Herr und Frau Schweizer fürchten sich am meisten vor der Klimaveränderung, gefolgt vom Egoismus der Menschen und der Atomverseuchung. Das wissen wir seit dem Angstbarometer der gfs-zh. Aber wie sieht eigentlich der Sorgenbarometer in der Teppichettage von Unternehmen und in Führungspositionen internationaler Organisationen aus? Eine WEF-Umfrage unter 1800 «Führungspersonen» hat die Top 10 der drängendsten Herausforderungen für das Jahr 2015 zutage gefördert.
Die grösste Herausforderung sehen Führungspersonen in der zunehmend ungleichen Einkommensverteilung. Zwar wird festgestellt, dass das Wirtschaftswachsum global gesehen zunimmt. Gleichzeitig erweiterte sich aber auch die Schere zwischen Arm und Reich, und zwar nicht nur in Entwicklungsländern. Gemäss Einschätzung der Leader wird die ungleiche Einkommenverteilung in naher Zukunft insbesondere asiatische Länder betreffen.
Es klingt nach einer einleuchtenden Rechnung: Wirtschaftswachstum gleich Zunahme an Arbeitsplätzen. Historische Erfahrungen und statistische Daten beweisen aber, dass ökonomischer Aufschwung nicht immer mit einer Erhöhung der Beschäftigungsrate einher geht. Vielfach wächst die Arbeitslosenzahl sogar trotz Aufschwung.
Insbesondere Sub-Sahara-Afrika und Südamerika sind nach Einschätzung der Befragten mit dem Phänomen des «Persistent Jobless Growth» konfrontiert. Die formulierten Lösungen gegen die Problematik lauten: Arbeitsplätze schaffen, Bildungsstandard erhöhen und Innovationen fördern.
Weltwirtschaftskrise, Klimaerwärmung, politische Unruhen in Nahost und Osteuropa sowie zahlreiche Gefahrenherde verschiedenster Art weltweit: die Weltgemeinschaft tut sich schwer, Probleme anzupacken. Aber nicht nur auf der globalen Ebene, wo die Weltordnung sei der Auflösung des Ostblocks und dem Aufstieg von Schwellenländern wie China und Indien unübersichtlicher geworden ist, wird ein Mangel an Führungskraft ausgemacht. Auch in den Nationalstaaten werden gemäss Umfrage Leadership-Qualitäten sträflich vernachlässigt.
Zu Beginn der 90er Jahre herrschte Aufbruchstimmung: der globale Wettbewerb um politische Vorherrschaft schien entschieden, die liberale Demokratie gepaart mit einer sozialen Marktwirtschaft das Modell der Zukunft. Seither hat der Aufstieg von Schwellenländern und die schwächelnde Rolle der USA die Welt unübersichtlicher denn je gemacht.
Die politischen Spannungen in der Ukraine und die geopolitischen Ambitionen Chinas sind Beispiele für den tiefgreifenden Umbruch der Weltordnung. Lösungen sehen die befragten Personen in erster Linie in einer Zunahme an Verhandlungen, in Strukturen für Regierungsführung (engl. Governance) und in zunehmenden Kooperationen in der Aussenpolitik.
Das Vertrauen in Politiker, Institutionen und politische Prozesse ist gering. «Classe Politique» und «Establishment» sind die harmloseren Etiketten, die «die da oben in Bern» angeheftet bekommen. Gemäss einer Umfrage des «Edelman Trust Barometer» vertrauen die Menschen weltweit mehr der Wirtschaft, als der Regierung. Andere Barometer – etwa von Vimentis – kommen zu ähnlichen Resultaten.
Die befragten Leader schätzen die Gefahr des zunehmenden Vertrauensverlust vor allem im Nahen Osten und in Nordafrika als gross ein. Auf die Frage, ob die Mitgliedstaaten der EU glauben, dass die EU die Bedürfnisse ihrer Bürger verstehe, antworteten für Griechenland 85 Prozent mit Nein, für Frankreich immerhin 69 Prozent mit Nein.
Die Industrialisierung der Schwellenländer verstärkt die Umweltverschmutzung. Gleichzeitig sind diese Länder auch die Hauptleidtragenden. Die Entwicklung von umweltverträglichen Technologien und die Ausstattung der Schwellen- und Entwicklungsländer mit ausreichenden finanziellen Mitteln sind auf der Agenda der Führungspersonen an sechster Stelle.
Überschwemmungen, Orkane, Schneestürme: Auch 2014 wurde die Welt nicht von verheerenden Unwetterkatastrophen verschont. Diese Katastrophen sind oftmals direkte Folge der Klimaerwärmung und könnten mit einer adäquaten Klimapolitik zumindest eingedämmt werden.
Schottland, Katalonien, Ostukraine, Korsika, Norditalien, das Baskenland: in Europa grassieren nationalistisch geprägte Abspaltungstendenzen. Im Europäischen Parlament feierten nationalistische Parteien wie UKIP, Front National, oder die ungarische Fidesz Wahlerfolge. Lösungsansätze sehen die befragen Personen in einer Zunahme der Kooperation und Partnerschaft zwischen Staaten und Regimen, in der Förderung des Problembewusstseins und in Bildungsförderungen der Bürger.
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist für einen erheblichen Teil der Weltbevölkerung nach wie vor Luxus. Eine Kombination von verschiedenen Faktoren, darunter Armut, Klimawandel und Bevölkerungswachstum, wird nach Meinung von Umweltexperten dazu führen, dass diese Problematik in den nächsten Jahren verschärft wird. Nach Einschätzung der befragten Personen werden im Jahr 2030 3,9 Milliarden Menschen unter erheblicher Wasserknappheit leiden. Dies entspräche einer Zunahme von 38 Prozent im Vergleich zu 2005.
Eine Weltbank-Studie errechnete kürzlich, dass Ebola in den nächsten zwei Jahren 32,6 Milliarden Dollar kosten könnte, falls das Virus nicht bald effektiv bekämpft wird. In Liberia könnte die Epidemie Ende 2015 zu einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um 12 Prozent führen, in Sierra Leone um 8,9 Prozent. Dass sich Wirtschaftswachstum und die Gesundheit wechselseitig bedingen, ist eine der zentralen Befunde der WEF-Umfrage. Die Anstrengungen zur Förderung des Gesundheitswesens müssen deshalb insbesondere in unterentwickelten Ländern verstärkt werden, so die Forderungen der Umfrageteilnehmer. (wst)