Der Glanz früherer Tage ist in der Patinoire des Mélèzes längst verblasst. Bild: KEYSTONE
Längst ist der einstige Serienmeister HC La Chaux-de-Fonds von der grossen Bühne verschwunden. Aber die letzte ganz grosse Dynastie unseres Hockeys vermag auch in der zweithöchsten Liga zu faszinieren.
Michel Turler! Vor dem Einlaufen pflegte er den Helm sorgsam auf der Spielerbank zu deponieren. Sein fein frisiertes Haar wehte beim Aufwärmen im Fahrtwind. Einer der elegantesten Schweizer Spieler aller Zeiten. Das ist eine meiner frühesten Hockey-Erinnerungen.
Michel Turler (r.) mit seinem wehenden Haar. bild: rjb.ch
Der grosse HC La Chaux-de-Fonds ist bis heute unerreicht geblieben. Sechs Titel in Serie. Man muss die Zahlen nacheinander schreiben, um die ewige Grösse dieses Hockeyunternehmens zu erfassen: Meister 1968, 1969, 1970, 1971, 1972 und 1973. Im Hockey (nicht im Fussball!) von heute unvorstellbar.
Der HC La Chaux-de-Fonds war um 1970 das Mass aller Dinge im Schweizer Hockey. Bild: KEYSTONE
Das wunderbare Dress war eine Kopie des Emblems und der Farben der Montreal Canadiens. Spielertrainer Gaston Pelletier hatte die Idee. Der HC La Chaux-de-Fonds, die eidgenössische Antwort auf die Montréal Canadiens. Michel Turler die Antwort auf Guy Lafleur, Gérald Rigolet der Ken Dryden aus dem Jura und Gaston Furrer eine Westentaschen-Version von Serge Savard.
Nur ein Zufall der Geschichte, dass auch die Montréal Canadiens ihre letzte Dynastie in den 1970er Jahren mit den Stanley Cups von 1976, 1977, 1978 und 1979 hatten? Leider, leider darf La Chaux-de-Fonds die Farben der Canadiens nicht mehr tragen. Die Kanadier haben interveniert.
Was ist geblieben vom ewigen Ruhm? Eine Reise hinauf nach La Chaux-de-Fonds ist eine Zeitreise. In die Ruinen des Ruhmes. Die Fahrt ist jetzt nicht mehr so beschwerlich wie damals in den 1970er-Jahren. Von Neuenburg führt eine Autobahn hinauf. Oben ist es bitter kalt. Schnee liegt in der Stadt. Eiskalter Wind. Tiefer Winter. Minus 6 Grad. Mindestens.
Patinoire des Mélèzes ist mehr Provisorium als moderne Eishalle. Bild: Google Maps
Die Zeit ist stehen geblieben. Noch immer werden die Autos in den Quartierstrassen parkiert. Auch wenn gegen NLB-Meister Langenthal 1853 Fans kommen – wer erst eine Stunde vor Spielbeginn hier ist und sich nicht auskennt, braucht mindestens eine Viertelstunde, um irgendwo einen Platz für seine Benzinkutsche zu finden. So war es schon in den 1970er Jahren.
Der Trainer heisst wieder Pelletier. Serge Pelletier. Er kommt wie der legendäre Gaston Pelletier aus Montréal, und auch er hat inzwischen den Schweizer Pass bekommen. Verwandt sind die beiden nicht. Gegen Langenthal steht Serge Pelletier (ex Fribourg, Zug und Ambri) erstmals an der Bande.
Serge Pelletier ist der neue Bandengeneral des HCC. Bild: KEYSTONE
Der Hockeytempel hat inzwischen den freundlichen Charme eines ewigen Provisoriums. An allen Ecken und Enden ist ein bisschen an- und umgebaut worden. Logen aus billigem Holz über den Sitzplätzen auf der Längsseite. Werden die Türen zugeknallt, fällt wohl alles auseinander. Hier oben wird sogar in einer Art Feldküche Fondue gekocht. Brandschutzvorschriften sind etwas für Warmduscher.
Die Patinoire des Mélèzes ist eine der letzten Arenen mit wahrem Charakter und dem Groove aus der Zeit, als die Erde noch eine Scheibe, das Fernsehen schwarz-weiss und Eishockey eine reine Leidenschaft war. Ein Hybridstadion zwischen Funktionalität und Museum. Eine Ruine des Ruhmes.
Moderne Tribünen sehen wahrlich anders aus. bild: screenshot youtube
Hier wird Eishockey noch gelebt. Auch durch das Maskottchen. Eine freundliche, fleissige Biene. Es nimmt zwischendurch den Bienenkopf ab, setzt sich mit gefalteten Flügeln auf eine Bank und spielt mit dem Handy.
Der Fan-Shop des HCC. Bild: Google Maps
Wer gut hinschaut, zwischen den Streben, Werbetafeln und Werbebannern hindurch, entdeckt die Leibchen mit den zurückgezogenen Nummern. Ach, es sind noch die wunderbaren in den Farben der Montreal Canadiens: Die Nummer 10 von Michel Turler, die Nummer 17 von Gaston Pelletier, die Nummer 2 von René Huguenin, die Nummer 14 von Guy Dubois. Ja, hier hängt die Arbeitskleidung wahrer Helden unter dem Dach.
René Huguenin präsentiert 1971 den Meisterpokal. Bild: KEYSTONE
All das passt zum HC La Chaux-de-Fonds. Seit der Klub im Jahre 2001 die höchste Liga nach 1980 und 1998 zum dritten Mal verlassen hat, ist das ruhmreiche Hockeyunternehmen sportlich eine ewige Baustelle.
Eine Rückkehr in die höchste Liga ist im Zeitalter des Hockey-Kapitalismus keine Option mehr. Ein Budget von über 5 Millionen ist nicht mehr realistisch. Das höchste Glück wäre ein NLB-Titel im Frühjahr 2019 zum 100-Jahre-Jubiläum. Aber das wird schwer. Letztmals erreichten die Neuenburger 2009 das Finale und jetzt geht es nach dem Trainerwechsel erst einmal um die Rückkehr zur sportlichen Stabilität und eine sichere Qualifikation für die Playoffs.
Aber der HC La Chaux-de-Fonds lebt. Die Leidenschaft brennt. Gerade weil die Playoffs Jahr für Jahr ewiges Scheitern bringen, gilt: hier sehen wir das letzte wahre welsche Team, das noch die längst untergegangene Tradition des brotlosen Champagner-Hockeys pflegt. Es ist wie das Parfum des alten Ruhmes und passend dazu der General Manager. Der freundliche, charmante und weit gereiste Selbstdarsteller Gérard Scheidegger (52), ehemals Bürogeneral in Biel, Davos, Langnau und Lausanne. Einer der verkannten, grossen Macher unseres Hockeys. Immer wenn er einen Klub verlassen hat, ging es dort aufwärts. Vielleicht ja auch einmal in La Chaux-de-Fonds.
Gérard Scheidegger (r.) 2008 im Gespräch mit Terry Yake. Bild: KEYSTONE
Das Team führt auf dem Eis ein Sohn aus der Stadt. Loic Burkhalter (35). Nach einer Tour des Suisse (Ambri, Lakers, Langnau, Davos, Biel) spielt er jetzt wahrscheinlich sein bestes Hockey. Er ist noch etwas langsamer geworden. Mehr Stehgeier als Durchreisser. Aber er dominiert alle drei Zonen in lichten Momenten als Center wie es nur grosse Spieler vermögen, und er wird im Penaltyschiessen gegen NLB-Meister Langenthal souverän treffen. La Chaux-de-Fonds gewann mit 4:3 nach Penaltys.
Vorläufig amtiert noch Christian Weber (53) als Sportdirektor. So etwas wie ein Roland Habisreutinger des armen Mannes, aber mit viel Hockey-Verstand. Einer der grossen Stürmer der 1980er- und 1990er-Jahre. Meister mit Davos, als Trainer mit den ZSC Lions im Finale. Aber seit «sein» Trainer Alex Reinhard gescheitert und gefeuert ist, schwillt die Polemik an. Zumal der Zürcher der welschen Sprache nicht mächtig ist und mit den Chronisten, die nicht Deutsch verstehen, in Englisch parliert. Schon der Turmbau zu Babel ist am Sprachproblem gescheitert.
Christian «Chrigel» Weber wurde mit en ZSC Lions 2000 und 2001 Schweizer Meister. Bild: KEYSTONE
Inzwischen sind zehn Spieler im Team Deutschschweizer. Durchwegs solche, die nicht mehr gut genug sind für die höchste Liga. Aber bei weitem gut genug, um die zweithöchste Liga zu prägen. Wie Torhüter Tim Wolf. Und wie der Spieler, der die Partie mit dem zweiten, verwerteten Penalty entscheidet und alleine mit seinem Namen noch einmal die Erinnerungen an die 1970er-Jahre aufleben lässt. Simon Sterchi (23). Sein Vater Christoph Sterchi ist Sportchef beim staatstragenden Radio und sein Grossvater Max Sterchi war als TK-Chef der Architekt jenes grossen SCB, der im Jahre 1974 mit einer Wucht, Kraft, Taktik und spielerischer Klasse die Dynastie des grossen HC La Chaux-de-Fonds zerstört hat.
Ausgerechnet ein SCB-Sterchi im Jahre des Herrn 2017 als Held des HC La Chaux-de-Fonds. Das hätten sich damals Michel Turler und Co. wahrlich nicht vorstellen können.
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