauspicke, bekommt es zu viel Gewicht. Unabhängig vom Titel, registrieren wir aber journalistische Fehlleistungen und stellen dann Korrekturen ins Netz oder thematisieren es bei Treffen mit Chefredaktoren. Ich habe auch schon direkt nach der Erscheinung eines Artikels reklamiert, dann gibt es aber manchmal am nächsten Tag gleich nochmals einen Verriss. Deshalb vermeide ich das. Medien reagieren viel sensibler auf Kritik als ein Bundesrat ...
Wie konsumieren Sie selber Medien? Lesen Sie am Morgen ganz normal Zeitung oder erhalten Sie von Ihren Mitarbeitern ausgewählte Artikel?
Beides. Der Pressespiegel zeigt mir auf, wo was abgeht, wo wir reagieren müssen, wo Anfragen zu erwarten sind. Ich lese aber gern Zeitungen, meistens unterwegs im Auto, und natürlich bin ich online. Interessant ist, dass die welsche Presse oft ganz anders gewichtet als die Deutschschweizer. Das Geschrei um den Gripen zum Beispiel findet in der Westschweiz schon lange nicht mehr statt.
Weil die Landesteile unterschiedlich ticken?
Das ist die Frage: das Land oder die Medienhäuser? Das ist nicht dasselbe. Was ich ebenfalls feststelle: Die Qualität der Zeitungen ist derzeit in der Westschweiz höher. Sie vertiefen Themen häufiger, und zwar auf aufwendige, gut gemachte Art und Weise. Sie bieten mehr umfassend eingebettete Hintergründe.
Welche Auswirkungen hat der Medienwandel auf die direkte Demokratie?
Die ältere Generation liest eine Tageszeitung, hört das «Echo der Zeit» und ist damit gut abgedeckt. Die Jungen hingegen lesen fast keine Zeitung mehr oder höchstens eine Gratiszeitung, ansonsten sind sie auf Social Media. Da müssen die Medien reagieren. Aber auch der Bund muss sich fragen: Wie erreichen wir die Jungen mit vertieften Informationen? Die jungen Leute sind ja nicht apolitisch oder desinteressiert. Bloss spricht sie die amtliche Verlautbarungsinformation wie beispielsweise das Abstimmungsbüchlein nicht an. Deshalb überlegen wir uns, ob wir Youtube-Filme zu den Abstimmungen machen sollen.
Medienministerin Doris Leuthard versteht das Spiel mit Zuckerbrot und Peitsche hervorragend: «Die Branche erlebt gerade den grössten Strukturwandel, den sie je verarbeiten musste», sagte sie gestern in ihrer Rede am Swiss Media Forum in Luzern und zeigte damit Verständnis für die schwierige Situation der Medienbranche. Nur um kurz darauf die Peitsche rauszuholen: «Allerdings fehlt es der Branche an Ideen.»
Leuthard ist der Überzeugung, dass die Medien nicht den Schutz durch Paragrafen brauchen, sondern mehr Innovation und Kooperation. Sie machte gar Werbung für den Fördertopf des Bundes, die KTI (Kommission für Technologie und Innovation). «Der Bund hat schon jede Branche bei Forschung, Entwicklung und Ausbildung unterstützt, deshalb verstehe ich nicht, warum Sie das nicht nutzen», sagte sie an die Adresse der anwesenden Medienunternehmer.