Am 24. August 2011 beugte sich Steve Jobs dem Unausweichlichen. Der todkranke Apple-Mitgründer gab nach jahrelangem Kampf gegen den Krebs den Posten des Firmenchefs ab. Es dauerte keine eineinhalb Monate mehr, bis er am 5. Oktober im Alter von 56 Jahren starb.
Am Vorabend hatten Tim Cook und seine Kollegen aus dem Management-Team einem Millionenpublikum das iPhone 4S präsentiert. Es war, wie Leute aus Cooks Umfeld später erzählten, ein brutal schwerer Auftritt – denn Jobs engste Vertraute wussten, dass ihr Freund und Anführer im Sterben lag.
Steve Jobs legte sein Lebenswerk in die Hand des besonnenen Südstaatlers, der ihn schon zuvor bei Krankheits-Abwesenheiten vertreten hatte und als Zuständiger für das operative Geschäft das Unternehmen in- und auswendig kannte.
Die Messlatte hätten für den damals 50-Jährigen Tim Cook kaum höher liegen können. Jobs hatte mit einer Erfolgsserie aus iMac, iPod, iPhone und iPad ganze Branchen umgepflügt und unter anderem den Smartphone-Boom in Gang gebracht.
Viele Beobachter stellten in Frage, dass Cook, der vor allem als kühler Manager und Optimierer von Apples Produktionskette bekannt war, diesem Erbe gewachsen sei. Fünf Jahre später sitzt Apple auf einem Geldberg von gut 230 Milliarden Dollar und hat gerade das milliardste iPhone verkauft.
Zwischendurch fuhr der Konzern im vergangenen Weihnachtsgeschäft mit 18.4 Milliarden Dollar den höchsten Quartalsgewinn der Geschichte ein. Zugleich wurde das iPhone zum wichtigsten Apple-Produkt und brachte zeitweise mehr als zwei Drittel des Konzerngeschäfts ein.
Als 2016 die Anziehungskraft der iPhones nachliess, bedeutete das einen spürbaren Rückgang für das gesamte Apple-Geschäft. Cook gab sich in einem jüngsten Interview mit der «Washington Post» trotzig: «Ja, für uns geht es dieses Jahr etwas runter. Es geht nicht jedes Jahr nach oben, wissen Sie.»
Wer den Apple-Chef auf seine geschäftlichen Erfolge oder Misserfolge reduziert, tut ihm unrecht. Als einer der mächtigsten Wirtschaftsführer der Welt hat er beträchtlichen gesellschaftlichen Einfluss – und den weiss er für gute Zwecke zu nutzen.
Mit seinem Coming-out brach er im Oktober 2014 ein Tabu der US-Wirtschaft und ging weiter als jeder Top-Manager vor ihm. Mit seinem öffentlichen Bekenntnis («I am proud to be gay») war er ein Vorbild und kämpft gegen die Diskriminierung.
Die Nachricht ging um die Welt und machte vielen Mut, es dem am 1. November 1960 in Alabama geborenen Mann gleichzutun.
Für Aufsehen sorgt Cook immer wieder mit Aktionen und Auftritten, die menschlich und authentisch wirken. Dass es sich dabei um reines Kalkül handeln könnte, dürften ihm nicht einmal die grössten Apple-Hasser unterstellen...
Wir sind bestürzt über die Ereignisse in München. Unsere Gedanken sind bei allen Menschen in der Stadt. 🇩🇪 #Munich
— Tim Cook (@tim_cook) 22. Juli 2016
Proud of our talented team dedicated to providing #accessibility for all users https://t.co/rhDF5ks094
— Tim Cook (@tim_cook) 10. Juli 2016
In Cooks Amtszeit stiess Apple bisher in eine neue Produktkategorie vor. Die im April 2015 gestartete Apple Watch hat zwar aus dem Stand die Marktführung bei Computer-Uhren erobert. Doch die Konsumenten zögern noch.
Der Konzern veröffentlicht immer noch keine Zahlen, aber nach Einschätzung von Marktforschern verkaufte Apple im Start-Quartal noch 3,6 Millionen seiner Uhren, inzwischen sollen es um die eineinhalb Millionen pro Vierteljahr sein. Auch das wäre noch ein gutes Geschäft – aber nicht unbedingt die steile Erfolgskurve, die viele von Apple bei einem neuen Produkt erwarten.
Was die Smartwatch-Skeptiker nicht erkennen oder wahrhaben wollen: Das Unternehmen verfolgt eine Strategie der kleinen, aber stetigen Verbesserungen, während es versteckt in den Labors an zukunftsträchtigen Neuerungen forscht.
Wie das Ur-iPhone weist auch die 2015 lancierte, erste Apple-Watch-Generation Mängel und Schwachstellen auf. Schon heute zeichnet sich aber ab, dass die Pläne der Kalifornier viel weiter gehen als das, was in wenigen Wochen vorgestellt wird. Die zukünftigen Uhren-Generationen werden den Usern helfen, ihre Gesundheit zu überwachen und weiter zu verbessern.
Cook stellt denn auch mehr in Aussicht. «Wir haben die Ausgaben für Forschung und Entwicklung hochgefahren, weil wir massiv in die Zukunft investieren – sowohl in heutige Produktlinien als auch in Dinge, die heute noch nicht sichtbar sind, unter anderem im Dienste-Angebot.»
Die Tech-Welt hat sich in den fünf Jahren massiv verändert. Heute spielen künstliche Intelligenz und selbstlernende Maschinen eine zentrale Rolle. Und nicht nur Google arbeitet daran, sie in den Alltag zu bringen, sondern auch Facebook und Amazon: Eines der erfolgreichsten Produkte des weltgrössten Online-Händlers in den USA ist der vernetzte Lautsprecher Echo, mit dem sich Nutzer unterhalten können. Virtuelle Realität steht vor dem Sprung in den Massenmarkt, und die gesamte Autobranche wird von der Digitalisierung umgekrempelt.
Cooks Job ist es, den Platz von Apple in dieser neuen Welt zu sichern. Er kaufte in der bisher grössten Übernahme des Konzerns für drei Milliarden Dollar den Kopfhörer-Anbieter Beats, um schneller ins Geschäft mit Musik-Streaming aus dem Netz zu kommen. Er betont die Anstrengungen des Konzerns bei künstlicher Intelligenz, angefangen mit der Sprachassistentin Siri. Er investierte eine Milliarde Dollar in den chinesischen Fahrdienst-Vermittler Didi Chuxing – und seit über einem Jahr gibt es Berichte, Apple baue ein Auto.
Das Apple von Tim Cook ist in vielem anders als das von Steve Jobs. Der Gründer beschränkte die Aussendarstellung von Apple gern auf Produktkommunikation und war nicht zuletzt für seine Wutanfälle berühmt-berüchtigt.
Der ruhige Tim Cook hingegen stellt Umweltschutz in den Vordergrund und ging einen öffentlich ausgetragenen Konflikt mit der US-Regierung und dem FBI ein, indem Apple sich weigerte, Software zum Entsperren von iPhones zu schreiben. «Ich bin der Meinung, dass ein Chef von Apple an der nationalen Debatte zu solchen Fragen teilnehmen sollte», sagte Cook.
Jobs habe ihm vor dem Tod gesagt, er solle sich nie fragen, «was würde Steve jetzt tun?», sondern eigene Entscheidungen treffen, sagte Cook einmal. «Für mich ist Steve nicht ersetzbar. Durch niemanden», bekräftigt er jetzt.
So wird Apple heute mehr als früher von einem Team geführt. Darunter sind Jobs-Vertraute wie der Designer Jony Ive. Inzwischen kamen etwa mit Software-Chef Craig Federighi auch neue Gesichter zum Führungszirkel dazu.
Anders als Jobs schüttet Cook auch Geld an die Aktionäre aus, über 150 Milliarden Dollar durch Dividenden und Aktienrückkäufe. Der Kurs des Apple-Papiers verdoppelte sich unter Cook, und Apple ist weiterhin das teuerste Unternehmen der Welt vor Google.
Für eine Bewertung der Ära Cook scheint es unterdessen nach fünf Jahren noch zu früh. «Ich denke, die Weisheit und das Erbe von Tim Cook werden danach bewertet werden, was in den nächsten fünf Jahren passiert», betont der bekannte Branchenanalyst Gene Munster, der lange vergeblich auf einen von ihm vorhergesagten Apple-Fernseher gewartet hatte.
Wie es scheint, hat man die angeblich bereits sehr weit fortgeschrittene Pläne begraben, respektive radikal geändert. Auch dies ist ein Anzeichen dafür, dass Tim Cook das Erbe von Steve Jobs weiterführt. Der soll einst gesagt haben:
Ob der neue Apple-Chef seine vielen Kritiker Lügen strafen kann, wird sich nicht zuletzt daran zeigen.
(dsc/sda)