Schweiz
Verbrechen

«Loverboy»-Prozess Winterthur: «Das war alles freiwillig»

«Loverboy» zwingt zwölfjähriges Mädchen zu Sex mit Freunden – «wir hatten doch Spass»

16.05.2022, 15:4316.05.2022, 19:30
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Der Hauptbeschuldigte im «Loverboy»-Prozess in Winterthur hat am Montag abgestritten, dass er ein zwölfjähriges Mädchen zu Sex mit seinen Freunden gezwungen haben soll. Das sei alles freiwillig gewesen. «Wir hatten doch Spass», sagte er.

«Wenn sie sich gezwungen gefühlt hat, ist das schlimm und tut mir leid», sagte der Hauptbeschuldigte, der unter anderem wegen Menschenhandels angeklagt ist und vier Jahre älter ist als das Opfer. Er habe ihr nie befohlen, mit seinen Freunden Sex zu haben.

Das Mädchen traute sich nicht, sich zu wehren.
Das Mädchen traute sich nicht, sich zu wehren.shutterstock

Er räumte aber ein, die Szenen gefilmt zu haben, «weil man das ja nicht jeden Tag erlebt». Im Nachhinein bereue er das. Aber damals habe er «der coole Rapper» sein wollen. Er habe einzelne Aufnahmen auch weitergeschickt, um im Mittelpunkt zu stehen.

«Freundschaft plus» mit einer Zwölfjährigen

Eine Beziehung habe er zum zwölfjährigen Mädchen nicht gehabt. Das sei eher so «Freundschaft plus» gewesen, also eine Freundschaft mit Sex. «Ich habe ihr nie einen Grund gegeben, sich in mich zu verlieben.»

Ihm sei es sowieso immer nur ums Geld gegangen, das er von ihr verlangt habe. «Wenn sie kein Geld für mich hatte, fühlte ich mich verarscht», sagte er weiter. Dann habe er sie geschlagen. Das seien so «gegenseitige Spielereien» gewesen.

Um ihrem «Freund» Geld geben zu können, stahl das Mädchen seinen Eltern innerhalb von zwei Jahren rund 15'000 Franken. Er zahlte damit Kleider und wollte ein Rap-Video produzieren.

«Ich wollte nur Liebe»

Die heute 17-jährige Geschädigte sieht diese zwei Jahre mit dem Hauptbeschuldigten völlig anders. Das sei durchaus eine Beziehung gewesen, wenn auch keine normale, sagte sie in der Befragung. «Vielleicht war es nur einseitig von mir aus.»

Immer wenn er ihr etwas angetan habe, habe er schadenfreudig «wie ein Psycho» gegrinst. Sie habe sich aber nicht von ihm trennen können, weil es immer auch schöne Momente gegeben habe. «Manchmal streichelte er mir über die Wange. Ich konnte nicht loslassen.»

Der Sex mit dem Hauptbeschuldigten sei einvernehmlich gewesen, weil sie ihm auf diese Weise habe nahe sein können. «Mir hätte aber auch eine Umarmung genügt.» Der Sex mit seinen «Bros» hingegen nicht.

«Ich habe nicht eingewilligt. Ich hatte keine andere Wahl.» Sie sei seine Marionette gewesen und habe alles gemacht, was er gesagt habe, aus Angst, dass er sie verlasse. Das hätten die anderen ausgenützt. Beim Sex sei sie wie erstarrt oder eingefroren gewesen.

«Wie eine Droge»

Ihre Eltern versuchten verzweifelt, ihre Tochter vom vier Jahre älteren Jugendlichen fernzuhalten. Allerdings half auch nicht, dass sie die Tochter im Zimmer einsperrten. In einem Fall sprang sie sogar aus dem zweiten Stock, um ihren «Freund» zu sehen.

Als sie ihn dann doch irgendwann anzeigte und er verhaftet wurde, war das für die damals 14-Jährige, «wie wenn mir eine Droge weggenommen wird». Auch heute noch scheint sie Gefühle für ihren Peiniger zu haben. Sie wolle ihn glücklich sehen und wünsche ihm eine Frau, die ihn so liebe wie sie, sagte sie bei der Befragung.

Dann richtete sie mit einem Lächeln im Gesicht Grüsse an ihn aus. Er sass in der Zeit in einem anderen Saal und sah sich ihre Befragung per Videoübertragung an.

Sie hat «nie Nein gesagt»

Vor Gericht stehen neben dem Hauptbeschuldigten auch sechs andere junge Männer - seine «Bros», welche das Mädchen zusammen mit ihm missbraucht haben sollen. Jene, die sich an Sex mit der Zwölfjährigen erinnern wollten, betonten, dass sie «nie Nein gesagt habe». Sie rede heute nur deshalb von Zwang, weil sie nicht als Flittchen gelten wolle.

Die Jugendanwaltschaft fordert für den Hauptbeschuldigten eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Weil er zu Beginn der Taten noch minderjährig war, soll er in eine stationäre Massnahme für junge Erwachsene. Er habe das Mädchen bewusst beherrscht und wie eine Ware benutzt, heisst es in der Anklageschrift.

Seine minderjährigen «Bros» sollen gemäss Anklageschrift bedingte Freiheitsstrafen erhalten. Die volljährigen Freunde sollen mit unbedingten Freiheitsstrafen sowie je zehn Jahren Landesverweis bestraft werden. Der Prozess wird mehrere Tage dauern. Das Urteil wird Anfang Juli eröffnet.

«Loverboys» sind Männer, die verliebte Mädchen oder Frauen manipulieren und missbrauchen. Häufig drängen sie die Opfer zu Sex mit anderen, oft auch gegen Geld. Der Fall in Winterthur ist ein drastisches Beispiel dieser Missbrauchs-Form. (saw/sda)

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146 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gurowietz39
16.05.2022 16:17registriert Juni 2021
Was zur Hölle habe ich hier gerade gelesen!?
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*Butterfly*
16.05.2022 16:50registriert Februar 2022
Um himmelswillen, was für ein erschütternder Bericht einer wahren Geschichte...!

Und sie scheint ihm immer noch irgendwie "verfallen" zu sein.

Hoffentlich lernt sie in ihrem Leben auch mal wahrhaftige Liebe kennen. Das ist ihr jedenfalls von Herzen zu wünschen.
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Bee89
16.05.2022 16:16registriert Mai 2018
Genau wegen Fällen wie diesen brauchen wir eine Änderung des Gesetzes: nur Ja heisst Ja!
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