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Grossbritannien verlässt die EU. Was bedeutet das für Ferien, Beruf, Studium und Scotch? Wir klären die wichtigsten Fragen zum Brexit.
Dreieinhalb Jahre lang haben die politischen Kräfte in Grossbritannien darüber gestritten, wie der Brexit ablaufen soll. Zwei Neuwahlen, zahlreiche, meist ergebnislose Debatten im britischen Unterhaus und endlose Verhandlungsrunden in Brüssel waren nötig. Nun verlässt mit Grossbritannien zum ersten Mal ein Mitgliedsstaat die Europäische Union. Obwohl beide Seiten einen ungeregelten Austritt mit der Einigung auf ein Austrittsabkommen zunächst verhindert haben, sind viele Fragen nach wie vor offen. Was verändert sich im Alltag? Wie könnten die künftigen Beziehungen zwischen der EU, der Schweiz und Grossbritannien aussehen? Ist ein harter Brexit noch möglich?
Wir geben die wichtigsten Antworten:
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Fest steht, ab diesem Freitag um Mitternacht ist Grossbritannien nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Ein grosser Bruch bleibt aber zunächst aus. Bereits Ende Oktober hatten sich die britische Regierung und die EU doch noch auf ein Abkommen geeinigt und somit einen ungeregelten Austritt Grossbritanniens verhindert.
Das Abkommen, das Boris Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hatte und dann noch mal angepasst wurde, sieht eine Übergangsphase bis Ende des laufenden Jahres vor. Währenddessen soll auf beiden Seiten zunächst einmal alles weitgehend so bleiben, wie es ist. Die Schweiz hat am 25. Februar 2019 bereits ein erstes Abkommen mit Grossbritannien unterzeichnet, das vor dem Wegfall der Personenfreizügigkeit schützt.
Die EU und Grossbritannien bekommen durch die Übergangsfrist Zeit, ihre künftigen Beziehungen auszuhandeln. Sie wollen unter anderem ein neues Handelsabkommen abschliessen, neue Kanäle für eine künftige Zusammenarbeit aufbauen und eine Sicherheitspartnerschaft in den Bereichen Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung vereinbaren.
Die Übergangsphase ist vor allem für die Wirtschaft besonders wichtig. In dieser Phase behält Grossbritannien den Zugang zum EU-Binnenmarkt und bleibt Teil der Zollunion. Dafür muss sich das Land weiter an alle EU-Regeln halten und auch wie bisher finanzielle Beiträge an die Europäische Union überweisen.
Ja, zumindest bis zum Ende der Übergangsfrist am 31. Dezember. Danach haben EU-Bürgerinnen und Bürger und Schweizer nicht mehr wie bisher automatisch das Recht, in Grossbritannien zu leben und zu arbeiten. Für die regierenden Konservativen war ein Ende des freien Zuzugs von EU-Bürgern eine wichtige Begründung für den EU-Austritt. Sie wollen künftig mehr hoch qualifizierte Einwanderer aus der ganzen Welt anlocken und weniger schlecht ausgebildete Arbeitskräfte aus der EU ins Land lassen. Mithilfe eines für alle potenziellen Einwanderer geltenden Punktesystems soll das erreicht werden. Ob eine Arbeitserlaubnis erteilt wird, soll dann von Kriterien wie beispielsweise Ausbildung, Alter und Berufserfahrung abhängig gemacht werden.
Das Austrittsabkommen sichert allerdings zu, dass die mehr als drei Millionen EU-Bürger und eine Million Britinnen und Briten auf dem Festland auch nach der Übergangsphase in jedem Fall so weiterleben können wie bisher. Das betrifft unter anderem ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, auf Ansprüche an die Sozialkassen und auf Anerkennung beruflicher Qualifikationen.
Premier Boris Johnson führt Grossbritannien aus der EU. Bild: AP
Ende 2018 lebten knapp 40'000 Schweizerinnen und Schweizer in Grossbritannien. Sie haben, wie die EU-Bürger, bis Ende Juni 2021 Zeit, um eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Die deutsche Botschaft in London geht davon aus, dass die Anträge in der Regel bewilligt werden, solange die Antragsteller in Grossbritannien keine schweren Straftaten begangen haben.
Für Britinnen und Briten in der EU gelten die Bestimmungen des jeweiligen Mitgliedsstaats. Die Bundesregierung ruft britische Staatsangehörige auf, sich wegen ihres Aufenthaltstitels bei den jeweiligen Ausländerbehörden zu melden.
Ja, auch für Studierende ändert sich bis Ende 2020 nichts. Sie können ihr Auslandssemester in Grossbritannien normal fortsetzen. Wer länger als bis Ende des Jahres in dem Land bleiben will, muss sich jedoch ebenfalls bis Ende Juni 2021 um eine Aufenthaltsgenehmigung kümmern. Auch britische Studierende können nach dem Brexit weiter in der Schweiz studieren.
Unklar ist, ob Grossbritannien langfristig im europäischen Austauschprogramm Erasmus bleibt. Studierende, die über das Programm ein Auslandssemester nach dem Brexit beginnen wollen, sollten bei ihren Universitäten nachfragen, ob ihr Austausch wie geplant stattfinden kann.
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Ein Städtetrip nach London oder ein Wanderurlaub in den schottischen Highlands ist auch nach einem Brexit unproblematisch. Während der Übergangszeit ist weiter eine Einreise mit Identitäskarte möglich. Auch müssen Reisende bis Ende des Jahres weiter keine Roaminggebühren zahlen. Anschliessend gelten die europäischen Roamingregeln für Grossbritannien nach aktuellem Stand jedoch nicht mehr. Für Deutsche, die aus dem Urlaub zu Hause anrufen oder mit mobilen Daten ihren Weg finden wollen, könnte es dann also teuer werden. Auch Britinnen und Briten können in der Übergangsphase visumfrei in der EU Urlaub machen.
Da Grossbritannien während der Übergangszeit Mitglied des EU-Binnenmarkts und der Zollunion bleibt, können die EU und Grossbritannien ganz normal weiter mit Whisky aus Schottland oder Salat aus Spanien handeln. Die Schweiz hat mit Grossbritannien bereits ein Handelsabkommen abgeschlossen, das den Warenverkehr regelt. Ändern wird sich für uns also praktisch nichts.
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Die Unsicherheit in den vergangenen Jahren wegen des Brexits hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern bereits belastet. Die Schweizer Exporte nach Grossbritannien sanken um knapp 2 Prozent.
Noch stärker trifft es EU-Staaten: Vor der Volksabstimmung stiegen etwa die deutschen Ausfuhren von 2010 bis 2015 noch und erreichten 2015 ihren Höchststand von 89 Milliarden Euro. 2018 wurden nur noch Waren im Wert von 82.0 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich geliefert. Von Januar bis November 2019 umfassten die deutschen Exporte nur noch 73.6 Milliarden Euro.
Betroffen sind unter anderem die Autobranche, der Banksektor sowie Unternehmen, die mit Konsumgütern handeln. Für sie hängt nun viel von der Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ab. Die andauernde Unsicherheit bezüglich der langfristigen Bedingungen dürfte die Wirtschaftsbeziehungen weiter belasten.
Als Ziel hat die britische Regierung ausgegeben, keine Zölle und mengenmässige Beschränkungen im Handel einzuführen. Doch die EU will sich darauf nur einlassen, wenn sich die Briten auch an EU-Standards in den Bereichen Umwelt, Arbeitnehmerrechte und staatliche Wirtschaftshilfen einlassen. Die EU strebt grundsätzlich eine enge Beziehung zu Grossbritannien auch nach dem Brexit an, will einem Drittstaat, der Grossbritannien dann ist, aber auch keine Wettbewerbsvorteile einräumen. Das EU-Parlament fordert, in den Verhandlungen über ein Handelsabkommen zu erwirken, dass die Freizügigkeit für EU-Bürgerinnen und Bürger auch nach der Übergangsfrist bestehen bleibt. Eine enge wirtschaftliche Partnerschaft soll demnach von entsprechenden Zugeständnissen Grossbritanniens abhängen.
Boris Johnson will eine Verlängerung der Übergangsfrist in jedem Fall vermeiden. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass es Grossbritannien und der EU gelingt, in weniger als einem Jahr ein Handelsabkommen auszuhandeln. Noch nie wurde eine solche Handelsvereinbarung mit der EU in so kurzer Zeit geschlossen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etwa hatte Bedenken geäussert, dass bis Ende 2020 alle Details der künftigen Beziehungen geregelt werden könnten. Die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten wollen im Juli über eine mögliche Verlängerung entscheiden. Die Übergangsfrist kann laut Vertrag einmal um bis zu zwei Jahre verlängert werden.
Mit der Einigung auf ein Austrittsabkommen und der erneuten Verschiebung des Brexits auf Ende Januar ist ein harter Brexit verhindert worden. Wie schwerwiegend die langfristigen Folgen für Grossbritannien ausfallen, hängt jedoch von künftigen Handelsvereinbarungen ab. Gelingt es der britischen Regierung und der EU nicht, innerhalb der Übergangszeit ein Abkommen auszuhandeln, wäre Ende des Jahres immer noch ein harter Bruch möglich – es sei denn, die Übergangsfrist wird noch mal verlängert.
Nach dem Ende der Übergangsfrist müsste der Handel nach aktuellem Stand nach den Regeln der Welthandelsorganisation ablaufen. Das würde bedeuten, dass die Aussenzölle der EU gegenüber Drittstaaten ab sofort auch für Grossbritannien gelten würden. Gleichzeitig wären Zoll- und Grenzkontrollen fällig, vor allem in den Häfen von Dover und Calais sowie an der Grenze zwischen Irland und Nordirland.
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In Umfragen sprach sich zuletzt regelmässig eine Mehrheit der Britinnen und Briten gegen den Brexit aus. Dem Meinungsforschungsinstitut YouGov sagten im November 47 Prozent der Befragten, dass sie die Entscheidung für den Brexit für falsch halten. Lediglich 41 gaben an, das Ergebnis des Referendums von 2016 weiterhin zu befürworten.
In den vergangenen Jahren war in Grossbritannien immer wieder über ein zweites Referendum diskutiert worden. Vor allem liberale Kräfte argumentierten, dass die Folgen des Brexits 2016 noch nicht absehbar gewesen seien und die Bevölkerung deshalb erneut befragt werden müsste. Mehrere Versuche proeuropäischer Abgeordneter im britischen Unterhaus, ein zweites Referendum einzuleiten, scheiterten jedoch.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften und Textabschnitte verändert. Hier geht’s zum Original.