Sergei Magnitski arbeitete in Moskau als Wirtschaftsprüfer für die britische Investmentgesellschaft Hermitage Capital des gebürtigen Amerikaners Bill Browder. Hermitage geriet 2007 wegen angeblicher Steuerhinterziehung ins Visier der Russen. Bei Razzien wurden Firmenpapiere und -stempel konfisziert. Diese Papiere und Stempel dienten korrupten Funktionären in der Folge dazu, einen Betrug von umgerechnet 230 Millionen Dollar am Moskauer Fiskus zu begehen: Sie lösten nicht geschuldete Steuerrückzahlungen aus und leiteten sie in die eigenen Taschen. Magnitski soll diesen Betrug aufgedeckt und angezeigt haben. Er wurde im November 2008 verhaftet und starb ein Jahr später unter ungeklärten Umständen in einem Moskauer Gefängnis. Er war 37 Jahre alt.
Hermitage-Chef Bill Browder erwirkte 2012 in den USA den «Magnitsky Act», ein Gesetz, das die Bestrafung der russischen Beamten vorsah, die man für die Verantwortlichen am Tod des Wirtschaftsprüfers hielt. 2016 wurde der «Global Magnitsky Act» verabschiedet: Dieser erlaubt den USA, weltweit Regierungsbeamte unter anderem mit Einreiseverboten und Vermögenssperren zu bestrafen, die an Menschenrechtsverletzungen mitgewirkt haben.
Bill Browder, 59, ist ein Enkel von Earl Browder, der von 1930 bis 1944 Generalsekretär der Kommunistischen Partei in den USA war und sogar US-Präsidentschaftskandidat. Bill Browder selbst zog 1996 nach Moskau, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion mit den Privatisierungen viel Geld zu machen war. Bald war Hermitage der grösste Auslandinvestor. Mit diesem Hebel begann Browder, in prominente russische Firmen wie Gazprom zu investieren und darauf zu drängen, gegen Unternehmenskorruption vorzugehen. Ab etwa 2004 fiel er bei Putin in Ungnade, ab 2006 hatte er Einreiseverbot in Russland. Seither verschrieb er sich dem Kampf gegen Potentaten.
Ein Teil der 230 gestohlenen Millionen floss auf Banken in der Schweiz. Im Januar 2011 erstattete Browder hier Strafanzeige wegen Geldwäscherei. Die Bundesanwaltschaft beschlagnahmte auf etwa 50 Konten gut 18 Millionen Franken. Der entscheidende Teil der Ermittlungen lief in der Amtszeit von Bundesanwalt Michael Lauber (2012 bis 2020). Zuständiger Chef-Staatsanwalt war Patrick Lamon. An den Ermittlungen beteiligt war Russland-Experte Viktor K.*.
Die 18 Millionen lagen und liegen vor allem bei CS und UBS. Einer der Russen war Ehemann einer leitenden Moskauer Steuerbeamtin, deren Büro einen Teil der kriminellen Steuerrückerstattung genehmigte. Der zweite Russe war Sohn des Vize-Premiers der Moskauer Regionalregierung. Seine Anwältin in einem Verfahren der US-Regierung war Natalia Weselnitskaya, die durch ihr Treffen im «Trump Tower» mit einem Sohn des späteren US-Präsidenten Schlagzeilen machte. Mit ihr traf sich auch K. Sie weibelte gegen den Magnitsky Act, das «Team Trump» erhoffte sich «eine Bombe» gegen Hillary Clinton. Dem dritten Russen gehörte die Privatbank Universal Savings Bank (USB), über die 97 der 230 Millionen gewaschen wurden.
Im Juli 2021 stellte die Bundesanwaltschaft das Verfahren im Fall Magnitski ein. Angeblich gab es «keinen erhärteten Tatverdacht». Dabei: Bei 4 der 18 Millionen konnten die Ermittler einen Zusammenhang mit der Straftat in Russland nachweisen. Dieses Geld soll eingezogen, der Rest freigegeben werden. Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig - die Russen wollen das ganze Geld.
Die «Helsinki-Kommission», ein Gremium des US-Kongresses zur Förderung der Menschenrechte, wirft, auch alimentiert von Browder, den Schweizer Strafverfolgungsbehörden vor, die Russen begünstigt zu haben. Die Strafverfolger hätten das «falsche Narrativ» der Russen übernommen. Darum sollen Lauber, Lamon und Viktor K. auf die US-Sanktionsliste gesetzt werden. Grundlage ist der Magnitsky Act. Im Schreiben an die US-Regierung weisen sie darauf hin, dass Russland-Experte K. vom Bundesstrafgericht verurteilt worden sei, weil er sich von Oligarchen zu Jagdausflügen habe einladen lassen. Der Experte habe vor Gericht ausgesagt, er sei nach Russland geschickt worden, um die Untersuchung Magnitsky «entgleisen» zu lassen. Auch Lauber und Lamon seien an Ausflügen gewesen, die von den Russen bezahlt wurden.
Lauber weist solche Vorwürfe entschieden zurück. In der Tat gibt es keine Hinweise darauf, dass er sich je bestechen liess. Was aber klar ist: Die Schweizer wurden von Russen immer wieder grosszügig eingeladen, so auf den berühmt-berüchtigten Ausflug auf den Baikalsee 2014, von dem es Fotos gibt. Die Frage ist also eher, wie stark sich die Schweizer beeinflussen liessen und ob die Russen irgendwann zu Material kamen, das sie als Druckmittel benutzen konnten. Lauber wies auch solche Vermutungen auf Frage von CH Media kategorisch zurück.
Lauber sagte im «Tages-Anzeiger», er diene als Sündenbock, Ziel sei effektiv die Schweiz. Die USA seien nicht zufrieden, dass die Schweiz die Sanktionen gegen Russland nicht mittrage. Strafrechtler wie Mark Pieth sagten an gleicher Stelle, die USA wollten den Druck auf die Schweiz erhöhen mit dem Ziel, dass diese der G-7-Taskforce beitrete, die die Russland-Sanktionen koordiniert. Die Schweiz wiederum wolle dort nicht mitmachen, weil sie Angst habe, «den Rest des Bankgeheimnisses aufgeben zu müssen». Experten wie Pieth warnen längst vor dieser Vogel-Strauss-Politik des Bundesrats, die sich über kurz oder lang für die Schweiz rächen werde.
* Name geändert