Twitter: oft nervig, manchmal wunderschön. Dort trendete am Wochenende der Hashtag #proudboys. Dahinter verbarg sich allerdings keineswegs ein hemmungsloses Abfeiern jener faschistoiden US-Miliz, der US-Präsident Donald Trump im TV-Duell mit Joe Biden mit dem Satz «stand back and stand by» quasi befohlen hatte, sich für den Tag X bereitzuhalten. Sondern das genaue Gegenteil.
In Hunderttausenden Tweets feierten Twitter-Nutzer die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern – die sie als «Proud Boys» (dt.: «stolze Jungs») bezeichneten.
Gay Twitter is K-Popping the #ProudBoys und schafft damit einen der wohl grossartigsten -Twitter Trends in diesem ernuechternden Jahr 2020!
— Sascha (潘賞世) Pallenberg (@sascha_p) October 4, 2020
Ich feier es so ab! #Lovewins pic.twitter.com/a8eLQBsYZA
Andere User nutzen die Gelegenheit des gekaperten Hashtags und bekundeten ihrem Partner in rührenden Nachrichten die Liebe.
Ich liebe Dich mein Schatz 🥰😘 #ProudBoys pic.twitter.com/wVhApTCIdf
— 𝗗𝗥𝗘𝗛𝗠𝝝𝗠𝗘𝗡𝗧 🏳️🌈 (@Innerlich_Boese) October 4, 2020
US-Musikjournalist Eric Alper tweetete unter dem Hashtag das Foto eines US-Marines in inniger Umarmung samt Kuss mit seinem Partner.
U.S. Marine Sgt. Brandon Morgan and his partner Dalan Wells. #ProudBoys pic.twitter.com/vZ9fVkTO3d
— Eric Alper 🎧 (@ThatEricAlper) October 4, 2020
Und ZDF-Journalistin Dunja Hayali stimmte in den antifaschistischen Chor mit ein und twitterte: «Ich bin gerne Spielverderberin und mache auch mit.»
ich bin gerne spielverderberin und mache auch mit 👻
— Dunja Hayali ❤️🇩🇪🇪🇺🧠 (@dunjahayali) October 4, 2020
👏🏽 lassen sie uns #proudboys kapern! all right?#proudboys sind eine rein männliche, rechtsextreme, homophobe gruppe, die in den #usa beheimatet ist.
schwung hat sie zuletzt durch #trump bekommen „stand back and stand by“. pic.twitter.com/BHZ1V4fkeF
Die seit 2008 offen homosexuell lebende Hayali erklärte auch gleich noch, was genau an diesem Twittertrend (noch) so schön war: «Die Proudboys sind eine rein männliche, rechtsextreme, homophobe Gruppe.» Sprich, den Mitgliedern der Miliz dürfte eher wenig gefallen, was da auf Twitter am Sonntag unter ihrem Namen verbreitet wurde: ein bisschen Liebe.
Nazis, wenn sie sehen was da unter #ProudBoys los ist 😍 pic.twitter.com/yPrl9THuq8
— 𝒩𝑒𝒸𝓀𝒶𝓇𝓅𝑒𝓇𝓁𝑒 💋 (@snowwhizzl) October 4, 2020
Die Gruppe wurde 2016 vom Mitgründer und ehemaligen Kommentator von Vice Media, Gavin McInnes, als Witz in einem rechtsextremen Magazin ins Leben gerufen. Ihr Name leitet sich von dem Lied «Proud of Your Boy» aus dem Disney-Musical Aladdin ab. Die Proud Boys glauben, dass weisse Männer und die westliche Kultur bedroht seien. Ihre Ideologie beruft sich unter anderem auch auf den Verschwörungsmythos eines Völkermords an den Weissen.
Wie viele andere neurechte Gruppen berufen sie sich offiziell zwar weniger auf offen rassistische Narrative als etwa der Ku Klux Klan, sondern auf angebliche «westliche Werte». Im Ergebnis führt das jedoch zu denselben Feindbildern wie bei klassischen Rassisten und Rechtsradikalen: Muslime, Einwanderer, Frauen.
Die Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center (SPLC) stuft die Gruppierung als «Hassgruppe» ein, als islam-, einwanderungs- und frauenfeindlich sowie gewaltbereit. Mehrere Geheimdienstbehörden in den USA sehen in den Proud Boys laut dem «Guardian» eine gefährliche rassistische Organisation.
Mitglieder der Proud Boys teilen immer wieder rassistische Kommentare im Internet und nehmen an Aufmärschen rassistischer Gruppen teil. So etwa am berüchtigten Marsch von Rechtsextremen in Charlottesville im Jahr 2017. In den vergangenen Monaten traten teilweise bewaffnete Proud Boys immer wieder am Rande von Protesten der Anti-Rassismus-Bewegung Black Lives Matter in Erscheinung. Es kam zu Zusammenstössen mit antifaschistischen Aktivisten.
(pcl)