Wenn alles seinen gewohnten Gang nimmt, dann werden die ZSC Lions die Qualifikation und den Titel gewinnen. Sportchef Sven Leuenberger hat aus einem Meisterteam den beinahe perfekten Titelverteidiger gemacht. Aber bei den ZSC Lions nimmt selten alles seinen gewohnten Gang.
Wie machen wir aus einem Meister einen perfekten Titelverteidiger? Erstens verstärken wir die Mannschaft, ohne die Hierarchie, die Kerngruppe anzutasten. Zweitens sorgen wir mit einem Trainerwechsel dafür, dass sich jeder wieder «zeigen» muss und keiner sich auf den Lorbeeren ausruhen kann.
Es ist durchaus kein Zufall, dass die zwei einzigen Titelverteidigungen in diesem Jahrhundert nur dank umstrittenen Trainerwechseln möglich geworden sind: Larry Huras verteidigte 2001 in Zürich den Titel, den Kent Ruhnke geholt hatte und Kari Jalonen 2017 in Bern Lars Leuenbergers meisterlichen Triumph aus dem Jahre 2016. Und nun obliegt es dem Kanadier Serge Aubin, das meisterliche Erbe von Hans Kossmann zu wahren.
So wie die Dinge liegen, wird die Titelverteidigung ein Sonntagsspaziergang («A Walk in the Park»). Sonntagsspaziergang? Gegen eine solche Einschätzung verwahren sich Sportchef Sven Leuenberger, Manager Peter Zahner und Cheftrainer Serge Aubin. Im letzten Frühjahr ist es dem neuen ZSC-Trainer nicht einmal in der Hockey-Operettenstadt Wien gelungen, den Titel zu verteidigen. Sven Leuenberger hat in Bern gar miterlebt, wie der SCB im Frühjahr 2014 als Titelverteidiger die Playoffs verpasst hat. Und unter der Oberaufsicht von Peter Zahner war der ZSC nicht dazu in der Lage, die Titel von 2012 und 2014 zu verteidigen.
Item, es ist wie es ist. Mit dieser Mannschaft, die schon letzte Saison die nominell beste der Liga war und jetzt noch hochkarätig verstärkt worden ist, wäre alles andere als eine souveräne Titelverteidigung Versagen. Zumal Eishockey in Zürich, anders als in Bern, nicht Staatsreligion ist: die ZSC Lions können es sich leisten, kräfteschonend durch die Qualifikation zu surfen, auf ein paar Niederlagen mehr oder weniger zwischen September und Februar kommt es nicht an. Der SCB hingegen, der grösste Herausforderer, ist dazu verurteilt, schon ab September Vollgas zu fahren und seine Stars zu stark zu belasten.
Die ZSC Lions sind also eine grosse Mannschaft. Aber eine grosse Mannschaft braucht einen grossen Trainer. Eine zentrale Frage ist also, ob Serge Aubin ein grosser Trainer ist.
Wir wissen es noch nicht. Bisher hat er nur in der Operettenstadt Wien eine Meisterschaft gewonnen. Aber eines wissen wir: Die ZSC Lions sind besser geworden. Sie waren bereits so robust und kampfstark, dass sie im letzten Frühjahr ohne Robert Nilsson triumphierten. Ein Jahr zuvor galt der Ausfall des schwedischen Schillerfalters noch als Ausrede für das Scheitern im Viertelfinale.
Zudem sind die Ausländerpositionen besser besetzt. Roman Cervenka wird, weil er nicht mehr ein Leitwolf sein muss, zum Tanze aufspielen. Und Denis Hollenstein und Simon Bodenmann verleihen der Mannschaft auf den Aussenbahnen Flügel. Alles ist da, um die Qualifikation und den Titel zu gewinnen.
Aber eben: Wenn wir bloss wüssten, ob Serge Aubin der grosse Trainer ist, den diese grosse Mannschaft braucht.
Der neue ZSC-Trainer hatte sich bereits in Kloten beworben, aber Pekka Tirkkonen bekam den Job. Er musste mit Wien vorliebnehmen – und das dürfte seine Trainerkarriere gerettet haben. Er wurde 2017 Meister und nun hat der ehemalige NHL-Stürmer nur fünf Jahre nach seinem Rücktritt als Spieler einen der begehrtesten Jobs des europäischen Hockeys bekommen.
Serge Aubin fehlt die sozialromantische Arbeiterklassengeschichte seines Vorgängers Hans Kossmann, dem einstigen zweitklassigen Rumpelstürmer, der im Hallenstadion schon fast wie im Märchen zum strahlenden Meisterhelden aufgestiegen ist. Aber die calvinistisch-protestantische Arbeitseinstellung des neuen ZSC-Trainers ist durchaus mit Kossmanns Hockey-Philosophie vergleichbar. Es ist beiden Männern nicht möglich, länger als fünf Minuten zu reden, ohne den Lieblingsausdruck jedes Nordamerikaners: «hard work». Und Serge Aubin sagt, er habe darüber nachgedacht, Polizist zu werden, wäre es nichts geworden mit dem Eishockey. Keine Frage: Er wird seine Jungs aus der Komfortzone scheuchen. Und zum Anstellungsgespräch flogen Unternehmer und ZSC-Verwaltungsrat Peter Spuhler, Manger Peter Zahner und Sportchef Sven Leuenberger nach Wien. Um nach dem Debakel mit den gescheiterten schwedischen Hockey-Ideologen Hans Wallson und Lars Johansson den Trainerkandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen.
Sollte Serge Aubin doch ein Verlierer sein, dann haben wir reichlich Stoff für eine Polemik.
Ja. Die ZSC Lions haben sechs Verteidiger und neun Stürmer, die bei jeder anderen Mannschaft gute Chancen auf einen Platz im ersten Sturm und im ersten Verteidigerpaar hätten. So viel Talent wie im Hallenstadion hat kein anderer Trainer zur Verfügung. Die ZSC Lions haben also zu viele Häuptlinge. Weil ja im ersten Block nur zwei Verteidiger und drei Stürmer Platz haben. Was eine Mannschaft «uncoachbar» machen kann. Das muss beim Meister allerdings nicht so sein. Spielerisch gibt es zwar zu viele Häuptlinge. Aber die Egos sind nicht so gross, dass nicht alle in der Kabine Platz haben. Die ZSC Lions sind für einen guten Trainer verhältnismässig leicht zu führen – und für einen grossen Trainer erst recht. Woraus wir sehen: Läuft es nicht, liegt es an Serge Aubin.
Die ZSC Lions werden zwar ab und zu unerwartet verlieren und Stoff für diese oder jene Polemik liefern. Obwohl die Dinge im Hallenstadion selten den erwarteten Verlauf nehmen, so können wir eine tiefe, echte Krise wie letzte Saison ausschliessen. Die Zürcher werden die Qualifikation auf einem der ersten vier Plätze belegen und wenn Torhüter Lukas Flüeler gesund bleibt, den Titel verteidigen.
Die bange Frage in Bern: Sind Trainer Kari Jalonen und Torhüter Leonardo Genoni dazu in der Lage, die Playoff-Herrlichkeit von 2017 zurückzubringen?
Genoni war im Playoff-Halbfinale weniger gut als Lukas Flüeler und das Charisma der Unbesiegbarkeit des grossen Bandengenerals Jalonen erlosch. Was nun? Scheiterte der SCB als Titelverteidiger gegen die ZSC Lions bloss an der Unberechenbarkeit eines Spiels auf rutschiger Unterlage, die wir Glück und Pech nennen? Oder ist der SCB selbst mit Leonardo Genoni und Kari Jalonen nicht mehr meisterlich?
Der SCB muss «husen» (sein Geld gut einteilen, sparen). Die Transferbilanz ist daher höchstens neutral. Es gibt keine «Königstransfers». Die Ausländerpositionen sind ungefähr gleich gut besetzt. Aber das ausländische Personal kann den SCB nicht zum Titel tragen. Der Torhüter und der Trainer müssen die Differenz machen.
Kari Jalonen kann Meister. 2017 ist er Meister geworden. Im letzten Frühjahr nicht mehr. Das ist kein Grund zur Kritik, provoziert aber die Frage: Hat er versagt? Nein. Sein einziger Fehler war es, dass er die Zusatzbelastung seiner Spieler durch das missglücke olympischen Abenteuer unterschätzt hat. Kari Jalonen und Leonardo Genoni haben die meisterliche Magie nicht verloren. Der SCB kann im nächsten Frühjahr den Titel holen.
Der Finne ist in Bern nach der missglückten Titelverteidigung sowieso mächtiger denn je. Sein Wort ist in den Büros von Marc Lüthi und Sportchef Alex Chatelain «Gospel» (= absolute Wahrheit). Das ist für den SCB nicht ganz unproblematisch. Inzwischen hat Kari Jalonen seine Freunde nach Bern geholt und der SCB beschäftigt nebst dem Cheftrainer auch zwei Assistenten und einen Torhütertrainer aus Finnland: Mikko Haapakoski, Samuel Tilkanen und Aki Näykki. Es wäre kein Wunder, wenn sich Marc Lüthi auf einmal intern Markko Lütiläinen nennen würde.
Alles Kari, oder was? Jedenfalls bestimmt der Trainer inzwischen auch die Transferpolitik: wer vom gestrengen Bandengeneral für die höchste Liga gewogen und als zu leicht befunden wird, hat keine Chance mehr. Der SCB hat in der «Ära Jalonen», die noch mindestens bis 2020 dauern wird, eine ganze Reihe von jungen Spielern verloren, weil sie in Bern keine Perspektive mehr gesehen haben: Samuel Kreis, Dario Meyer, Luca Hischier und Marco Müller und andere sind deswegen nicht gekommen. Kari Jalonen ist in Bern zu mächtig geworden.
Nein, aber … Gleich neun (!) wichtige Spieler sind 30 oder älter: Leonardo Genoni, Eric Blum, Beat Gerber, Justin Krueger, Mark Arcobello, Matthias Bieber, Andrew Ebbett, Jan Mursak und Thomas Rüfenacht. Der SCB ist mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren das älteste Spitzenteam. Das ist eigentlich kein Grund zur Beunruhigung. Ganz im Gegenteil. Erfahrung spielt in den Playoffs eine wichtige Rolle.
Und doch gibt es ein «aber». Der SCB kann es sich nicht leisten, in der Qualifikation die Kräfte zu schonen. In Zürich oder Lugano spielen ein paar Niederlagen mehr oder weniger keine Rolle so lange eine Position in den «Top 4» nicht in Gefahr ist. In Bern aber ist Eishockey «Staatsreligion». Die grösste Zuschauerkulisse ausserhalb der NHL will Unterhaltung. Die Zuschauereinnahmen und die Konsumfreude der zufriedenen Matchbesucher sind für den SCB wirtschaftlich von zentraler Bedeutung. Anders als die ZSC Lions, Zug und Lugano können die Berner im Falle eines Falles nicht auf Milliardärinnen oder Milliardäre zählen, die einen Fehlbetrag in der Jahresrechnung ausgleichen.
Einerseits ist der SCB in der Qualifikation dazu verurteilt «Vollgas-Unterhaltung» zu bieten und andererseits sollten die Kräfte im Hinblick auf die Playoffs gut verwaltet werden. Das ist eine Quadratur des Kreises, die dem kompromisslosen Erfolgstrainer Kari Jalonen einiges Kopfzerbrechen bereiten wird. Denn er ist nicht bereit, Verantwortung an junge Spieler zu übertragen und misstraut grundsätzlich jedem unter 25 und ohne Bartwuchs.
Der SCB wird bis zur Spengler Cup-Pause in der Qualifikation mindestens auf Platz zwei stehen und von einer Krise verschont bleiben. Kommen die Berner in der Champions League bis ins Halbfinale oder Finale, dann kann im Februar ein Abrutschen folgen – aber nicht weiter als bis Platz vier.
Lugano nähert sich wieder dem nationalen Gipfel. Oder doch nicht? Ein Absturz kurz vor dem Erreichen der meisterlichen Höhen ist auch möglich.
Der Tiefpunkt vor sieben Jahren (10. Platz/Playouts) ist längst überwunden und Lugano wieder ein sportlicher Titan. Zwei Finals in den drei letzten Jahren. Und im letzten Frühjahr ging der Titel erst im 7. und letzten Finalspiel auf eigenem Eis gegen die ZSC Lions verloren. So nahe war Lugano der nächsten Krönung nach dem letzten Titel von 2006 nie mehr gewesen. Sportliche Morgenröte über Lugano. Der nächste Titel ist nicht mehr fern.
Aber im nächsten Sommer wechselt Elvis Merzlikins in die NHL. Ohne den Kultgoalie kann Lugano seine sportliche Renaissance nicht mehr mit einem Titel krönen. Wenn Lugano wieder Meister werden will, dann muss es im nächsten Frühjahr sein. Vielleicht ist es auf Jahre hinaus die letzte Titelchance. Aber im Herbst 2018 sieht es eher nach Götterdämmerung als nach meisterlicher Morgenröte aus.
Der Schlüssel zum Erfolg ist die Bewahrung der neuen Bescheidenheit. Unter Greg Ireland, dem taktischen Buchhalter mit Autorität aber ohne Charisma hat Lugano der Glanz-und-Gloria-Vergangenheit («Hockey unter Palmen») und dem spielerischen Egoismus abgeschworen.
Der Nothelfer, der im Januar 2017 das Amt von Doug Shedden übernommen hat, ist der grosse Erneuerer Luganos geworden. Der kluge, belesene Kanadier mit einem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium absolviert an der Prestige-Universität Cornell zurzeit Fernkurse in Psychologie um die Herausforderung Lugano noch besser meistern zu können. Er ist Luganos gebildetster Trainer sei John Slettvoll und hat durchgesetzt, dass wieder die Leistung das Mass aller Dinge ist – und nicht mehr die Nähe zur Präsidentin, das Salär oder vergangener Ruhm. Er behandelte selbst Stars wie Linus Klasen gleich wie einen Nachwuchsspieler.
Greg Ireland hat mit diesem Führungsstil viel riskiert. In Lugano haben eigentlich die Spieler und nicht der Trainer das Ohr von Präsidentin Vicky Mantegazza. Aber auch sie hat erkannt, dass der Erfolg nur mit einer neuen Kultur zu haben ist. Inzwischen hat sich Greg Ireland eine so starke Position geschaffen wie seit John Slettvoll kein anderer Coach. Als Lugano nach der Halbfinal-Qualifikation von 2017 verlängern wollte, stellte der Kanadier seinen Rücktritt in den Raum und sagte: «Entweder machen wir es von nun an auf meine Art oder gar nicht.» Er hat weitreichende Kompetenzen erhalten, und als es letzte Saison zum offenen Konflikt mit Damien Brunner kam, musste der Spieler und nicht der Trainer gehen.
Bescheidenheit ist also eingekehrt und aus einer losen Interessengemeinschaft von Jungmillionären ist letzte Saison eine verschworene Einheit geworden. Aber die bange Frage ist, ob es Trainer Greg Ireland weiterhin gelingt, den Frieden in der Kabine zu wahren und seine Prinzipien durchzusetzen.
Die Ruhe um die Chefposition kann in Lugano so unverhofft zu Ende gehen wie eine föhnige Schönwetterlage. Lugano ist deshalb beides: einerseits ein Kandidat für einen Spitzenplatz in der Qualifikation und andererseits in Gefahr, in eine veritable Krise zu geraten. Es ist offen, ob am Himmel über Lugano eine meisterliche Morgenröte oder eine Götterdämmerung heraufziehen wird.
Nein. Auf den ersten Blick scheint klar: Romain Loeffel (er kommt von Servette) kann Philippe Furrer (er wechselt zu Gottéron) bei weitem ersetzen. Er hat in den letzten vier Jahren immer mehr als 30 Punkte produziert, in den drei letzten Jahren nur zwei Spiele verpasst und ist erst 27. Furrer hat in den drei Jahren in Lugano nie mehr als 20 Punkte gebucht, in der Qualifikation 40 Partien verpasst und ist schon 33. Und doch ist die Sache so eindeutig nicht. Philippe Furrer hatte bei seiner Ankunft im Sommer 2015 das Klima in der Kabine verändert. Er spielte bei der Renaissance – zwei Finals in drei Jahren – eine zentrale Rolle. Es ist keineswegs sicher, dass es ohne ihn gelingen wird, die Kultur der neuen Bescheidenheit zu wahren.
Das Krisenrisiko ist bei Lugano im Quadrat grösser als beim SC Bern und den ZSC Lions, den beiden anderen Titanen. Das Potenzial zum Spitzenplatz steht ausser Frage. Aber der Friede in der Kabine ist zerbrechlich und ein Trainerwechsel ist nicht auszuschliessen.