Sport
Fussball

Fussballerin Julia Stierli verzichtet fürs Studium auf ein Nati-Spiel

Swiss Julia Stierli, left, fights for the ball against France
Die 24-jährige Julia Stierli hat sich in der Nati zur Stammspielerin entwickelt.Bild: keystone

Warum eine Fussballerin fürs Studium auf ein Spiel mit der Nati verzichtet

Die Schweizer Fussballerinnen treffen in der WM-Qualifikation auf Rumänien und Kroatien. Verteidigerin Julia Stierli kann wegen ihrer Ausbildung nur im ersten Spiel dabei sein – Grund für Ärger oder schlicht die Realität?
22.10.2021, 16:2423.10.2021, 13:15
etienne wuillemin / ch media
Mehr «Sport»

4:1 gegen Litauen. 6:0 gegen Moldawien. Der Auftakt in die WM-Qualifikation ist den Schweizer Frauen geglückt. Nun folgen die nächsten Pflichtaufgaben: Rumänien und Kroatien heissen die Gegnerinnen. «Wir haben wieder sechs Punkte budgetiert – aber wir werden deswegen sicher niemanden unterschätzen», sagt Julia Stierli.

Ihre Vorfreude auf das Duell mit Rumänien ist gross. Gut möglich, dass die Innenverteidigerin heute ab 19 Uhr im Zürcher Letzigrund zum Einsatz kommt. Die 24-jährige Aargauerin, die beim FC Zürich spielt, hat sich zu einem festen Bestandteil der Nati entwickelt. In der EM-Barrage gegen Tschechien hat sie in beiden Partien durchgespielt. Die Erinnerung an die Qualifikation für die Endrunde ist Stierli auch in diesen Tagen noch präsent. «Die Momente nach dem Sieg im Penaltyschiessen waren sehr emotional, wir haben so viel Zeit und Energie für dieses Ziel investiert, dann sind Freude und Erleichterung umso grösser, wenn es klappt.»

«Nehme das weniger Positive auf mich»

Die Auslosung für die EM findet am nächsten Donnerstag statt. Zuvor geht es weiter in der WM-Qualifikation. Allein, im Gegensatz zu ihren Teamkolleginnen, kann Stierli nur das Spiel von heute bestreiten. Am nächsten Dienstag gegen Kroatien fehlt sie – wegen ihrer Ausbildung. Stierli studiert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Physiotherapie. Derzeit absolviert sie ein dreimonatiges Praktikum. Ab Montag steht sie wieder im Dienst.

Der erste Reflex: Wie ist es möglich, dass eine Fussballerin auf ein Spiel mit dem Nationalteam verzichten muss, weil sie zur Arbeit erscheinen muss? Bei Nationalspielern ist die Sorge gemeinhin ja eher, ob im Camp ein Coiffeur verfügbar ist. Stierli selbst geht pragmatisch und entspannt mit dem Thema um:

«Ich bin für jeden Tag dankbar, den ich in der Nati verbringen kann, es sind sehr wertvolle Erfahrungen. Aber im Moment ist es in der Schweiz die Realität, dass die meisten Spielerinnen arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren. Da muss man manchmal Kompromisse finden. Ich habe mich für diesen Weg entschieden, es hat mich niemand dazu gezwungen. Dann nehme ich die weniger positiven Aspekte auch auf mich.»

Auch beim Zusammenzug im November wird Stierli in der ersten Woche wieder dabei sein und danach abreisen. Womit sie beim ersten Duell mit dem Konkurrenten um den Gruppensieg und damit die direkte WM-Qualifikation – Italien – spielen kann.

Arbeit statt Fussball: Wie reagiert der Nati-Trainer?

Frage an den Schweizer Nationaltrainer Nils Nielsen: Wie denkt er darüber, wenn eine seiner Spielerinnen eine WM-Qualifikationspartie auslassen muss wegen eines Praktikums? Nielsen sagt:

«Ich habe Verständnis für Julia. Wir haben darüber gesprochen und eine Abmachung getroffen, die für uns beide sehr gut stimmt. Fussball ist nicht alles, es muss das ganze Leben stimmen. Ich bin einfach froh um jeden Tag, den sie bei uns im Nationalteam verbringt.»
Der Trainer Nils Nielsen bei einem Training der Schweizer Frauen Fussball Nationalmannschaft am Mittwoch, 7. April 2021, in Freienbach vor dem Europameisterschafts Qualifikationsspiel gegen Tschechien ...
Nationaltrainer Nils Nielsen hat Verständnis für die Absenz seiner Spielerin.Bild: keystone

Anruf bei Tatjana Haenni. Sie ist Direktorin Frauenfussball im Schweizer Verband. Und kämpft seit jeher für die Förderung des weiblichen Fussballs in der Schweiz. Logisch hat auch sie die «Personalie Stierli» umgetrieben in den letzten Wochen. «Ich gebe es gerne zu: Natürlich wäre mir am liebsten, wir müssten nie mehr darüber diskutieren, ob eine Nationalspielerin wegen ihrer Ausbildung fehlt. Nur ist die Realität in der Schweiz derzeit eine andere. Ich plädiere sehr dafür, dass unsere Spielerinnen eine Ausbildung absolvieren, denn es ist unrealistisch, dass sie nach dem Ende ihrer Karriere ausgesorgt haben. Wichtig ist, dass es für die Spielerin und den Trainer stimmt.»

Alles gut also im Schweizer Camp vor dem Auftritt gegen Rumänien. Und Stierli muss auch nicht befürchten, dass ihre Chancen auf eine EM-Teilnahme im Sommer sinken.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Gerd Müller: Leben und Karriere vom «Bomber der Nation»
1 / 22
Gerd Müller: Leben und Karriere vom «Bomber der Nation»
Der deutsche Fussball trauert um seinen bekanntesten Stürmer: Der als «Bomber der Nation» gepriesene ehemalige Goalgetter Gerd Müller stirbt am 15. August 2021. Er wurde 75 Jahre alt.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Schweizer Nationalspielerinnen über Rassismus
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
14 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
The great 8
22.10.2021 17:44registriert Oktober 2018
Das Geld ist halt nicht in allen Sportarten gleich vorhanden. Ich denke, dass Profis im "Männer" Eishockey und Fussball so ziemlich die einzigen sind, die nach der Karriere ausgesorgt haben (Teamsportarten). In vielen anderen Sportarten können oft nicht alle, an allen Spielen teilnehmen, weil sie arbeiten müssen oder einer Ausbildung nachgehen, egal ob Männer oder Frauen.
Ich sehe hier kein Problem...
513
Melden
Zum Kommentar
avatar
wilbur
22.10.2021 19:26registriert März 2019
ich verstehe diese diskussionen einfach nicht. so ziemlich jede*r mannschaftssportler*in in der schweiz, abgesehen von Männerfussball/-eishockey und evtl. -handball, kann nicht vom sport leben. wieso sollten jetzt genau die frauenfussballerinnen die armen sein, nur weil ihre männlichen pendants genug geld generieren, dass daraus ein profisport resultieren kann. so haben bspw. unihockey"profis" auch 5-6 mal die woche training/match und keiner beschwert sich.
4913
Melden
Zum Kommentar
avatar
F_A_O
22.10.2021 16:51registriert Mai 2021
Guess what? Das geht vielen SpitzensportlerInnen in Randsportarten so. Gut, dass versucht wird die Stellung von Frauenfussball zu verbessern - ob das Ziel aber sein sollte, dass Frauenfussball die selben realitätsfremden Auswüchse (Coiffeur im Camp) annimmt wie Herrenfussball sei dahin gestellt...
232
Melden
Zum Kommentar
14
Was Paris macht, damit Präsident Macron in der Seine baden kann (und alle anderen auch)
Im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris im Sommer hat sich die Bürgermeisterin zum Ziel gesetzt, die Seine «bebadbar» zu machen. Sollte das Unterfangen gelingen, will auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris schwimmen.

«Wir werden im Juli in der Seine baden», sagte Paris' Bürgermeisterin Anne Hidalgo Anfang Jahr. Nun bleiben der französischen Hauptstadt noch knapp 100 Tage für ihr tollkühnes Unterfangen, die Seine für die Olympischen Spiele herzurichten. Das erklärte Ziel ist es, den Fluss so sauber zu bekommen, dass Triathlon-Wettkämpfe darin ausgetragen werden können.

Zur Story