Bridget Driscoll war 1896 im Süden Londons unterwegs, als ein motorisierter Wagen auf sie zukam. Schlingernd fuhr er auf Driscoll zu, die angewurzelt stehenblieb, weil sie nicht wusste, auf welche Seite sie ausweichen sollte. Dann wurde sie überrollt. Der Wagen sei mit «enormer Geschwindigkeit» gefahren, erklärte später eine Zeugin. «Wie die Feuerwehr, wie ein Pferd im Galopp» – dabei schaffte das Gefährt maximal 8 km/h. «Keine Absicht», befand der Richter deshalb und schloss die Verhandlung mit den Worten: «Ich hoffe, dass so etwas nie mehr geschieht.»
19. Juni 1954, Fussball-WM in der Schweiz. In Lausanne spielte Jugoslawien gegen Brasilien um den Gruppensieg. Am Flughafen Genf beeilte sich die Tankmannschaft, möglichst schnell in die Nähe eines Radios zu kommen. Wenig später gingen die Piloten an Bord der CV-240 die Instrumente durch. Die Benzinuhren waren chronisch unzuverlässig, aber der Copilot hatte eine Tankquittung von 700 Gallonen gesehen. Jugoslawien führte 1-0. Die Quittung stammte vom letzten Flug. 1-1, Brasilien glich aus. Als die Maschine startete, war das Spiel schon in der Verlängerung. Ein müder Kick, das Unentschieden reichte beiden zum Weiterkommen. Was nicht reichte, war das Benzin. Über dem Ärmelkanal fiel erst der linke Propeller der Swissair-Maschine aus und wenig später der Rechte. Zwei Kilometer vor der Küste setzte der Kapitän die Maschine ins Meer. 3 Passagiere starben. Sie waren Nichtschwimmer. Schwimmwesten waren keine an Bord.
War in der Schweiz mit Sicherheit ein Schiffsunglück. Nur welches? Mittelalterliche Quellen berichten von 110 Toten 1435 bei Rheinfelden und von 130 1542 bei Zurzach. Gar 200 Tote soll es 1480 bei Baden gegeben haben und mehr als 200 1457 nahe Estavayer-le-Lac. Aber 200 muss im Mittelalter nicht zwingend «200» heissen. Es kann auch einfach «sehr viele» bedeuten. Sicher ist nur: die Unglücke waren grosse Katastrophen. Flüsse waren der schnellste Transportweg – aber viele Leute konnten ganz einfach nicht schwimmen. Es gibt schon Gründe, warum man damals so viel gebetet hat.
... hatte brutale Folgen für ein Dorf im Kanton Aargau. Am 4. September 1963 stürzte eine Swissair-Caravelle bei Dürrenäsch ab. Niemand an Bord überlebte. Unter den 80 Toten befanden sich 43 Personen aus Humlikon im Zürcher Weinland. Sie waren auf dem Weg zu einer Landwirtschaftsausstellung in Genf gewesen, letztlich war es ihnen aber auch einfach darum gegangen, mal zu erleben, wie es sich anfühlt, zu fliegen. Die 213-Seelen-Gemeinde verlor einen Fünftel der Bevölkerung, darunter den kompletten Gemeinderat. Auf 20 von 25 Bauernhöfen fehlte der Bauer, acht Kinder wurden zu halb-, ganze vierzig zu Vollwaisen.
Es war der Lady-Di-Moment der 1930er-Jahre. Am 29. August 1935 fuhr das belgische Königspaar den Vierwaldstättersee entlang. Königin Astrid hantierte mit einer Karte, König Leopold III steuerte das elegante Packard-Cabriolet ausnahmsweise selbst, der Chauffeur sass auf dem Rücksitz. Die Leute hätten zur Rigi hinüber geschaut, sagte später ein Zeuge.
Kurz vor Küssnacht ein Fahrfehler, eine Unachtsamkeit: Der Wagen brach aus, prallte gegen einen Baum, rollte eine Böschung hinunter und kam im Schilf zum Stillstand. Die Männer kamen mit dem Schrecken davon, aber Königin Astrid war aus dem Wagen geschleudert worden und starb. Sie war jung, schön und populär gewesen.
Der Bundesrat enteignete den Besitzer des Landes und schenkte es Belgien. Zehn Monate später wurde eine Kapelle gebaut. Der Unglücks- wurde zum Wallfahrtsort.
Okay. Was können wir nun daraus lernen? Vieles und nichts. Unfälle sind Einzelfälle, bad f*cking luck, und über die Sicherheit allgemein sagen sie wenig aus. Die Statistiken allerdings zeigen: Weder Schiffsuntergänge noch Flugzeugabstürze kommen auch nur in die Nähe des täglichen Wahns auf der Strasse. Strassenverkehr ist chaotischer und darum gefährlicher als irgendein anderes System. Wobei: Autos werden schlauerweise sicherer – blöderweise gibt es aber immer mehr davon.
Anfangs waren es wenige und die waren saugefährlich, heute gibt es viele und die sind relativ gut. Am schlimmsten war es dazwischen, genau genommen 1971.
Damals gab es in der Schweiz jeden Tag fast fünf (4.8) Verkehrstote und über hundert (102) Verletzte. Heute sind es 0.6 bzw. 58 und die Gründe dafür sind ausgesprochen unsexy. Es sind Aufklärungskampagnen und Alkoholgrenzwerte, Geschwindigkeitskontrollen, Bussen, verbesserte Fahrschulen, Airbags, ABS, Tempolimiten, Verkehrsreglemente, die tägliche Arbeit der Polizei, Plakatkampagnen und das Frauenstimmrecht.
Moment, das Frauenstimmrecht? Jawoll. Testosteron bewirkt risikofreudiges Verhalten. Darum bauen junge Männer die meisten Unfälle. Bei der Abstimmung über die Einführung der Gurten-Pflicht sagte die Stimmbevölkerung 1981 mit 51,5% knapp Ja. Es ist keine besonders kühne Behauptung, dass ohne Frauen ein Nein resultiert hätte.
Weltweit sterben heute mehr Menschen an Verkehrsunfällen als an Kriegen, Drogen und vielen Krankheiten. Natürlich gibt es einige Halbstarke, die den Adrenalinkick zurück haben wollen. Aber die können gefälligst Achterbahn fahren, verschimmelte Joghurts essen oder ihre Firewall deinstallieren. Für alle anderen gibt’s nichts angenehmeres, als möglichst sicheren Verkehr, der einfach so funktioniert.