Ja, die SwissCovid-App existiert noch. Und sie wäre eigentlich ein gutes Mittel zur Vereinfachung des Contact Tracings: Sie erfasst automatisch, wenn man über eine längere Zeit in der Nähe einer Person war. Und sie bietet sogar eine «Check-in»-Möglichkeit an: Jede Bar, jeder Tanzclub und jedes Büro könnte einen QR-Code am Eingang aufhängen, mit dem Gäste ihren Besuch erfassen könnten.
Nur kann die App dafür nicht verwendet werden. Das Epidemiengesetz verbietet es: Ob jemand «SwissCovid» auf dem Handy nutzt, muss ein freiwilliger Entscheid sein. Die Konsequenz davon ist, dass die Kontaktdaten in Tanzlokalen (neudeutsch: Clubs) quasi händisch erfasst werden müssen. Mittlerweile etablierten sich zwar digitale Lösungen, mit denen Partygäste ihre Daten auf dem Handy eintippen können. Bis heute bleibt aber die Regel: Clubs müssen den Behörden melden können, wer wann auf der Tanzfläche stand.
Mit dem vorgeschlagenen Quarantäne-Regime ergibt das aber in den allermeisten Fällen wenig Sinn: Wenn jemand am Freitagabend die Hüften schwingt und am Montag positiv getestet wird, dann führt das nicht mehr zu Quarantänisierung von allen Partygästen. Die 5-Tage-Dauer gilt ab dem Zeitpunkt des Kontakts – sprich: Freitagabend. Bis alle Partygäste theoretisch gesehen von den Behörden kontaktiert wurden, werden weitere Stunden bis Tage vergangen sein. Kommt dazu: Seit Silvester werden ohnehin nur noch die engsten Kontakte in die Quarantäne geschickt.
Sprich: Die Kontaktdaten, die am Freitagabend von einem Club gesammelt werden, landen in dem Müll und werden gar nicht mehr fürs Contact Tracing genutzt. Erfasst werden müssen sie aber trotzdem, neue Quarantäneregel hin oder her: Der Bundesrat verzichtete oder vergass am Mittwoch, die Verordnung dazu anzupassen. Und den Kantonen fiel es bislang nicht auf: «Wir haben die Frage zu den Auswirkungen des neuen Quarantäne-Regimes aufs Contact Tracing nicht diskutiert.»
Max Reichen von der Berner Bar- und Clubkommission verteidigt im Gespräch mit watson den Sinn und Zweck des Contact Tracings. Jeder vernünftig denkende Mensch wisse, dass Epidemien so unter Kontrolle gebracht werden könnten. «Wir sind auch bereit, da unseren Beitrag zu leisten. Nur ist es jetzt weder zielführend noch angemessen, dass nur noch Clubs die Kontaktdaten erheben müssen», sagt Reichen.
Seine Aussage ist überspitzt: Neben Clubs müssen auch «andere Einrichtungen und Betriebe in den Bereichen Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport» und einige wenige politische, religiöse und soziale «Veranstaltungen in Innenräumen» Daten ihrer Gäste sammeln. Die Sinnfrage führt aber überall zum selben Fazit: Die Kontaktdaten werden kaum noch fürs Contact Tracing genutzt.
Reichen begründet seine Kritik damit, dass Nachtclubs deshalb sinnlosen Aufwand hätten: Sie müssten all die Fragen von Datenschutz, Technik und Durchführung der Kontaktdatenerhebung weiterhin betreiben, obwohl am Ende das gar nicht von den Behörden genutzt werde. «Bei 20'000 bis 30'000 Neuinfektionen pro Tag ist das gar nicht möglich. Die Behörden haben das ja selbst erkannt und die Quarantäneregeln angepasst. Die Pflicht für die Clubbetreiberinnen und -betreiber blieb, so als ob man uns als angeblicher ‹Buhmann› der Pandemie piesacken wolle.»
Er fordert deshalb eine Korrektur der Pflicht: Sie müsse differenzierter sein und keine Branche benachteiligen. «Die ‹SwissCovid›-App ermöglicht ja das grundsätzlich: Ein enger Kontakt, egal ob's im öffentlichen Verkehr, im Nachtclub oder in einem vollen Restaurant passiert, wird fürs Contact Tracing erfasst», sagt Reichen. Sie kann aber, wie bereits erwähnt, dafür nicht genutzt werden: Die Freiwilligkeit der App ist gesetzlich vorgeschrieben.
Reichens Organisation forderte bereits 2020, gewisse Zugangskontrollen an die SwissCovid-App knüpfen zu können. «Es würde die Arbeit von Nachtclubbetreibern, des Contact Tracings der Behörden und den Aufwand der Gäste minimieren», sagt er. Dafür wäre aber eine Gesetzesänderung notwendig, die frühestens im April 2022 kommen könnte. Das weiss das BAG. Das Bundesamt liess Fragen zur Thematik zunächst unbeantwortet. In einem internen Schreiben an die Kantone, datiert vom 30. Dezember 2021, heisst es aber: «Die SwissCovid-App wird erneut beworben und als Sensibilisierungsinstrument eingesetzt.»
Nutzer 1.62 Mio
eingegebene Covidcodes: 121'432, davon 44% innerhalb von 48h
Insgesamt haben wir inzwischen 1.6 Mio Fälle. Das heisst nicht mal jeder 13. Fall wurde dort angegeben, und davon der Grossteil noch nicht einmal zeitnah. Wie soll die App da jemals jemanden warnen?
Zum Vergleich: in Deutschland wird die App auch zum Check-in benutzt und wird daher rege genutzt. Ich kenne fast niemanden dort, der nicht wenigstens einmal eine Warnung in der App gesehen hat.
Warum wird sie nicht vermehrt für den Check-In? Es spielt keine Rolle, ob man verpflichtet ist Daten zu erfassen, Sinn ergäbe es dennoch. Bei uns ist immer das Problem, dass alles freiwillig bleiben muss und keiner zu irgendwas verpflichtet werden kann. Jedenfalls nicht bei hilfreichen Dingen.