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Michal Kosinski: «Trump hat jedenfalls nie angerufen und Danke gesagt»

Michal Kosinski Stanfort Social Media Big Data Persönlichkeitsanalyse
Erlangte nach der Wahl Donald Trumps grosse Berühmtheit: Dr. Michal Kosinski.bild: zvg
Interview

Michal Kosinski: «Ich habe Trump meine Facebook-Algorithmen nicht verkauft»

Datenforscher Michal Kosinski hat den Algorithmus entwickelt, der von der Firma Cambridge Analytica im Wahlkampf zugunsten von Trump eingesetzt worden sein soll. Der Daten-Guru erklärt im Interview mit watson, wie das Prinzip funktioniert. 
21.03.2018, 10:5121.03.2018, 17:40
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Der Datenskandal um die Firma Cambridge Analytica zieht immer weitere Kreise. Die Beratungsfirma soll ohne Erlaubnis die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern angezapft haben, um damit massgeschneiderte politische Werbebotschaften zu platzieren. Der Mann, der den Algorithmus dahinter entwickelt hat, heisst Michal Kosinski. Bereits nach der Wahl Donald Trumps hat ein Artikel des Magazins («Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt») über den Datenwissenschaftler der Stanfort University hohe Wellen geworfen. 

watson hat Kosinski letzten August zum Gespräch getroffen. Im Interview erklärt er, warum Big Data die Macht hat, das politische Marketing grundlegend zu verändern und sogar den Ausgang von Wahlen zu beeinflussen.

Herr Kosinski, was wissen Sie über mich, wenn ich Ihnen meinen Lieblingssong, mein Lieblingsbuch und meinen Lieblings-Sportclub verrate?
Michal Kosinski:
Als Mensch kann ich etwas über Ihren Musikgeschmack aussagen oder darüber, welche Art von Büchern Sie mögen. Ein Computeralgorithmus kann aus den gleichen unverfänglichen Informationen jedoch sehr viel intimere Charaktereigenschaften ableiten. Er kann auf Ihre politischen Ansichten, Ihre Charaktereigenschaften, Ihren IQ, Ihre Religion und Ihre sexuelle Orientierung schliessen. Selbst, ob Ihre Eltern noch zusammen sind, kann er mit erstaunlicher Präzision vorhersagen.

«Extrovertierte Menschen liken auf Facebook statistisch gesehen andere Dinge als Introvertierte; Homosexuelle andere als Heterosexuelle.»

Sie behaupten, dass Sie eine Person aufgrund von 10 Likes besser einschätzen können als ein durchschnittlicher Arbeitskollege. Mit 230 Likes wollen Sie eine Person besser kennen als der Ehepartner. Wie soll das gehen?
Extrovertierte Menschen liken auf Facebook statistisch gesehen andere Dinge als Introvertierte; Homosexuelle andere als Heterosexuelle. Und so weiter. Ein Extrembeispiel: Es braucht nicht besonders gute Menschenkenntnisse, um vorherzusagen, dass ein Fan der Marke «Hello Kitty» mit hoher Wahrscheinlichkeit jung und weiblich ist. Andere Zusammenhänge sind viel subtiler, sodass sie ein menschliches Gehirn nicht erfassen kann – ein Computeralgorithmus aber sehr wohl. Wenn wir genügend Daten haben, können wir feinste Unterschiede herauslesen und aggregieren, sodass ein präzises Persönlichkeitsprofil entsteht.

Nach der Wahl Donald Trumps fand ein Artikel im «Magazin» («Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt») über Ihre Arbeit weltweit Beachtung. Er suggerierte, dass Ihre Forschung massgeblich dazu beigetragen habe, dass Trump ins Weisse Haus einziehen konnte. Würden Sie diese Aussagen unterschreiben?
Donald Trump hat jedenfalls nie angerufen und Danke gesagt (lacht). Nein: Der Artikel besagt nur, dass ich bereits seit geraumer Zeit vor den Möglichkeiten gewarnt habe, die Big Data den Politikern eröffnet. Wenn Computer den Charakter jedes Wählers ermitteln können, verschafft das jenen, die über entsprechende Programme verfügen, sehr viel Einfluss. Und nun hat die Firma Cambridge Analytica sich dies offensichtlich zunutze gemacht – im Auftrag von Donald Trump. Ich habe meine Algorithmen aber niemandem verkauft oder zur Verfügung gestellt.

Über Dr. Michal Kosinski
Dr. Michal Kosinski ist Psychologe und Datenwissenschaftler an der Stanfort University. An der Online Marketing Konferenz in Bern hielt er am Donnerstag eine Keynote zum Thema «Was wir liken, zeigt wer wir sind». Kosinksi hat eine Methode entwickelt, um Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook minutiös zu analysieren. Er koordiniert das myPersonality-Projekt, das eine globale Zusammenarbeit zwischen über 200 Forschern beinhaltet und die detaillierten psycho-demographischen Profile von über 8 Millionen Facebook-Nutzern analysiert.

Cambridge Analytica soll für Trump 175’000 verschiedene Varianten von politischen Botschaften verfasst haben. So habe auf Facebook jeder Wähler genau die Message erhalten, die zu ihm passt. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Wenn man die Persönlichkeit der Facebook-Nutzer identifizieren kann, macht es keinen Sinn, allen Leuten die gleiche Nachricht zu senden. Man kann die Botschaft auf die Charaktereigenschaften einer Person abstimmen: inhaltlich, aber auch mit unterschiedlichen Bildern und Farben.

Machen Sie ein Beispiel.
Wenn ich eine Hausratsversicherung verkaufen will, dann muss ich einen ängstlichen Familienvater anders ansprechen als einen risikofreudigen Manager. Jemand, der schon vor dem Frühstück Leute feuert und in der Freizeit gern bungee-jumpen geht, braucht einen starken emotionalen Reiz, damit er die Notwendigkeit einer solchen Versicherung sieht. Etwa das Bild eines brennenden Hauses. Bei einem ängstlichen Menschen hingegen würden solche Bilder nur Stress auslösen. Ihn erreicht man eher, wenn man ihm Fotos einer glücklichen Familie zeigt, die dank der Versicherung sorgenfrei lebt.

«In anderen Ländern kann es eine Frage von Leben und Tod sein, wenn gewisse Gruppierungen oder die Regierung mittels Algorithmus ermitteln kann, wer homosexuell und wer ein Atheist ist.»

Wie gefährlich ist es, wenn Politiker uns mit solch massgeschneiderten Botschaften beeinflussen können?
Klar ist: Solche Technologien sind daran, unsere Welt grundlegend zu verändern. Ich glaube, dass die Entwicklung in vieler Hinsicht positiv ist, gerade auch für unsere Demokratie. Gleichzeitig dürfen wir die Augen nicht vor den Gefahren verschliessen: Intelligente Kampagnen können Leute davon abhalten, wählen zu gehen, oder sie von einer Lüge überzeugen. In anderen Ländern kann es gar eine Frage von Leben und Tod sein, wenn gewisse Gruppierungen oder die Regierung mittels Algorithmus ermitteln kann, wer homosexuell und wer ein Atheist ist.

Bevor wir weiter über die Gefahren sprechen: Worin sehen Sie die erwähnten Vorteile für die Demokratie?
Wenn man den Leuten mit massgeschneiderten Botschaften zeigen kann, was ein politisches Thema mit ihrem eigenen Leben zu tun hat, und sie sich in der Folge stärker am demokratischen Prozess beteiligen, dann ist das doch grossartig! Früher mussten Politiker ihre Slogans möglichst allgemein halten, um den Durchschnittswähler zu erreichen. Wie Obama mit seinem «Yes we can». Heute müssen sich die Politiker stärker damit beschäftigen, welche Träume und Ängste die verschiedenen Nischengruppen hegen. Das zwingt sie, diesen Gruppen besser zuzuhören.

«Mainstream-Slogans wie ‹Yes we can› muss der Wähler hunderte Male sehen, bis er sich damit identifizieren kann. Bei einer zielgruppenspezifischen Botschaft hingegen reicht es, wenn ein Bürger sie ein oder zwei Mal sieht.»

«Gebt mir eine Million, und ich mache aus jedem Kartoffelsack einen Bundesrat», soll der Gründer einer grossen Schweizer PR-Agentur einst gesagt haben. Heute reicht es also bereits aus, den richtigen Algorithmus zur Hand zu haben?
Algorithmen gewinnen keine Wahlen, sie sind nur ein Werkzeug. Die richtige Botschaft ist entscheidend. Dabei gibt es einen gewichtigen Unterschied zu früher: Mainstream-Slogans wie «Yes we can» muss der Wähler hunderte Male sehen, bis er sich damit identifizieren kann. Bei einer zielgruppenspezifischen Botschaft hingegen reicht es, wenn ein Bürger sie ein oder zwei Mal sieht. Somit sinken die Kosten für die Kampagnen, auch politische Aussenseiter ohne grosses Portemonnaie können sich Gehör verschaffen. Das finde ich ebenfalls positiv.

Nach dem Artikel im «Magazin» wurden viele kritische Stimmen laut, die sich auf den Standpunkt stellten, die Wirkung von datenbasierten Kampagnen werde massiv überschätzt. Was erwidern Sie?
Wie gesagt: Algorithmen allein gewinnen keine Wahlen. Hillary Clinton hatte ein drei Mal so grosses Budget für personalisiertes Online-Marketing wie Trump – offensichtlich hat sie aber nicht den richtigen Ton getroffen.

Zurück zu den Gefahren von Big Data: Brauchen wir neue Gesetze, die den Umgang mit solchen Technologien regeln und uns davor schützen, manipuliert zu werden?
Ich bin nicht sicher, ob Gesetze das richtige Mittel dafür sind. Einerseits müsste die Justiz ja zuerst beweisen können, dass jemand manipuliert wurde. Und zweitens gälten die entsprechenden Gesetze nur für die Schweiz oder eben das Land, das sie erlässt. Wir können Facebook und Google dazu verpflichten, sich an bestimmte Regeln zu halten. Jedoch nicht ausländische Regierungen, die sich in amerikanische oder europäische Wahlen einmischen.

In der Schweiz fordern die Köpfe hinter der Aktion #politads, dass Parteien in der Schweiz offenlegen sollen, wie viel Geld sie für personalisierte Werbung auf Social Media ausgeben und welche Zielgruppen sie damit anvisieren. Wäre das nicht sinnvoll?
Wenn die Bevölkerung das so will – wunderbar. Aber ich glaube nicht, dass das etwas ändern würde. Schauen Sie: Donald Trump hat die meisten Leute und Firmen, die seine Nachrichten verbreitet haben, nicht angestellt. Ich muss nicht für eine Partei arbeiten, um sie zu unterstützen. Eher als in neuen Gesetzen liegt die Lösung darin, den Leuten Werkzeuge zu geben, damit sie zwischen falschen und richtigen Informationen unterscheiden können. Das wichtigste dieser Werkzeuge heisst Bildung.

«Wenn die Algorithmen jemals einem Politiker unfaire Vorteile verschafft haben, dann nicht Donald Trump, sondern Barack Obama.»

Die Parteien müssen sich also wohl oder übel auf das Wettrüsten im digitalen Bereich einzulassen?
Naja, zumindest haben die Parteien jetzt gleich lange Spiesse: Wenn die Algorithmen jemals einem Politiker unfaire Vorteile verschafft haben, dann nicht Donald Trump, sondern Barack Obama. Er war vor zehn Jahren der erste grosse Politiker, der personalisierten Wahlkampf auf Social Media machte. Jetzt haben die Republikaner aufgeholt – und es ist in an der Demokraten, wieder zu reagieren. Es nützt nichts, wenn sich Trumps Gegner darüber ärgern, dass dieser mit seinen simplen Botschaften die Leute erreicht. Statt beleidigt zu sein und die Trump-Wähler als ignorant zu beschimpfen, sollten die Demokraten versuchen, die Technologie für sich zu nutzen und die Leute ihrerseits mit überzeugenden Botschaften zu erreichen.

Und für uns Bürger heisst dies: Wir müssen es hinnehmen, künftig von allen Seiten von solcher Werbung berieselt zu werden?
Ob wir es wollen oder nicht: Wir werden unsere Privatsphäre zu einem grossen Teil verlieren. Es ist wichtig, dass wir uns als Gesellschaft Gedanken darüber machen, wie wir damit umgehen wollen.

Das Interview mit Michal Kosinski ist bereits im August 2017 auf watson.ch erschienen. 

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