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Warum Zürich wächst, aber Bern nicht

Junge, gut gebildete Ausländer kommen zurück – warum Zürich wächst, aber Bern nicht

Mit der Coronakrise wurde es still in Schweizer Städten. Einwohnerinnen und Einwohner zogen weg, das Wachstum kam zum Stillstand. Jetzt zeigt sich ein differenzierteres Bild.
02.12.2021, 05:33
Stefan Ehrbar / ch media
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Es war, als hätte es Corona nie gegeben. Zehntausende strömten am Donnerstag vergangener Woche in die Zürcher Innenstadt, weil die Weihnachtsbeleuchtung in der Bahnhofstrasse angeschaltet wurde. Der Glühwein floss in Strömen, die Läden waren voll. Der Schein trügt nicht: Die Menschen kehren zurück in die grösste Stadt des Landes. Doch nicht überall zeigt sich dieses Bild.

Velo Zürich
Zürich wuchs mit dem Semesterstart wieder deutlich.Bild: Shutterstock

Die sechs Gemeinden mit über 100'000 Einwohnerinnen und Einwohnern – Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Bern und Winterthur – litten seit Ausbruch der Krise besonders stark. Während die Bevölkerungszahlen in der ganzen Schweiz stets nach oben zeigten, mussten die Grossstädte mit Ausnahme von Winterthur sogar sinkende Bevölkerungszahlen verzeichnen. Im Jahr 2020 schrumpften Bern, Genf und Lausanne, im ersten Halbjahr 2021 zogen auch aus Zürich und Basel mehr Leute weg, als hinzukamen.

Besonders hohe Zunahme im September

Mittlerweile hat sich das Bild zumindest teilweise wieder gekehrt. Lausanne ist auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Winterthur hatte diesen gar nie verlassen – dank einer regen Bautätigkeit, vielen neuen Wohnungen und vergleichsweise tiefen Mietpreisen.

In den ersten drei Quartalen 2021 hat aber vor allem die Stadt Zürich zugelegt. Alleine im September verzeichnete sie ein Wachstum von 2200 zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohnern. Zwar wachse die Stadt jedes Jahr mit dem Semesterstart an den Hochschulen, sagt Klemens Rosin, Methodiker bei Statistik Stadt Zürich. «Die September-Zunahme war dieses Jahr aber besonders hoch.»

Warum steigen Zahlen wieder?

Ende Jahr dürfte Zürich deutlich mehr Einwohner zählen als Ende 2020 und Ende 2019. Jeweils im Oktober werde noch einmal ein leichtes Wachstum registriert, während sich die Einwohnerzahlen im November und Dezember erfahrungsgemäss kaum bewegten, sagt Rosin – ein Muster, das sich auch in den anderen Schweizer Städten zeigt.

Doch wieso ist das Wachstum zurückgekehrt? Das liegt vor allem an den Jahresaufenthaltern, also Menschen mit einer B-Aufenthaltsbewilligung. Während der Krise zogen viel weniger von ihnen zu, vor allem im Frühling 2020. «Bei dieser Gruppe handelt es sich um gut gebildete, jüngere und mobile Ausländerinnen und Ausländer», sagt Rosin. «Sie haben in der Vergangenheit massgeblich zum Wachstum der Stadt Zürich beigetragen.»

Warum boomt Basel nicht?

Es sind Informatiker, die bei Google arbeiten, oder Finanzfachleute, die bei einer Grossbank oder Versicherung im Sold stehen. Sie finden in der grössten Schweizer Stadt leicht einen Job. Der Stadtzürcher Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne) sprach kürzlich im «Tages-Anzeiger» von einem «Wirtschaftsboom», der Jobs in Branchen mit hoher Wertschöpfung schaffe. Alleine Google beschäftige in Zürich über 5000 Menschen. In Zürich treffen diese auf eine hohe Bautätigkeit und viele neue Wohnungen, die sie nicht zum Pendeln in die Agglomeration zwingen.

basel
2020 haben in Basel noch mehr Menschen gelebt.Bild: shutterstock

Von solchen Effekten müsste auf den ersten Blick auch Basel profitieren. Die Stadt ist Heimat einer boomenden Pharma-Branche. Allerdings zeigt sich dort das Gegenteil: Basel wird Ende Jahr wohl weniger Einwohnerinnen und Einwohner zählen als Ende 2020. In den ersten neun Monaten hat die Stadt fast 1'300 Einwohnerinnen und Einwohner verloren – sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen so viel wie keine andere Schweizer Grossstadt.

städte im jahr 2021 bevölkerungsentwicklung

Panik bricht in Basel deswegen nicht aus. «Es gab und gibt stets Phasen mit stärker steigenden Zahlen, auf welche Phasen mit einem geringen Wachstum folgen», sagt Michael Wilke vom Präsidialdepartement des Kanton Basel-Stadt.

Die Zahlen schwankten um einen «langfristigen Wachstumstrend» herum. Im Frühling und Sommer seien sie zurückgegangen. «Die Schwankung um den Trend war also besonders stark». Solche kurzfristigen Entwicklungen sollten aber nicht überbewertet werden, findet Wilke.

Moderates Wachstum erwartet

Langfristig werde die Einwohnerzahl weiter steigen, wenn Basel seine wirtschaftliche Attraktivität und Lebensqualität erhalten könne und das Wohnungsangebot in der Stadt ausgebaut werde. Basel strebe ein «moderates Wachstum» an, sagt Wilke. Das sei auf die hohe wirtschaftliche Dynamik in der Region zurückzuführen und auf Entwicklungen wie die Urbanisierung.

Nur: Schon vor der Krise wuchs Basel weniger stark als das restliche Land. Zwischen 2010 und 2020 verzeichnete die Schweiz ein Bevölkerungswachstum von 10.2 Prozent. Der Kanton Basel-Stadt legte laut Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) nur um 6.4 Prozent zu.

Zu wenige neue Wohnungen?

Ein Erklärungsansatz ist, dass vergleichsweise weniger neue Wohnungen auf den Markt gekommen sind. «Häufig beeinflusst das verfügbare Wohnungsangebot die Bevölkerungszahl», sagt Michael Wilke. Allerdings wuchs auch der Nachbarkanton Basel-Landschaft, in den viele Pendler ziehen, die in der Stadt keine Wohnung finden oder sich dort keine leisten können, in den vergangenen Jahren nur unterdurchschnittlich.

Möglicherweise verstärkt die Pandemie einfach Entwicklungen, die sich schon länger abzeichneten – insbesondere im Bereich der Arbeitsstellen. Je mehr davon eine Stadt bietet, desto mehr Menschen wollen in ihr wohnen. Wird das Stellenwachstum etwa durch eine Krise gebremst, kann ein vorher schwaches Bevölkerungswachstum ins Gegenteil verkehrt werden.

Trotz dem Boom von Roche, Lonza und Co. ist die Zahl der neuen Jobs in Basel zuletzt unterdurchschnittlich gewachsen. Laut Bundesamt für Statistik (BFS) nahm die Zahl der Vollzeitäquivalente zwischen 2011 und 2019 schweizweit um 9.1 Prozent zu – in der Stadt Basel nur um 5.0 Prozent.

Vollzeitstellen in Schweizer Städten

Über die wirtschaftliche Kraft der Region sagt diese Zahl wenig aus: Das im Kanton Basel-Stadt erwirtschaftete Bruttoinlandprodukt (BIP) stieg im selben Zeitraum um 22.7 Prozent und damit stärker als jenes der Schweiz mit 13.4 Prozent. Die Basler Wirtschaft wächst also wertmässig stark, aber vor Ort braucht sie dafür verhältnismässig wenig zusätzliches Personal.

Wurde es den Leuten zu eng?

Darin unterscheidet sich Basel von Bern. Das in der Agglomeration Bern erarbeitete BIP stieg laut Zahlen von BAK Economics in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich – genauso wie die Zahl der Vollzeitbeschäftigten. Trotzdem sieht die Stadt andere Gründe, warum sie zuletzt Einwohnerinnen und Einwohner verlor und Ende 2021 weniger bevölkerungsstark sein dürfte als Ende 2020 und vermutlich auch als Ende 2019.

«Der Bevölkerungsrückgang im ersten Halbjahr 2021 lässt sich wohl damit erklären, dass bestimmten Personengruppen die Platzverhältnisse zu eng wurden», sagt Thomas Holzer, Leiter Statistik der Stadt. Zwischen 2010 und 2019 habe die Bevölkerung in der Stadt Bern um 8.8 Prozent zugenommen. Im gleichen Zeitraum sei der Wohnungsbestand aber nur um 3.8 Prozent gewachsen.

«Es teilten sich durchschnittlich mehr Personen eine Wohnung. Homeoffice und Homeschooling dürften gerade für Familien den Wunsch nach einer grösseren Wohnung verstärkt haben», sagt Holzer. Die seien eher in der Agglomeration zu finden als in der Stadt, wo die Leerwohnungsziffer sogar abgenommen habe. «Dies zeigt auch, dass keine eigentliche Stadtflucht stattgefunden hat.»

Langfristig werde die Pandemie als Delle in der Entwicklung bleiben und nicht als Trendumkehr, glaubt Holzer. Er gehe davon aus, dass Städte als Wohnort attraktiv bleiben. Aber: «Falls sich Homeoffice in Zukunft etabliert, kann das das Wachstum nicht nur von Bern, sondern generell in den Städten etwas dämpfen, weil das Pendeln attraktiver wird.»

Bevölkerung seit Ende 2019

(saw/ch media)

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Freiheit und Toleranz
02.12.2021 06:55registriert Oktober 2018
Neue Stellen Schweiz: 9% in 9 Jahren. Das bedeutet 100% in 100 Jahren und korrespondiert mit der Verdoppelung der Weltbevölkerung in den letzten 100 Jahren.
Sowas führt auf die Dauer zum gesellschaftlichen Kollaps, erhöhtem Ressourcendedarf, Abfall/Umweltverschmutzung und Klimabelastung.
Nur eine Reduktion der Bevölkerung auf 55-65% des heutigen Stands erlaubt einen nachhaltigen Erhalt der Gesellschaft auf heutigem Wohlstandsniveau.
Wenn nicht auch diesbezüglich ein Umdenken (!) stattfindet hilft Green-Tech, etc. den Kollaps bestenfalls 10-20 Jahre hinauszuzögern.
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