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Militärexperte Albert Stahel über die Tötung Bin Ladens: «Die Leute werden für dumm verkauft, aber das gehört zum Spiel»

Militärexperte Albert Stahel über die Tötung Bin Ladens: «Die Leute werden für dumm verkauft, aber das gehört zum Spiel»

14.05.2015, 08:5215.05.2015, 12:16
Kian Ramezani
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Keine heroische Navy-Seal-Aktion soll Terrorfürst Osama bin Laden zur Strecke gebracht haben, sondern ein Deal zwischen den USA und Pakistan, eiskalt durchgezogen. Das behauptet zumindest der amerikanische Investigativ-Journalist Seymour Hersh in einem aufsehenerregenden Bericht. Alles Quatsch, findet der Terrorismus-Experte von CNN. Doch. Da ist etwas dran, meint die Kollegin der «New York Times». Wem soll man glauben? Der Versuch einer Einordnung mit dem Schweizer Militär- und Terrorismus-Experten Albert Stahel.

Herr Stahel, was war Ihre erste Reaktion, als Sie Seymour Hershs Beitrag lasen?
Albert Stahel: Überrascht hat er mich jedenfalls nicht. Aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten und Streitkräften der USA und Pakistan musste man annehmen, dass es so gelaufen ist.

Albert Stahel in einer Diskussionssendung im österreichischen Fernsehen (05.10.2014).
Albert Stahel in einer Diskussionssendung im österreichischen Fernsehen (05.10.2014).bild: orf
Albert Stahel (72) wirkte während über 26 Jahren als hauptamtlicher Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich.
Aktuell leitet er das Institut für Strategische Studien in Wädenswil. Stahel ist Mitglied des International Institute for Strategic Studies in London und der Clausewitz-Gesellschaft in Hamburg.

Wenn es stimmt, was Hersh schreibt, dann versteckte Pakistan Bin Laden fünf Jahre lang, ohne dass die USA das mitbekamen. Ist das realistisch?
Aufgrund meiner Erfahrungen in Pakistan kann ich sagen, dass dies durchaus plausibel ist. Der Inter-Services Intelligence (ISI) ist ein sehr fähiger Geheimdienst. Die Amerikaner hingegen haben vor Ort keine grossen Aufklärungsmöglichkeiten. Für Informationen sind sie auf ihre Partner im ISI angewiesen. Die Fähigkeit, in fremden Ländern «Human Assets» zu rekrutieren, war bei den Amerikanern schon immer gering ausgeprägt. In einem Land wie Pakistan, das faktisch noch immer eine Militärdiktatur ist, ist es noch schwieriger.

Überreste eines Helikopters, der von den USA auf dem Anwesen in Abbottabad zurückgelassen wurde.
Überreste eines Helikopters, der von den USA auf dem Anwesen in Abbottabad zurückgelassen wurde.Bild: STRINGER/PAKISTAN/REUTERS

Was wäre passiert, wenn dieser pakistanische Brigadegeneral nicht in die US-Botschaft in Islamabad gelaufen wäre und Bin Laden verraten hätte? Wäre er dann immer noch unter Hausarrest in Abbottabad?
(lacht) Kein pakistanischer Brigadegeneral läuft einfach in die US-Botschaft! Das ist aufgrund der gegenseitigen Überwachung gar nicht möglich. Die pakistanische Offizierskaste ist derart homogen, da tendiert die Handlungsfähigkeit eines einzelnen Offiziers praktisch gegen null. Da ist auch mit Geld nichts zu machen. Nein, das war natürlich ein Deal zwischen den USA und Pakistan.

Warum haben die USA und Pakistan das nicht einfach so kommuniziert? Warum die Geschichte mit Bin Ladens Kurier, der die CIA auf die richtige Spur gebracht haben soll?
Beide Seiten mussten den Deal kaschieren. Der Wahhabismus ist in Pakistan seit den 1970er Jahren eine einflussreiche Strömung. Man kann nicht einfach einen gläubigen Muslim, dazu einen von der Bedeutung Bin Ladens, an die USA ausliefern. Obama auf der anderen Seite konnte im Wahlkampf ein bisschen Heldenhaftigkeit gut gebrauchen: Seht her, ich habe Bin Laden zur Strecke gebracht, was Bush nicht fertiggebracht hat.

Welche Version über die Tötung Osama bin Ladens glaubst du?

Kann es sein, dass Pakistan Bin Laden lieber an Obama auslieferte als an Bush?
Das glaube ich nicht. Die Bedingungen stimmten einfach für beide Seiten: Die pakistanische Militärkaste holte viel für sich heraus, in Form von Rüstungsgütern und Geld. Und Obama war gerade sehr empfänglich für einen Deal, weil er sich um die Wiederwahl bemühte. Die Liquidierung des meistgesuchten Terroristen war ein grosser, wenn auch vor allem symbolischer Erfolg für ihn: Bin Laden war damals nicht mehr so wichtig. Seine Al-Kaida, die heute durch den IS völlig an den Rand gedrängt worden ist, hatte schon damals nicht mehr funktioniert.

Die Geschichte zieht ihre Kreise, manche kritisieren Hersh, andere loben ihn. Was wird als Nächstes passieren?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Geschichte Eingang in den Präsidenten-Wahlkampf finden wird, der ja bereits begonnen hat. Die Demokraten werden betonen, wie geschickt Obama hinter den Kulissen verhandelt hat. Klar, die Leute werden für dumm verkauft, aber das gehört zum Spiel. Auch für Hillary Clinton, die 2016 wohl antreten wird, könnte der Bin-Laden-Deal noch einmal wichtig werden. Sie war eine der treibenden Kräfte hinter der Tötungsaktion.

Apropos Tötungsaktion: Die Obama-Regierung betont stets, dass man Bin Laden wenn möglich auch lebendig gefasst hätte.
Für alle, die an einer Aufklärung der Terroranschläge des 11. Septembers interessiert sind, wäre das in der Tat wünschenswert gewesen. Man hätte den Top-Mann, das Hirn hinter dem Anschlag, befragen können. Vielleicht waren noch irgendwelche anderen Figuren involviert, von denen man bis heute nichts weiss. Vielleicht hätte er seine Schuld bestritten. Vielleicht hätte er eine völlig andere Version erzählt. Wer weiss. Auf jeden Fall wäre es interessant gewesen.

Osama bin Laden.
Osama bin Laden.Bild: Uncredited/AP/KEYSTONE

Sie denken, die USA hatten gar nie vor, ihn lebendig zu fassen?
Dass Bin Laden regelrecht mit einem Kugelhagel exekutiert wurde, legt den Schluss nah, dass sie kein Interesse an einer solchen Aufklärung haben. Und dann diese Geschichte mit seiner Leiche, vom Helikopter ins Flugzeug, mit dem Flugzeug zum Flugzeugträger und von dort im Meer versenkt, das ist doch grotesk!

Hersh deutet an, dass auch die Saudis Bin Laden lieber tot als lebendig sahen.
Es ist denkbar, dass gewisse Mitglieder des saudischen Königshauses finanziell in 9/11 verwickelt sind. Aber das sind Details, die USA müssten doch ein Interesse daran haben, das Verbrechen an sich aufzuklären: Wie hat es Bin Laden fertiggebracht, aus irgendeinem Loch in Afghanistan eine solch anspruchsvolle Aktion zu planen? Das ist hier doch die Frage.

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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Joshzi
14.05.2015 10:16registriert September 2014
Ich verstehe die Aufregung nicht. Hat denn jemand wirklich geglaubt, dass Barack Obama beim Einkaufen über die Adresse von BinLadn gestolpert ist? Die Tötung war nur der finale Akt, einer von Verrat, Zufall und Glück geschriebenen Geschichte. Wer sich die Ermordung dieses Mannes als heroische Geschichte verkaufen lassen hat, der dürfte auch jetzt nicht unbedingt klüger geworden sein, wenn er so tut, als sei die Welt nur schlecht und die Amerikaner böse. Meine Erfahrung ist, auf allen Seiten der Extreme stehen selten die klugen Menschen. Sicher, Differenzierung ist nicht spektakulär, deshalb mag sie das dumpfe Gemüt nicht. Es braucht dieses Überschwappen in Extremis.
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Tatwort
14.05.2015 11:29registriert Mai 2015
Wenn man einen Experten interviewt wäre es vielleicht sinnvoll transparent zu machen, dass er ein Mitglied der Truther-Bewegung ist, dass also Hersh's Theorien ihm zupass kommen. Es wäre erwähnenswert, dass er eine eklatante Nähe zum VPM zeigt. Und ebenso sollte vielleicht transparent gemacht werden, dass sich die ETH schon von ihm distanzierte. Und so weiter, und so fort...
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Zeit_Genosse
14.05.2015 11:14registriert Februar 2014
Von "militärischen Strategen" die medienwirksam mit fehlender Faktenlage herum spekulieren halte ich nicht viel.
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