Bücher: Nachfrage nach kommentiertem Hitler-Buch ist in der Schweiz gering

Bücher: Nachfrage nach kommentiertem Hitler-Buch ist in der Schweiz gering

11.01.2016, 16:44

Seit vergangenem Freitag ist die neue historisch-kritische Ausgabe von Adolf Hitlers Hetzschrift «Mein Kampf» auf dem Markt. Die Schweizer Buchhändler zeigen sich zurückhaltend. In den Filialen ist die Ausgabe bislang nicht erhältlich. Die Online-Nachfrage ist gering.

Rund siebzig Jahre nach dem Tod Adolf Hitlers ist seit Ende vergangener Woche wieder eine Ausgabe seiner Hetzschrift «Mein Kampf» in Buchläden erhältlich - als historisch-kritische Ausgabe mit umfangreichen Kommentaren. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte recherchierte jahrelang, um die darin geäusserten Ansichten Hitlers kritisch zu beleuchten und zu widerlegen.

Nun wird das 1950 Seiten dicke Buch in einer ersten Auflage von 4000 Stück für 59 Euro verkauft. Doch die Nachfrage ist viel grösser: Die Herausgeber sprachen vergangene Woche von 15'000 Vorbestellungen für die zweibändige Ausgabe. Zudem gebe es Anfragen, das Werk zu übersetzen, etwa in Englisch, Französisch oder Italienisch.

Kein Bestseller-Potenzial

In der Schweiz zeichnet sich derweil kein Kassenschlager ab. Im Gegensatz zum umliegenden Ausland stösst das Buch hier bislang auf wenig Interesse, wie am Montag verschiedene Anfragen der Nachrichtenagentur sda ergaben.

Beim grössten Schweizer Buchhändler Orell Füssli Thalia kann keine Rede sein von einem Boom bei dem Hitler-Buch. «Bis anhin ist das Interesse gering und vernachlässigbar», sagte Mediensprecher Alfredo Schilirò. Die kommentierte Neuerscheinung von «Mein Kampf» werde in den Filialen und Online weder aktiv angeboten noch beworben. Das Buch könne aber bestellt werden, wenn Kunden dies wünschten.

«Aus unserer Perspektive wird sich das Buch nicht zum Bestseller entwickeln», sagte auch Marie-Christine Schindler, Mediensprecherin beim Buchverkäufer Ex Libris. Trotzdem sei das Kundeninteresse vorhanden. Über genaue Zahlen wollte Schindler keine Auskunft geben.

Medienberichte steigern Interesse

Ex Libris führt die Neuauflage seit dem 20. Dezember in seinem Onlineshop. Wer ein Exemplar erwerben will, muss es dort bestellen. «In den Filialen ist das Buch nicht erhältlich», sagte Schindler. Ex Libris führe kein Lager dieses Artikels.

Dass das Buch international auf grosses Interesse stösst, hat laut Schindler vor allem einen Grund: «Je intensiver Medien darüber Bericht erstatten, desto grösser wird die Neugierde, die sich letztlich wieder auf die Nachfrage niederschlägt.»

Trotzdem findet Schindler das seit Wochen erhöhte Medieninteresse nicht problematisch: «Wie bei allen anderen Angeboten des täglichen Lebens ist es auch hier der mündige Konsument, der über Kauf oder Nichtkauf entscheidet.» Intern sei die kritische Ausgabe von «Mein Kampf» selbstverständlich diskutiert worden. Ex Libris habe sich aber bewusst dagegen entschieden, «als Zensurstelle zu erscheinen».

Amazon spendet Verkaufserlöse

Keine Exemplare des kritischen Werks gibt es derzeit beim grössten Internetversandhaus Amazon, das auch zahlreiche Kunden in der Schweiz beliefert. "Aufgrund der limitierten Auflage ist das Buch aktuell nicht verfügbar, sagte Mediensprecher Christian Senft.

Ändert sich dies, will Amazon die Erlöse aus dem Verkauf des neuen Hitler-Buchs an eine Organisation spenden, die sich zugunsten von Opfern des Nationalsozialismus engagiert.

Originaltext mit grosser Nachfrage

Bis Anfang 2016 waren Neuausgaben von «Mein Kampf» in Deutschland nicht möglich: Nach Hitlers Tod im Jahr 1945 waren die Schutzrechte für das Buch für siebzig Jahre auf den Freistaat Bayern übergegangen, der die Zustimmung zu einer Neuauflage stets verweigert hatte. Ende 2015 lief die Schutzfrist aus.

Jedoch waren Originale der Hetzschrift im Internet und in vielen Ländern stets problemlos zugänglich. In den USA, in Indien und Brasilien wird das Buch seit langem publiziert, in der Türkei wurde es seit 2004 mehr als 30'000 Mal verkauft, in arabischen Städten bieten es fliegende Buchhändler an ihren Ständen am Strassenrand an.

Die Münchner Historiker argumentieren, dass das Publikationsverbot in Deutschland eher das Gegenteil des erwünschten Effekts erzielt habe - nämlich indem es «Mein Kampf» interessanter erscheinen liess, als es in Wirklichkeit ist. (sda/dpa/afp)

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