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Islamischer Staat (IS)

Wie der «IS» mit «JiHotties» und Social Media westliche Frauen fängt

Perfide Propaganda: Wie der «IS» mit «JiHotties» und Social Media westliche Frauen fängt

Was treibt junge Frauen aus dem Westen dazu, sich dem «Islamischen Staat» («IS») anzuschliessen? Eine Studie zeigt, nach welchem Muster die Extremisten via Social Media frisches Blut rekrutieren.
01.02.2016, 09:1102.02.2016, 12:15
Philipp Dahm
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Er war der erste «Jihottie»: Nachdem Dschochar «Jahar» Zarnajew mit Bruder Tamerian im April 2013 eine Bombe beim Boston Marathon platzierte, verguckten sich einige US-Teenager in den Terroristen. Dass drei Menschen starben und 264 verletzt wurden, konnte die Verehrerinnen des jungen Mannes nicht beirren.

Die New York Post berichtet im Mai 2013 über das Phänomen «Jihittie».
Die New York Post berichtet im Mai 2013 über das Phänomen «Jihittie».

Während die Teenager der #FreeJahar-Bewegung mittlerweile vielleicht zur Besinnung gekommen sind, ist der Begriff «Jihottie» geblieben: Heute sind damit junge Männer gemeint, mit denen Frauen aus dem Westen in die Gebiete des «IS» gelockt werden.

Von 4000 Westlern beim IS sind 550 Frauen

Das Versprechen auf einen «rechtschaffenden» Ehemann ist aber bloss ein Mittel, mit dem die Propaganda der Terroristen arbeitet: Wie der «IS» gezielt junge Muslimas aus dem Westen ins Visier nimmt, zeigt eine ausführliche Studie mit dem Titel Bis dass der Märtyrertod uns scheidet. Sie zeigt, dass Social Media ein wichtiges Werkzeug für die Rekrutierung und die Probleme mit den Betroffenen auch hausgemacht sind.

Der Anteil der Frauen unter den Legionären ist überraschend hoch: Von geschätzt 4000 Personen aus dem Westen, die sich dem «IS» angeschlossen haben, sind 550 weiblichen Geschlechts, heisst es in der Studie. Die Frauen erfüllen dort ganz besondere Aufgaben: Eine davon ist, über Facebook, Twitter, Tumblr oder Websites wie Ask mit ihren «Schwestern» zu kommunizieren und sie von der Sache der Terroristen zu überzeugen.

Was treibt die westlichen Frauen an?

Ein Screenshot vom (gesperrten) Twitter-Account von @bintlad3n: «Ihr modernen Muslime könnt mit den Ungläubigen so viel sympathisieren wie ihr wollt, doch am Ende werden sie trotzdem euch die Schuld g ...
Ein Screenshot vom (gesperrten) Twitter-Account von @bintlad3n: «Ihr modernen Muslime könnt mit den Ungläubigen so viel sympathisieren wie ihr wollt, doch am Ende werden sie trotzdem euch die Schuld geben und wie uns als Terroristen bezeichnen.»
Auch der Account vom @UmmYaqiin ist inzwischen gesperrt: «Das Töten unschuldiger Muslime ist nicht bloss ein vom Westen tolerierter Kollateralschaden, sondern wird von ihm gesteuert.»
Auch der Account vom @UmmYaqiin ist inzwischen gesperrt: «Das Töten unschuldiger Muslime ist nicht bloss ein vom Westen tolerierter Kollateralschaden, sondern wird von ihm gesteuert.»
  • Das Gefühl einer sozialen und/oder kulturellen Isolation: Die Betroffenen gehören oft ethnischen Minderheiten an und leben in zweiter oder dritter Generation im Westen. Sie hinterfragen die eigene Identität und ob sie zum westlichen Kulturkreis gehören.
  • Die Medien tragen eine Mitschuld daran, wenn sie Muslime stigmatisieren und durch sensationslüsterne Schlagzeilen Vorurteile verstärken.
  • Das Gefühl, die islamische Gemeinschaft werde verfolgt: Auf der emotionalen Ebene wird das etwa durch das Teilen von Fotos von Kindern ausgedrückt, die angeblich wegen westlicher Bomben leiden. Auf der Verstandesebene wird eine historische Linie vom Osmanischen Reich über ethnische Säuberungen in Bosnien bis hin zum Nahost-Konflikt gezogen.
  • Wut, Traurigkeit und/oder Frustration über die gefühlte Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft gegenüber dieser Verfolgung: Der «IS» fördert die «Wir gegen die»-Sichtweise, kultiviert und kanalisiert die Wut. Ein Beispiel wäre, dass niemand gegen die Angriffe von Assad auf syrische Zivilisten vorgegangen ist. Gerade Frauen entwickeln Mitleid für die Opfer des Regimes.

Was zieht die westlichen Frauen an?

Schwesternschaft, wie sie in der «IS»-Propaganda dargestellt sind – dabei haben Frauen in deren Armee gar nichts zu suchen. 
Schwesternschaft, wie sie in der «IS»-Propaganda dargestellt sind – dabei haben Frauen in deren Armee gar nichts zu suchen. 
bild via news
  • Aufbau einer utopischen Gesellschaft: Nachdem der IS 2014 sein «Kalifat» in Syrien und im Irak ausgerufen hat, wurden Frauen aufgefordert, in dieser Gesellschaft ihren Platz als Ehefrauen und Mütter einzunehmen. Sie sollen die nächste Generation heranbilden, die in dem Utopia leben darf.
  • Zugehörigkeitsgefühl und «Schwesternschaft»: Dieser Faktor ist laut der Studie besonders wichtig für viele Frauen, die sich in ihrer eigenen Umgebung als «anders» empfinden. Der Oberflächlichkeit der Beziehungen im Westen wird die Vision von Kameradschaft und Verbundenheit entgegengesetzt.
  • Romantisierung: Viele der Frauen, die die «Hijra» in «IS»-Gebiet antreten, sind jung: Die jüngste bekannte Migrantin war erst 13. Die Aussicht, in die Welt hinauszugehen und neue Orte kennenzulernen trägt ebenso zu der Entscheidung bei wie die Aussicht auf eine bedeutungsvolle Partnerschaft. Westlichen Migrantinnen wird nahegelegt, sich schon vor der Abreise um eine Beziehung zu kümmern.
  • Die Beziehung zu einem Jihadisten wird heftig glorifiziert. Ein Beispiel ist die Stilisierung als Löwe und Löwin auf Bildern im Web. Doch wichtiger ist: Die Hochzeit markiert den Übergang vom Kind zur Frau, die ihre vorherbestimmte Rolle in der «IS»-Gesellschaft übernimmt – und in der es als besondere Ehre und Privileg gilt, wenn der Mann dieser Frau als Märtyrer stirbt.
Tweet aus einem «IS»-Feldhospital, wo «Löwen der Umma», der muslimischen Gemeinschaft, versorgt werden.
Tweet aus einem «IS»-Feldhospital, wo «Löwen der Umma», der muslimischen Gemeinschaft, versorgt werden.
bilv via memri
CNN berichtet über das «Jihottie»-Phänomen
YouTube/CNN

Weil Frauen im Kalifat die nächste Generation sichern müssen, haben Frauen bei der Rekrutierung auch eine eigene Stimme. Die Migrantinnen aus dem Westen, die beim «IS» angekommen sind, spielen eine Vorreiterolle, wenn es darum geht, weitere Neue in den Nahen Osten zu locken. Die Botschaft: Frauen werden bei uns wertgeschätzt.

Dabei ist die Propaganda nicht ohne Weiteres erkennbar und wandert auf dem schmalen Grat zwischen Frömmigkeit und Extremismus – die Ideen könnten so auch von sehr gläubigen Christen formuliert werden.

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Wie westliche Frauen für den «IS» Frauen aus dem Westen ködern
Nein, wie herzig! Die gute Frau umsorgt ihren rechtschaffenen Mann. So weit, so harmlos – würde das Sujet nicht von einer Facebook-Seite stammen, auf der Frauen aus dem Westen für den «IS» geködert werden sollen.
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Posierender IS-Kämpfer.
Posierender IS-Kämpfer.
Bild: imgur

Unter dem Mantel der Harmlosigkeit werden via Social Media Frauen im Westen gezielt angesprochen und auch mit dem Versprechen auf einen Mann gelockt, wie drei Einzelbeispiele zeigen. So wie bei Salma und Zahane Halane aus der Gegend von Manchester, die ihrem 21-jährigen Bruder gefolgt sind und im Juli 2014 mit 16 Jahren über Istanbul bis Syrien migrierten.

Die «Terror Twins»

Von dort aus machen sie über wechselnde Twitter- und Instagram-Acoounts Werbung für die Sache des «IS» – den Jihad. Beide werden nach wenigen Wochen verheiratet und raten auf der Plattform Ask Frauen und Mädchen dazu, sich wie sie mit einem Fremden verkuppeln zu lassen. Die britische Presse nennt sie «Terror-Zwillinge» und stachelt mit der Berichterstattung über die «Jagd nach den flüchtigen Dschihad-Bräuten» (Daily Mail) das Image einer Art feministischen IS-Kämpferin an.

Beziheungsberatung bei Ask.com
Beziheungsberatung bei Ask.com

Salma wie Zahane verlieren im Dezember 2014 ihre Ehemänner – die Zwillinge preisen beide dieses Ereignis in sozialen Medien und glorifizieren ihren neuen Status als Witwen von «»Märtyrern.

Oben: «Erstaunlich, wie die Gemeinschaft für Frauen von Märtyrern sorgt, [...] so eine Behandlung würdest du in der Welt der Ungläubigen nie sehen.»Unten: «Gerade als Frau eines Märtyrers. Der Islamis ...
Oben: «Erstaunlich, wie die Gemeinschaft für Frauen von Märtyrern sorgt, [...] so eine Behandlung würdest du in der Welt der Ungläubigen nie sehen.»
Unten: «Gerade als Frau eines Märtyrers. Der Islamische Staat behandelt uns mit soooo viel Liebe und Respekt. Das kann man nicht erklären.»
Zahanea Mann Ali Kalantar wird am 4. Dezember im Irak getötet. 
Zahanea Mann Ali Kalantar wird am 4. Dezember im Irak getötet. 
«Geehrt, eine Auserwählte zu sein»: Salma macht den Tod ihres Mannes öffentlich, der eine Woche zuvor bei einem Luftangriff ums Leben kam.
«Geehrt, eine Auserwählte zu sein»: Salma macht den Tod ihres Mannes öffentlich, der eine Woche zuvor bei einem Luftangriff ums Leben kam.

Die Australierinnen

Andere Frauen wie Zehra Duman reisten allein von Australien zum «IS» und fand dort Landsleute wie Tara Nettleton und Zaynab Sharrouf. Letztere kam mit 13 Jahren mit ihrer Familie ins Kalifat, wurde mit 14 verheiratet und Zweitfrau von Mohammet Elohim, der sich auch jesidische Sklaven hält. Zaynab tweetet selbst ein Foto eines gefangenen Jungen.

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Auch Zehra heiratet schnell, verliert ihren Mann aber nach fünf Wochen. Auch sie glorifiziert den Tod ihres Mannes, «berät» online Frauen im Westen und verbreitet das Bild der frauenfreundlichen IS.

«Bis wir uns im Paradies wiedervereinigen»: Zehras «Todesanzeige» auf Twitter.
«Bis wir uns im Paradies wiedervereinigen»: Zehras «Todesanzeige» auf Twitter.

Im März 2015 laden die australischen Frauen Bilder bei Twitter mit einem BMW hoch. Der Text: «Chillen im Kalifat, lieben das Leben».

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Die «Australische Fraktion» beim IS.
Die «Australische Fraktion» beim IS.

Shams, die IS-Ärztin

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Shams bildet eine Ausnahme: Sie ist nicht nur Mutter und Witwe, sondern arbeitet als Ärztin. Nachdem sie über Malaysia in «IS»-Gebiet eingewandert ist, hat sie es nach zwei Monaten Leid, sich nicht ohne männlichen Begleiter bewegen zu können und heiratet. Ihre Erlebnisse dokumentiert sie im Facebook-Blog «Paradiesvogel» (Bird of Jannah).

Das «Tagebuch einer Dschihad-Braut» wird auch dank Medien wie Daily Mail und BuzzFeed bekannt und ist auch heute noch in abgewandelter Form online.

Ein von @muslimrevert07 gepostetes Foto am

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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Don Quijote
01.02.2016 10:14registriert April 2015
Sehr spannender Artikel, vielen Dank!

Und trotzdem frage ich mich, wie der BMW mit den EU-Kennzeichen (Frankreich?) den Weg ins Kalifat fand...
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Str ant (Darkling)
01.02.2016 12:36registriert Juli 2015
Es ist ein bekannter Faktor das Frauen auf Bad Boys fliegen egal wie sehr das dementiert wird.
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zombie woof
01.02.2016 16:10registriert März 2015
Zeigt einmal mehr, wie einfach der Mensch funktioniert.
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Nicht nur am Gotthard – wo es an Ostern im In- und Ausland sonst noch staut
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