Vor zehn Jahren kannte der Erdölpreis nur eine Richtung: nach oben. Ein Barrel des schwarzen Goldes kostete mehr als 150 Dollar, und die Experten sprachen bereits davon, dass bald die 200-Dollar-Grenze durchbrochen sein würde.
In diesen Zeiten machte der Begriff «Peak Oil» die Runde. Das bedeutet, dass der Höhepunkt der Entdeckung von neuen Ölfeldern erreicht ist und künftig mehr verbraucht als gefunden wird. Peak Oil wurde damals als einer der Gründe für die Ölpreis-Hausse angeführt.
Im September vergangenen Jahres hielt Mark Carney, der Gouverneur der Bank of England, an einem Dinner des Versicherer Lloyd’s eine Ansprache vor der britischen Finanzelite. Zuvor warnte er, er würde keine Witze machen. Dann führte er aus, dass wegen der zu erwartenden Klimaerwärmung der grösste Teil der bekannten Ölreserven gar nicht angezapft werden dürfe und die Ölmultis sich daher auf riesige Verluste vorbereiten müssen.
Carneys Rede war ein Wendepunkt in der Energie-Diskussion. Daniel Yergin, einer der bekanntesten Öl-Experten der Welt – sein Buch «The Price» ist wirklich lesenswert – formuliert es wie folgt: «Es gibt eine Kehrtwendung, wir fragen uns nicht mehr: ‹Wann haben wir kein Öl mehr?›, sondern: ‹Wie lange werden wir es noch brauchen?›». Damit war die Peak-Demand-Diskussion lanciert.
Es ist jedoch alles andere als eine akademische Frage. Obwohl die Vereinigung der Erdöl produzierenden Länder OPEC eine Drosselung der Förderung beschlossen hat, wird der Ölpreis in absehbarer Zeit kaum wieder über die 100-Dollar-Grenze klettern. Auch die Ölindustrie ist inzwischen aufgewacht. So hat der ungarische Ölkonzern MOL Group seine Aktionäre kürzlich gewarnt, dass die Nachfrage nach dem schwarzen Gold auf den Schlüsselmärkten künftig fallen dürfte. Mit gutem Grund: Gemäss Angaben der OECD, dem Club der entwickelten Länder, ist der Energieverbrauch seit 2005 um drei, die Nachfrage nach Öl jedoch um neun Prozent gesunken.
Immer effizientere Motoren, das Aufkommen von Elektroautos und das Internet der Dinge sind Gründe für diese Entwicklung. Sie wird sich noch verstärken. Fast die Hälfte des gesamten Erdöls wird für den Transport verbraucht. Es besteht also allein in diesem Bereich ein gewaltiges Sparpotenzial.
Selbst bei den führenden Öl-Multis wird deshalb laut über Peak Demand nachgedacht. So hat Simon Henry, Finanzchef bei Shell, spekuliert, dass der Zeitpunkt bereits in 15 Jahren erreicht werden könnte. BPS Vize Dominic Emery lässt sich im «Wall Street Journal» wie folgt zitieren: «Es geht nicht mehr um ob, sondern um wann wir den Peak Demand erreichen.»
Auch in China, dem mittlerweile grössten Öl-Importeuer, wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Die staatliche China National Petroleum Corp hat kürzlich bekannt gegeben, dass der Ölkonsum wahrscheinlich ab 2030 fallen würde.
Gerade China hat allen Grund, den Verbrauch von Öl zu drosseln. Im Land der Mitte sterben wegen verschmutzter Luft jährlich rund 1,6 Millionen Menschen. Auch in den indischen Städten hat der Feinstaubgehalt in der Luft Werte erreicht, die weit jenseits von Gut und Böse liegen.
Gleichzeitig gibt es vermehrt Alternativen zum Öl. «Die Kosten für saubere Energie fallen», schreibt der «Economist». «Autobatterien sind 80 Prozent billiger als 2008; in Nord-Europa ist der Preis für Wind-Energie innerhalb von drei Jahren um mehr als die Hälfte gesunken. Solarenergie als attraktive Energiequelle schliesst zu Gas und Kohle auf. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts will China eine Solarkapazität von 150 Gigawatt zubauen, rund drei Mal so viel, wie es an bestehenden Kapazitäten hat.»
Selbst in Saudi-Arabien ist Peak Demand ein Thema geworden. Nach dem Vorbild von Norwegen ist die Regierung im Begriff, einen riesigen Fonds zu äufnen, mit dem sie Alternativen zur Erdölindustrie finanzieren will. Die Saudis wollen auch den staatlichen Ölkonzern Aramco – das wertvollste Unternehmen der Welt – teilweise privatisieren. Die erwarteten rund 150 Milliarden Dollar aus dieser Privatisierung sollen in den Fonds fliessen.