Verteidigung zeichnet Bild eines tief zerrissenen Menschen

Verteidigung zeichnet Bild eines tief zerrissenen Menschen

14.03.2018, 18:36

Nach der Staatsanwältin sind am Mittwoch die Anwälte der Hinterbliebenen der in Rupperswil AG Getöteten zu Wort gekommen. Und auch die Verteidigerin stellte ihre Anträge. Sie zeichnete das Bild eines tief zerrissenen Menschen.

Die Verteidigerin des mutmasslichen Vierfachmörders machte vor dem Bezirksgericht Lenzburg verschiedene Aspekte einer Strafmilderung geltend. Eine lebenslängliche Verwahrung sei nicht gerechtfertigt. Sie forderte stattdessen 18 Jahre Freiheitsentzug.

Renate Senn zeichnete von ihrem Mandanten das Bild eines zutiefst zerrissenen Menschen, der praktisch Opfer seiner selbst wurde. Diese Zerrissenheit habe an jenem 21. Dezember 2015 «ein tragisches Ende gekommen».

Der heute 34-Jährige habe eine erfolgreiche Zukunft vor sich gehabt, bis er etwa zwanzig Jahre alt war, sagte Senn. Seine vor der Aussenwelt verheimlichte Pädophilie habe ihn aber immer schwerer belastet und zunehmend aus dem Gleichgewicht gebracht, er sei süchtig geworden nach einschlägigen Bildern und Filmen im Internet.

Irgendwann sei der Wunsch aufgekommen, seinen Trieb in der Realität auszuleben, auch wenn er dies bekämpft habe: «Es kann nicht sein, es darf nicht sein.» Nach langen Gedankenspielen, nach Zögern und Hadern habe er dem Drang nachgegeben - eher widerstrebend, so Senn. Er habe beim Haus der späteren Opfer geklingelt, sei eingelassen worden und habe den Tatplan nun verwirklichen müssen.

«Spontan gehandelt»

Der Schweizer habe «spontan vor Ort gehandelt», sagte die Verteidigerin. Zwar habe er «grob einen Plan» entworfen, auch Vorbereitungen getroffen, Details habe er nicht geplant. Es habe eine gewisse Eigendynamik ergeben.

Getötet habe er, um seine Taten zu vertuschen, nicht aus Lust am Töten. Gehandelt habe er aus drei Gründen: zur sexuellen Befriedigung, aus Scham und aus finanziellen Gründen.

Sein pädophiler Drang wollte ausgelebt werden. Und weil er nicht den Mut hatte, seiner Mutter sein Scheitern an mehreren Unis und seine Lügen über ein angeblich erfolgreiches Leben zu gestehen, musste er Geld beschaffen.

Gegensteuer zu lebenslänglicher Verwahrung

Senn betonte mehrmals, Anlassdelikt sei ein Sexualdelikt aufgrund der ausgeprägten Pädophilie ihres Mandanten gewesen. Und ohne die festgestellten narzisstischen und zwanghaften Züge wäre er nie in die damalige Situation gekommen, zu töten. Damit gab sie Gegensteuer zur staatsanwaltlichen Forderung nach lebenslanger Verwahrung, die eine dauerhafte Untherapierbarkeit voraussetzt.

Laut den Gutachtern kann nämlich eine Pädophilie mit einer Therapie zwar nicht geheilt werden, der Betroffene kann aber lernen, deliktfrei damit umzugehen. Auch die Persönlichkeitsstörungen sind behandelbar. Die Staatsanwältin hatte argumentiert, es sei keine Störung Ursache der Tat - damit könne eine solche auch nicht behandelt werden.

Faires Urteil

Die Öffentlichkeit fordere eine drakonische Bestrafung ihres Mandanten - dieser gehöre «für immer weggesperrt». Dies dürfe aber nicht die Entscheidung des Gerichts beeinflussen, dieses müsse fair ausfallen. In der Schweiz seien Freiheitsstrafen in der Regel endlich. Eine Verwahrung dagegen sei keine Bestrafung, sondern solle die Öffentlichkeit schützen, so lange ein Täter gefährlich sei.

Schliesslich machte Senn verschiedene Gründe für eine Strafmilderung geltend: Zugunsten ihres Mandanten müsse gewertet werden, dass dieser nach seiner Verhaftung sofort gestanden und sich kooperativ gezeigt habe. Er sei sich bewusst, mit seiner Tat viel Leid verursacht zu haben und empfinde Reue. Senn las einen Brief des Beschuldigen an die Opferfamilien vor, in dem er schrieb, wie leid ihm alles tue.

Zudem übte sie Behörden- und Medienschelte: Die tendenziöse Art der Information durch die Strafbehörden nach der Verhaftung habe eine «mediale Treibjagd» und Vorverurteilung ihres Mandanten ausgelöst.

Hohe Genugtuungszahlungen verlangt

Vor der Verteidigerin hatte am Mittwoch der Anwalt der Hinterbliebenen seine Anträge gestellt. Für die Eltern der getöteten Frau beziehungsweise die Grosseltern ihrer zwei Söhne forderte er Schadenersatz von rund 11‘500 Franken und Genugtuungszahlungen in Höhe von je 125‘000 Franken. Der Bruder beziehungsweise Onkel soll 35‘000 Franken erhalten, der Lebenspartner der Frau 75‘000 Franken.

Der Rechtsvertreter des Ex-Mannes der Frau und Vaters der getöteten Söhne verlangte für diesen Schadenersatz und Genugtuung von knapp 145'000 Franken, für die beiden Halbschwestern der getöteten Jugendlichen je 15‘000 Franken.

Die Angehörigen der 21-jährigen Frau, welche die Nacht auf den Tattag bei ihrem Freund verbrachte und deshalb ebenfalls ermordet wurde, sollen gemäss ihrem Anwalt insgesamt gut 300‘000 Franken Genugtuung erhalten.

Schliesslich kam auch der Rechtsvertreter der beiden Familien in den Kantonen Bern und Solothurn zu Wort, welche der Beschuldigte nach der Tat in Rupperswil als nächste Opfer ausgespäht und weitere Taten bereits vorbereitet hatte. Bevor er handeln konnte, wurde er verhaftet. Die Eltern der Familie, vor deren Haus er mit gepacktem Rucksack auftauchte, sollen 4000 Franken Genugtuung erhalten.

Staatsanwältin fordert lebenslängliche Verwahrung

Staatsanwältin Barbara Loppacher hatte am Vormittag eine lebenslängliche Freiheitsstrafe sowie eine lebenslängliche Verwahrung des 34-jährigen Beschuldigten verlangt. Dies sei nötig für die Sicherheit der Gesellschaft. Allenfalls sei eine ordentliche Verwahrung anzuordnen.

Ob die Anordnung einer lebenslänglichen Verwahrung aber juristisch möglich ist, steht nicht fest. Das Gesetz verlangt nämlich als Voraussetzung dafür unter anderem, dass zwei psychiatrische Gutachter unabhängig voneinander eine dauerhafte Untherapierbarkeit des Beschuldigten feststellen. Das haben die beiden am Dienstag befragten Experten aber nicht getan.

Die Plädoyers sind nun zu Ende. Bevor am Freitag das Urteil verkündet werden soll, kommt am Mittwochabend sicher noch einmal der Angeklagte zu Wort. (sda)

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