Noch 2010 verlor die St. Gallerin die Ausmarchung gegen den Berner Johann Schneider-Ammann. Jede Bundesratswahl hat ihre eigene Geschichte. Vor acht Jahren musste es unbedingt ein Unternehmer sein.
Dieses Jahr sprach hingegen alles für Karin Keller-Sutter. Da sind einmal die äusseren Merkmale: das Geschlecht und die Herkunft. Mit der Wahl von Karin Keller-Sutter konnte die FDP endlich ihr Frauentrauma überwinden.
Zudem war die Ostschweiz seit dem Rücktritt der Bündner BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf nicht mehr in der Landesregierung vertreten. Karin Keller-Sutter bringt sowohl Exekutiverfahrung mit – zwischen 2000 und 2012 war sie St. Galler Justizdirektorin – und sie ist im Bundeshaus bestens vernetzt. Seit ihrer Wahl in den Ständert 2011 gehört sie zu den einflussreichsten Politikern in Bern.
Die St. Gallerin bezeichnet sich selbst als «stockbürgerlich». So gehört etwa die Rettung des Weltklimas nicht zu ihren obersten Prioritäten. Die abgelehnte Rentenreform bekämpfte Keller-Sutter an vorderster Front wegen der Erhöhung der AHV um 70 Franken. Sie gilt als wirtschaftsliberal und wertkonservativ. Dem Rahmenabkommen mit der EU steht die Freisinnige sehr kritisch gegenüber. Vielleicht müsse die Schweiz gewisse Schikanen der EU aushalten, findet sie.
Trotz ihrer politischen Haltung wird die neue Bundesrätin selbst von linken Politikern sehr geschätzt. Mit dem ehemaligen Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner oder SP-Präsident Christian Levrat etwa hat die 54-Jährige im Ständerat sehr gut zusammengearbeitet. So bei der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative oder der Neuauflage der Unternehmenssteuerreform. Karin Keller-Sutter wird selbst von ihren politischen Gegner wegen ihrer Gradlinigkeit und Zuverlässigkeit geschätzt.
Zudem wir ihr ein starker Wille zur Suche von kompromissfähigen Lösungen attestiert. Ausserdem ist Karin Keller-Sutter kommunikativ stark. Die ausgebildete Dolmetscherin spricht perfekt Französisch und kommt in der Romandie sehr gut an. Die Westschweizer betrachten Keller-Sutter als halbe Romande.
Selbst was ihre Gegner als Schwächen bezeichnen, klingt zuweilen wie ein Kompliment. Keller-Sutter gilt als eher unnahbar und schützt ihre Privatsphäre stark. Neben ihrem Arbeitseifer bleibe nicht sehr viel Platz für Geselligkeit, monieren Parlamentarier.
Keller-Sutter gehörte nicht zu jenen Parlamentariern, die während der Session oft an Lobbyveranstaltungen anzutreffen sind. Keller-Sutter gilt überdies als dominante Persönlichkeit. Sie lasse anderen wenig Platz, das hätten bereits ihre ehemaligen Regierungskollegen in St. Gallen merken müssen.
Bei Käse und Gummibärchen verliert die frisch gewählte Bundesrätin nach eigenen Worten die Selbstdisziplin. (aargauerzeitung.ch)